Durch die Wüste. Karl May

Durch die Wüste - Karl May


Скачать книгу
hep – ütsch – umschließt alle drei!«

      Im Nu hatten sie mich, Halef und Omar umringt. Wir wurden hinaus in den Hof geführt, in dessen Mitte sich ein bankartiger Block befand. Seine Beschaffenheit deutete darauf hin, daß er zur Aufnahme derjenigen bestimmt sei, welche die Bastonnade erhalten sollten.

      Weil ich selbst mich ruhig gefügt hatte, waren auch meine beiden Gefährten ohne allen Widerstand gefolgt, aber ich sah es in ihren Augen, daß sie nur auf mein Beispiel warteten, um der Posse ein Ende zu machen.

      Als wir eine Weile vor dem Blocke gehalten hatten, erschien der Wekil mit Abu en Nassr. Der Schwarze trug den Teppich vor ihnen her, breitete ihn auf dem Boden aus und reichte, als sie sich gesetzt hatten, ihnen Feuer für ihre ausgegangenen Pfeifen. Jetzt deutete der Wekil auf mich.

      »Wermyn ona elli – gebt ihm Fünfzig!«

      Jetzt war es Zeit.

      »Hast du mein Bu-Djeruldu noch in der Tasche?« fragte ich ihn.

      »Ja.«

      »Gib es mir!«

      »Du wirst es niemals zurückerhalten!«

      »Warum?«

      »Daß sich kein Gläubiger daran verunreinigen kann.«

      »Du willst mich wirklich schlagen lassen?«

      »Ja.«

      »So werde ich dir zeigen, wie es ein Nemsi macht, wenn er gezwungen ist, sich selbst Gerechtigkeit zu verschaffen!«

      Der kleine Hof war an drei Seiten von einer hohen Mauer und an der vierten von dem Gebäude umschlossen; es gab keinen andern Ausgang als denjenigen, durch welchen wir eingetreten waren. Zuschauer gab es nicht; wir waren also drei gegen dreizehn. Die Waffen hatte man uns gelassen, so erforderte es der ritterliche Gebrauch der Wüste; der Wekil war völlig unschädlich, ebenso auch seine Soldaten, und nur Abu en Nassr konnte gefährlich werden. Ich mußte ihn vor allen Dingen kampfunfähig machen.

      »Hast du eine Schnur?« fragte ich Omar leise.

      »Ja; meine Burnusschnur.«

      »Mache sie los!« Und gegen Halef fügte ich hinzu: »Du springst zum Ausgang und lässest keinen Menschen durch!«

      »Verschaffe sie dir!« hatte indessen der Wekil geantwortet.

      »Sogleich!«

      Mit diesen Worten sprang ich ganz plötzlich zwischen den Soldaten hindurch und auf Abu en Nassr zu, riß ihm die Arme auf den Rücken und drückte ihm das Knie so fest auf den Nacken, daß er sich in seiner sitzenden Stellung nicht zu rühren vermochte.

      »Binde ihn!« gebot ich Omar.

      Dieser Befehl war eigentlich überflüssig, denn Omar hatte mich sofort begriffen und war bereits dabei, seine Schnur um die Arme des Armeniers zu schlingen. Ehe nur eine Bewegung gegen uns geschehen konnte, war er gefesselt. Mein plötzlicher Angriff hatte den Wekil und seine Leibwache so perplex gemacht, daß sie mich ganz konsterniert anstaunten. Ich zog jetzt mit der Rechten mein Messer und faßte ihn mit der Linken am Genick. Er streckte vor Entsetzen Arme und Beine von sich, als ob er bereits vollständig tot sei; desto mehr Leben aber kam in die Soldaten.

      »Hatschyn, aramin imdadi – reißt aus, bringt Hilfe!« brüllte der Onbaschi, der zuerst die Sprache wiedergefunden hatte.

      Sein Säbel wäre ihm hinderlich geworden, er warf ihn weg und rannte dem Ausgange zu; die andern folgten ihm. Dort aber stand bereits der wackere Halef mit schußfertigem Gewehre.

      »Geri; durar-siz bunda – zurück! Ihr bleibt hier!« rief er ihnen entgegen.

      Sie stutzten, wandten sich um und sprangen nach allen vier Richtungen auseinander, um Schutz in den Mauerecken zu suchen.

      Auch Omar hatte sein Messer gezogen und stand mit finsterem Blick bereit, es Abu en Nassr in das Herz zu stoßen.

      »Bist du tot?« fragte ich den Wekil.

      »Nein, aber du wirst mich töten?«

      »Das kommt auf dich an, du Inbegriff aller Gerechtigkeit und Tapferkeit. Aber ich sage dir, daß dein Leben an einem dünnen Haare hängt.«

      »Was verlangst du von mir, Sihdi?«

      Noch ehe ich antwortete, erscholl der angstvolle Ruf einer Weiberstimme. Ich blickte auf und bemerkte eine kleine dicke, weibliche Gestalt, welche vom Eingange her mit möglichster Anstrengung auf uns zuge–kugelt kam.

      »Tut – halt!« rief sie mir kreischend zu. »Oeldirme onu; dir benim kodscha – töte ihn nicht; er ist mein Mann!«

      Also diese dicke, runde Madame, welche unter ihrer dichten Kleiderhülle mit wahrhaft schwimmähnlichen Bewegungen auf mich zusteuerte, war die gnädige Frau Statthalterin. Jedenfalls hatte sie von dem mit einem Holzgitter versehenen Frauengemache aus der interessanten Exekution zusehen wollen und zu ihrem Entsetzen bemerken müssen, daß dieselbe jetzt an ihrem Ehegatten vollzogen werden solle. Ich fragte ihr ruhig entgegen:

      »Wer bist du?«

      »Im kary wekilün, ich bin das Weib des Wekil,« antwortete sie.

      »Ewet, dir benim awret, gül Kbillinün – ja, sie ist mein Weib, die Rose von Kbilli,« bestätigte ächzend der Statthalter.

      »Wie heißt sie?«

      »Demar-im Mersinah – ich heiße Mersinah,« berichtete sie.

      »He, demar Mersinah – ja, sie heißt Mersinah,« ertönte das Echo aus dem Munde des Wekil.

      Also sie war die »Rose von Kbilli« und hieß Mersinah, d.i. Myrte. Einem so zarten Wesen gegenüber mußte ich nachgiebig sein.

      »Wenn du mir die Morgenröte deines Antlitzes zeigst, o Blume der Oase, so werde ich meine Hand von ihm nehmen,« sagte ich.

      Sofort flog der Jaschmak, der Schleier, von ihrem Angesichte. Sie hatte lange Zeit unter den Arabern gelebt, deren Frauen unverhüllt gehen, und war also weniger zurückhaltend geworden, als unter andern Verhältnissen die Türkinnen sein müssen. Uebrigens handelte es sich hier, wie sie dachte, um das kostbare Leben ihres Eheherrn.

      Ich blickte in ein farbloses, mattes, verschwommenes Frauenangesicht, welches so fett war, daß man die Augen kaum und das Stumpfnäschen beinahe gar nicht unterscheiden konnte. Madame Wekil war vielleicht vierzig Jahre alt, hatte aber die Folgen dieses Alters durch hochgemalte, schwarze Augenbrauen und rot angestrichene Lippen zu paralysieren gesucht. Zwei schwarze, mittels einer Kohle je auf der Mitte der Wange hervorgebrachte Punkte gaben ihr ein pittoreskes Aussehen, und als sie jetzt die Vorderarme aus der Hülle streckte, bemerkte ich, daß sie nicht bloß die Nägel, sondern auch die ganzen Hände mit Henna rot gefärbt hatte.

      »Ich danke dir, du Sonne vom Dscherid!« schmeichelte ich. »Wenn du mir versprichst, daß der Wekil ruhig sitzen bleibt, soll ihm jetzt kein Leid geschehen.«

      »Kaladschak-dir – er wird sitzen bleiben; ich verspreche es dir!«

      »So mag er es deiner Lieblichkeit danken, daß ich ihn nicht zerdrücke wie eine Indschir, wie eine Feige, die in der Presse liegt, um getrocknet zu werden. Deine Stimme gleicht der Stimme der Flöte; dein Auge glänzt wie das Auge der Sonne; deine Gestalt ist wie die Gestalt von Scheherezade. Nur dir allein bringe ich das Opfer, daß ich ihn leben lasse!«

      Ich nahm die Hand von ihm; er richtete sich auf, indem er erleichtert stöhnte, blieb aber gehorsam in seiner sitzenden Stellung. Sie betrachtete mich sehr aufmerksam vom Kopfe bis zu den Füßen herab und fragte dann mit freundlichem Tone:

      »Wer bist du?«

      »Ich bin ein Nemsi, ein Fremdling, dessen Heimat weit drüben über dem Meere liegt.«

      »Sind eure Frauen schön?«

      »Sie sind schön, aber sie gleichen doch nicht den Frauen am Schott El Kebihr.«

      Sie nickte, befriedigt lächelnd, und ich sah es ihr an, daß ich Gnade vor ihren Augen gefunden hatte.

      »Die Nemsi sind sehr kluge, sehr tapfere und sehr höfliche Leute, das habe ich schon oft gehört,« entschied


Скачать книгу