Dantons Tod. Georg Buchner
weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh wir zusammenkommen. Und wenn auch! – den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!
Camille. Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?
Danton. Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. Er erhebt sich.
Julie. Du gehst?
Danton zu Julie. Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. – Im Hinausgehn. Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen. Ab.
Camille. Laßt ihn! Glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kömmt?
Hérault. Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.
Zweite Szene
Eine Gasse.
Simon. Sein Weib.
Simon schlägt das Weib. Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du wurmstichischer Sündenapfel!
Weib. He, Hülfe! Hülfe! Es kommen
Leute gelaufen. Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!
Simon. Nein, laßt mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!
Weib. Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.
Simon. So reiß ich von den Schultern dein Gewand.
Nackt in die Sonne schleudr’ ich dann dein Aas.
Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht. Sie werden getrennt.
Erster bürger. Was gibt’s?
Simon. Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name; o, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.
Zweiter bürger. Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.
Simon. Alter Virginius, verhülle dein kahl Haupt – der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! Er sinkt um.
Weib. Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.
Zweiter bürger. Dann geht er mit dreien.
Weib. Nein, er fällt.
Zweiter bürger. Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.
Simon. Du bist die Vampirzunge, die mein wärmstes Herzblut trinkt.
Weib. Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird; es wird sich schon geben.
Erster bürger. Was gibt’s denn?
Weib. Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, seht ihr – denn wir haben kein Holz, seht ihr –
Zweiter bürger. So nimm deines Mannes Nase.
Weib. Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke – sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.
Simon. Ha, sie bekennt!
Weib. Du Judas! hättest du nur ein paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du Branntweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? – Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es hat ihr weh getan; kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut’s ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!
Simon. Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha, Appius Claudius!
Erster bürger. Ja, ein Messer, aber nicht für die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen. Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben Magendrücken; ihr habt Löcher in den Jacken, und sie haben warme Röcke; ihr habt Schwielen in den Fäusten, und sie haben Samthände. Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt’s erworben, und sie haben’s gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, müßt ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben, und man muß sie totschlagen!
Dritter bürger. Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: das Veto frißt euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!
Erster bürger. Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!
Zweiter bürger. Totgeschlagen, wer auswärts geht!
Alle schreien. Totgeschlagen! Totgeschlagen!
Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.
Einige stimmen. Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!
Zweiter bürger. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! Eine Laterne wird heruntergelassen.
Junger mensch. Ach, meine Herren!
Zweiter bürger. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!
Einige singen.
Die da liegen in der Erden,
Von de Würm gefresse werden;
Besser hangen in der Luft,
Als verfaulen in der Gruft!
Junger mensch. Erbarmen!
Dritter bürger. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! ‘s ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden. – An die Laterne!
Junger mensch. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.
DIE UMSTEHENDEN. Bravo! Bravo!
Einige stimmen. Laßt ihn laufen! Er entwischt.
Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.
Robespierre. Was gibt’s da, Bürger?
Dritter bürger. Was wird’s geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen!
Erster bürger. Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie