Die Ahnen. Gustav Freytag
er den gewogenen Sinn meines Herrn erkenne, so flehe ich, daß mein König ihm zuvor Frieden gelobe und sicheres Geleit zum Hofe und vom Hofe, mein König und seine Knaben in der Halle.«
»Was fällt dir ein, Sänger?« rief der König mit ausbrechendem Unwillen, »wie kann ich ein Gelöbnis geben dem Wildfremden, dessen Sinn ich nicht kenne!«
»Du willst doch, o Herr, daß er sich in deine Hand gebe. Leicht ist es, von einem einzelnen den Schwur zu fordern. Mein Herr würde selbst den Fremdling für einen Toren halten, wenn er sich unter die Knaben hierher wagte ohne Frieden.«
»Was braucht mein König den fahrenden Mann zu solcher Botschaft?« rief Wolfgang, »er sende uns, wir bringen den Fremden auf seinen Füßen oder in seinem Schild, längst steht uns der Sinn nach einer Reise in die Dörfer der frechen Bauern.«
»Still,« sagte der König, »eure grobe Zunge gebrauche ich jetzt nicht, wenn ich mit meinen Waldleuten handeln will. Volkmar soll mein Bote sein, denn heut ist der Tag guter Worte, kommt der Tag für harte Tat, dann rufe ich euch. – Du meinst also, er wird kein solcher Narr sein?« fragte er lauernd, und aus den schwimmenden Augen brach ein heißer Blick, wie der Feuerstrahl aus einer Dampfwolke, aber er bezwang sich und fuhr gemütlich fort:
»Wohlan, ich will ihm alles geloben. Und ihr schweigt dort!« rief er, seine Stimme erhebend, in den Lärm seiner Mannen. »Tretet heran und gelobt in meine Hand Frieden für Ingo, Ingberts Sohn, zum Hofe, am Hofe und vom Hofe.« Die Männer taten den Schwur. »Und jetzt, Sänger,« schloß der König drohend, »lege ich dir auf deine Seele, daß du ihn herführst ohne Verzug.«
»Ich bin nur dein Bote, Herr, nicht vermag ich ihn zu zwingen.«
»Bedenke dein eigenes Heil, Volkmar«, rief der König und hob die Faust in die Höhe. »Leid wäre dir, wenn du in Zukunft die Vatererde meiden müßtest.«
»Ich will mich halten als ein treuer Bote«, versetzte der Sänger ernst.
»So ist es recht, Volkmar«, schloß der König besänftigt und erhob sich. »Geendet sei der Trunk, brecht auf von den Sitzen, und du, Volkmar, sollst mir heut anstatt Kämmerer sein, geleite mich.« Der König stützte sich schwer auf Volkmars Schulter und schritt mit ihm über den Hof zum Schlafhaus der Königin. Unterwegs sagte er ihm lustig ins Ohr: »Nun, Schelm, wo bleibt der Becher?«
Volkmar öffnete den Beutel, den er an seinem Gurt trug und bot das Goldgefäß dem König dar. »Stecke mir‘s ins Gewand,« sagte der König, »ich will um deinetwillen sorgen, daß Frau Gisela das Ding nicht erblickt.«
Am nächsten Morgen verließ der Sänger die Burg. Der König sah seinem Boten mißtrauisch nach und dachte in seinem Sinn: meine Waldfüchse werden mir den Fremden schwerlich in die Burg senden. Wenn sie ihn meiner Forderung weigern, dann geben sie mir einen Grund gegen sie zu ziehen, ihren Bauernstolz zu brechen und ein Ende zu machen mit ihrem freien Bunde. Dann aber wählen sie den Ingo zu ihrem Führer, er dünkt mich ein mannhafter Recke, und es könnte einen harten Kampf geben unter Scheitholz und Waldpilzen. Was dann das Ende wird, weiß keiner, und ich habe keine Lust, meinen Leib zum Schemel zu machen, über den ein anderer zum Herrensitz steigt. So trank er sorgenvoll seinen Met, verschlossen auch gegen die Königin, die mit ihren großen Augen forschend auf ihn hinsah und zuweilen seine Gedanken erriet, ohne daß er sie aussprach.
Tag auf Tag verrann, Ingo kam nicht. Dagegen pochte eines Abends Sintram, Theodulfs Ohm, an das Tor. Der König empfing ihn mit offenen Armen, er sprach lange heimlich mit ihm, und Frau Gisela merkte, wie der König dem Edlen mit einem Händedruck versicherte: »Dein Vorteil und meiner sollen zusammen in den Wald springen wie zwei Wölfe.« Aber als Held Sintram geschieden war, sah auch ihm der König unzufrieden nach und nannte ihn einen schiefäugigen Fuchs.
5. In den Waldlauben
Auf dem Herrenhof und im Dorfe knarrten die Erntewagen, die Mannen des Häuptlings vergaßen im Drange der Arbeit zuweilen ihren Kriegerstolz und halfen den Knechten, die Schnitter banden dem großen Gott des Volkes die letzte Garbe mit frommem Zuruf und brachten im Reigen springend den Ährenkranz zur Halle des Fürsten; die barbeinigen Dorfkinder schwärmten wie Drosseln um das Vorholz und sammelten Beeren und Nüsse in langen Tüten aus Holzspänen. Jeder war eifrig, die Früchte einzuheimsen, welche die Göttin der Flur dem seßhaften Manne spendet. An der Seite des Hofherrn achtete Ingo auf die friedlichen Werke, die er sonst nur vom hohen Kriegsrosse geschaut hatte, er hörte mißfällig, wenn sein Wirt sich wie ein Bauer über die Wölfe ärgerte, weil sie ihm ein junges Rind zerrissen, öfter aber lachte er froh, wenn er Irmgard unter den Mägden sah, denen sie bei der Arbeit gebot. Ihm und der Jungfrau pochte das Herz in Freude, wenn sie vor den anderen im Hofe und auf der Flur höflichen Gruß tauschten und zuweilen wenige Worte. Denn streng war die Hofzucht, gesondert lebten die Männer, und Ingo scheute sich, seit er den Gastschwur getan, durch dreistes Nahen den Frieden des Hofes zu verletzen. Fast alle blickten ihn freundlich an, nur das Auge der Fürstin umwölkte sich, wenn sie ihm nachschaute. Ihr kränkte den stolzen Sinn, daß er gegen ihren Rat einen Mann ihrer Freundschaft im Kampfspiel besiegt hatte, auch daß ihr Wunsch, ihn als fremden Landfahrer zu halten, durch den Sänger vereitelt war. Und noch anderes war ihr beschwerlich. Sie hatte ihren Blutsverwandten, den Theodulf, zum Gemahl der Tochter erkoren, ihr eigenes Geschlecht und Herr Answald hatten schon vor Jahren darum gehandelt. Jetzt beobachtete sie argwöhnisch die Tochter und den Gast.
Eines Tages kam ein fahrender Gaukler mit seinem Kasten in die Flur, er blies vor dem Hofe des Fürsten auf der Sackpfeife, bis die Leute aus dem Dorfe herzuliefen; auch die Mannen und Knechte des Fürsten traten aus dem Hoftor. Als der Ring geschlossen war, begann der Mann in unbehilflicher Sprache seinen Bericht, daß er in dem Kasten einen Römerheld berge, und wenn die Krieger und die schönen Frauen ihre Gunst erweisen wollten, so sei er bereit, ihn zu zeigen. Er pochte auf den Kasten, da hob sich der Deckel und ein kleines häßliches Ungetüm, von Gesicht einem Menschen ähnlich, mit einem Römerhelm über den Ohren, hob seinen Kopf empor und schnitt Gesichter. Viele fuhren zurück, die Beherzten aber lachten über das Wunder. Der Mann öffnete den Kasten und der Affe sprang hervor in einer Panzerjacke wie ein römischer Krieger gekleidet. Er fuhr mit den hageren Beinchen auf dem Grase umher, überschlug sich in der Luft und tanzte. Zuerst entsetzten sich die Landleute, dann erscholl lautes Gelächter und Beifallsruf, so daß Hildebrand in die Laube lief und den Herren verkündete: »Ein Gaukler tanzt vor dem Hoftor mit einem kleinen wilden Mann, den sie einen Affen nennen.« Darauf trat auch der Fürst mit Ingo und den Frauen heraus und freute sich an den lustigen Sprüngen des Affen. Zuletzt nahm der Affe den Helm ab, lief im Kreise umher, und der Mann rief: »Spendet, ihr Helden, meinem römischen Krieger, was ihr von Römermünzen im Säckel habt, kleine und große, je edler der Held, um so größer das Geldstück. Wer keines hat, lege Wurst und Eier in den Kasten.« Da lachten die Leute und mancher griff an den Gürtel, andere trugen aus dem Hofe herzu, was dem fahrenden Mann als Reisekost diente. Auch zu den Herren trat der Fremde, und der Fürst und Theodulf holten römisches Kupfer aus den Taschen, und Frida hörte, wie Theodulf auf Ingo weisend zu dem Gaukler sagte: »Der große Held dort spendet dir wohl am reichlichsten.« Als der Mann nun mit seinem Affen dem Helden Ingo nahte, da sorgte Frida, ob der Fremde und sein Kämmerer Wolf in den Jacken der Fürstin wohl auch etwas finden würden, was sie austeilen könnten, und um die Beschämung abzuwehren, riß sie schnell eine der kleinen Silberschellen ab, welche ihr das Herrenkind zum Brustschmuck geschenkt hatte, und vorspringend sprach sie: »Dir spendet dieser Held, welcher die Sprünge der Römer besser kennt als du, wenn du ihm Antwort gibst auf eine Frage: Welches Gewand trägt dein Ungetüm, wenn du unter den Römern Gaben begehrst?«
Der Mann nahm das Silber, sah scheu nach Ingo und antwortete dem Mädchen frech: »Den Gruß der Vandalen kenne ich als verfänglich und grob. Dir aber sage ich, wer im Tanze den Römern gefallen will, muß nackt springen. Was mein Affe tut, rate ich auch dir.« Frida rief ihm zornig nach: »Ich meine, unter den Fremden verhöhnt dein tanzender Kater ebenso die Krieger meines Volkes, wie die Fremden bei uns.« Da nickten die Männer und wandten sich lachend von dem Gaukler ab. Ingo aber trat zu ihm und fragte: »Woher weißt du, daß ich von den Vandalen bin?«
»Deutlich genug trägst du‘s auf dem Haupte«, versetzte der Mann und wies auf die Kappe Ingos, in welcher drei Schwungfedern des wilden Schwans steckten. »Kaum