Die Ahnen. Gustav Freytag
dem Tage saß der König fröhlich beim Mahl auf dem Herrensitz, neben ihm Frau Gisela, zur anderen Seite Ingo. »Heut freue ich mich des Jagdglücks,« begann der König, »ich freue mich meiner Herrschaft und des Goldschatzes, den ihr alle hier vor Augen seht, und ich trinke Heil dem Helden Ingo, weil er im Kampf mit dem Bergstier ein guter Genosse war. Freuet euch heut alle mit mir, wenn ihr die silbernen Becken und die Goldbecher seht, welche vor euren Augen aufgestellt sind mir und euch zur Ehre. Auch du, Ingo, hast manchen Hof mächtiger Gebieter besucht; sage mir, Held, ob du irgendwo besseres Gerät aus dem Schatzhause geschaut hast.«
»Gern preise ich deinen Reichtum, o König, denn wo das Schatzhaus gefüllt ist, da, meinen wir, waltet der Herrscher in Sicherheit, gefürchtet von feindlichen Nachbarn und von den Argen im Volke. Zwei Tugenden hörte ich immer rühmen an dem mächtigen Volksherrn, daß er versteht, den Schatz zur rechten Zeit zu sammeln und zu rechter Zeit an seine Getreuen zu spenden, damit sie ihm in der Not folgen.«
Diese Worte waren ganz nach der Meinung der Helden, welche am Königstisch saßen, und sie nickten und murmelten beifällig.
»Auch die Alemannen waren ein goldreiches Volk, bis der Cäsar ihnen das Land verwüstet hat«, fuhr Ingo fort. »Doch meine ich, sie gewinnen manches wieder, denn sie sind rührig nach Beute und verstehen den Handel mit den Krämern. Dazu leben sie römischer als andere Landgenossen, in Steinhäusern wohnen dort auch die Bauern, die Frauen sticken mit der Nadel bunte Bilder auf die Gewänder, und um sie hängen süße Trauben im Weinlaub.«
»Kennst du auch Frauen der Römer?« fragte die Königin. »Viel Wunderliches erzählen die Mannen des Königs von ihrer Schönheit, obwohl sie braun von Haut und schwarzhaarig sind.«
»Sie sind behend in Sprache und Bewegung der Glieder, und lieblich lockt der Gruß ihrer Augen, nur ihre Zucht hörte ich selten rühmen«, versetzte Ingo.
»Auch du warst im Römerlande?« fragte der König neugierig.
»Zwei Jahre sind es,« bestätigte Ingo, »da ritt ich als Begleiter des jungen Königs Athanarich friedlich in die Mauern der großen Kaiserstadt Trier. Ich sah hohe Wölbungen und Steinmauern, wie von Riesen errichtet. Dichtgedrängt lacht das Volk auf den Straßen, aber die Krieger, welche dort an den Toren stehen mit dem Römerzeichen auf ihren Schilden, haben unsere Augen und sprechen unsere Sprache, obwohl sie sich mit Unrecht rühmen, Römer zu sein.«
»Die Fremden geben uns ihre Weisheit, sie verkaufen uns Gold und Wein, wir aber leihen ihnen die Kraft der Glieder, ich lobe den Tausch«, versetzte Hadubald, dem es unlieb war, wenn man den Römerdienst verachtete.
»Ich aber, o König,« begann Berthar, »halte wenig von der Weisheit der Römer, die andere rühmen. Auch ich war sonst schon in den großen Steinburgen, welche die Römer gemauert haben, zuerst damals, als mein Herr Ingo mich südwärts sandte über die Donau nach der Augustaburg, wo jetzt die Schwaben ihr Heimwesen einrichten. Über die zerbrochene Stadtmauer ritt ich mühsam hinein, dort habe ich viel Unsinniges gesehen, das auch für einen bewanderten Mann unheimlich ist. Die Römerhäuser standen so dicht gedrängt wie eine Schafherde im Gewitter, keines sah ich, wo Raum war für einen Hof, ja nur für eine Dungstätte. Ich fragte meinen Wirt, er sagte, sie hocken, wenn ihnen die Not ankömmt, schamlos wie Hündlein auf der Straße. Ich lag in solchem Steinloch, die Wände und der Fußboden waren glatt und schimmerten in vielerlei bunten Farben, als Decke hatten die treuen Schwaben ein Strohdach gerichtet: ich versichere euch, mir war es enge zwischen dem Stein während der Nacht, und ich war froh, als am Morgen die Schwalben im Stroh sangen. Es hatte zur Nacht geregnet, und in einer Wasserlache am Boden sah ich im Morgenlicht zwei Enten. Nicht leibhaftig, sondern auf dem Stein des Bodens, wie gemalt. Ich trat herzu, schlug mit meiner Axt in den Steinboden und fand ein lächerliches Werk aus vielen kleinen Steinen zusammengesetzt, jeder Stein war in den Boden gekittet und oben so glatt geschliffen wie eine Steinaxt; aus solchem bunten Gestein waren die zwei Vögel gemacht, die wir als Enten kennen. Und es war eine Arbeit, über der mehrere Männer viele Tage geschafft haben, nur um den harten Stein zu schleifen. Das erschien mir ganz unsinnig. Und mein Schwabe meinte das auch.«
»Vielleicht ist ihnen die Ente ein heiliger Vogel, welcher sich dort nicht häufig findet; denn manche Vögel sind überall auf der Menschenerde und andere nicht«, sagte Valda, ein verständiger Mann aus dem Gefolge der Königin.
»So meinte ich auch, aber mein Wirt wußte, daß sie dergleichen zu ihrem Vergnügen anfertigen, um darauf zu treten.«
Die Männer lachten. »Formen unsere Kinder nicht auch kleine Bären aus Lehm und Backöfen aus Sand und spielen tagelang mit Nichtigem? Die Römer sind geworden wie Kinder«, rief Valda.
»Du sprichst das Richtige. Kleine Steine haben sie zu Vögeln geschliffen, während in ihren Wäldern die Krieger der Schwaben ihre Blockhäuser zimmerten. Auch wenn sie essen wollen, liegen sie wie Frauen, die ihre Sechswochen halten.«
»Was du hier wegen der Enten vorbringst,« rief Wolfgang, der Königsknabe, unwillig, »ist ganz unrichtig und töricht. Denn den Römern ist eigen, daß sie alles nachmachen können in Farben und mit Stein, nicht nur Vögel, auch Löwen und kämpfende Krieger. Jeden Gott und jeden Helden verstehen sie zu bilden, daß er dasteht wie lebendig. Das tun sie sich selbst zur Ehre und ihm zum Gedächtnis.«
»Über den Steinen reiben sie, und aus unserem Blut sind die Helden, welche ihre Schlachten schlagen. Ist es ihre Weise, Knechtesarbeit zu lieben, so ist unsere Weise, über Knechte zu herrschen. Ich preise den Helden nicht, der sich einem Knechte zum Dienst gelobt«, versetzte der Alte.
»Knechte nennst du, die doch Herren sind fast über die ganze Männererde? Älter ist ihr Geschlecht und ruhmvoller ihre Sage als die unsere«, rief Wolfgang wieder.
»Haben sie dir davon geschwatzt, so haben sie gelogen«, entgegnete Berthar. »Ob der Ruhm echt ist und die Sage wahrhaft, das erkennt jedermann daraus, wenn sie denen, welche sich rühmen, den Mut beim Männerkampf erhebt. Darum vergleiche ich den Mut der Römer mit einem Wasserschwall, der einst das Land übergoß und dann zu einem Sumpf eintrocknete, den Ruhm unserer Helden aber mit einem Bergquell, der über die Steine rauscht und seine Flut in die Täler treibt.«
»Dennoch vertrauen die Weisen der Römer darauf,« warf Ingo ein, »daß ihre Macht stärker geworden ist, als sie ehedem war. Denn sie rühmen sich, daß zur Zeit ihrer Väter ein neuer Gott in ihr Reich gekommen ist, welcher ihnen Sieg verleiht.«
»Ich vernahm längst,« sprach der König, »daß sie ein großes Geheimnis in ihrem Christus haben. Auch ist ihr Glaube durchaus nicht eitel, denn sie sind in Wahrheit jetzt siegreicher als vorzeiten. Vielerlei hört man darüber, und niemand verkündet Genaues.«
»Sie haben ganz wenig Götter«, erklärte Berthar geheimnisvoll, »oder vielleicht nur einen mit drei Namen, einer heißt Vater, der andere Sohn, und einer heißt der dritte.«
»Der dritte heißt Teufel,« rief Wolfgang, »ich weiß das, ich selbst war zu meiner Zeit unter den Christen, und ich versichere dich, o König, mächtiger ist ihr Zauber als jeder andere. Ihr geheimes Zeichen lernte ich und einen Segen, sie nennen ihn Nosterpater, der Heilkraft hat gegen jeden Leibesschaden.« Und er schlug ehrfürchtig ein Kreuz über seinem Weinkrug.
»Dennoch erachte ich in meinem Sinn,« versetzte Berthar hartnäckig, »auch den Römern kommt der Tag, wo sie trotz ihrer gemauerten Städte und trotz ihrer neuen Götter und trotz ihrer Kunst in steinernen Enten erkennen, daß anderswo stärkere Männer leben, welche ihr Holzdach frei in den Wind stellen.«
»Auch uns ist die Kunst der Römer nützlich«, entschied der König. »Es ist einem König Ehre, was die anderen klug erdenken, für sich zu gebrauchen. Doch freue ich mich deiner Worte, Held Berthar, denn verständig ist der Mann, der höher vom eigenen Volke denkt als von dem fremden.«
Und als das Mahl beendet war und der König mit Ingo allein beim Becher saß, da begann er redselig: »Ich sehe, Held, die Schicksalsfrauen haben dir bei deiner Geburt manches Leid angebunden, aber auch manche gute Gabe, denn sie haben gefügt, daß die Herzen der Menschen sich dir freundlich öffnen. Auch ich, wenn ich deine Rede höre und wenn ich beachte, wie du unter meinen Mannen dahergehst, möchte dir wohlgeneigt sein. Nur eines beschwert mir den Mut, daß du