Die Ahnen. Gustav Freytag

Die Ahnen - Gustav Freytag


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wissen, zu welchen Göttern er fleht«, sagte der Führer.

      »Dann laß uns den ungastlichen Hof meiden.«

      »Sieh auf den Himmel, die Nacht bringt Regen, dein Knabe und eure Pferde bedürfen Nachtrast, denn morgen steigen wir über den Wald auf wildem Wege, wo kein Wirt uns aufnimmt.«

      Der Mann blickte auf den Jüngling an seiner Seite und gab schweigend ein Zeichen der Gewähr. Da sie näher kamen, wurde das Gekläff der Rüden wilder, die grunzenden Stimmen einer Bärenfamilie mischten sich darein, und als Ingram an das Tor schlug, tobte der Lärm so arg, daß der Fremde ein Kreuz schlug. Lange pochte der Führer, endlich klangen Menschentritte und rauher Zuruf an die Tiere; Ingram rief seinen Namen durch das Tor, der Sperrbalken wurde zurückgeschoben, und eine riesige Männergestalt trat in den Türspalt. Der Führer sprach leise mit dem Wirt. Durch kurze Handbewegung lud dieser zum Eintritt, er faßte die zitternden Pferde am Zügel und zog sie in den Hof, den er hinter ihnen wieder verschloß. Die Reisenden entlasteten ihre Tiere im Dunkel, dann führten Ingram und der Wirt die Rosse nach einem Stall. Als die Männer auf den gestampften Lehmboden der Hausflur traten, hielt der Wirt eine Kienfackel an die züngelnden Kohlen des Holzklotzes, der auf dem Herde lag, und leuchtete mit der rußigen Flamme seinen Gästen in das Gesicht. Da er das Antlitz des Fremden erkannte, trat er zurück, die Fackel entglitt seiner Hand und sprühte auf dem Boden, bis der Führer sie faßte und in den Eisenring am Herde steckte.

      »Nimmer hätte ich geglaubt, dein Angesicht in meiner Hütte zu finden. Unhold war der Gruß, den du mir botest, da ich dich das erstemal sah; mit meinen Bären ließest du mich weghetzen von dem Haus deiner Gastfreunde.«

      »Und da ich dich zum zweitenmal sah,« antwortete der Fremde ruhig, »löste ich deinen Hals von der Weide, die für dich gedreht war. Und da ich dich zum drittenmal sah, standest du als Täufling vor mir im weißen Hemd, und das heilige Wasser rann über dein Haupt.«

      »Das Taufhemd ist lange zerrissen, es war das letztemal weniger wert als sonst wohl in früheren Jahren, wo ich mich in euer Wasser tauchen ließ; und ungern denkt der Mann an die Stunden der Not, in denen er ein Haupt vor fremdem Zauber gebeugt hat«, versetzte der Wirt scheu. »Du hast mir weh getan und du hast mir wohl getan. Dennoch meine ich, du bist ein Mann, großer Geheimnisse kundig, und auch mich rühmen die Leute als einen, der manches weiß. Und wenn ich dir Frieden gebe unter meinem Dach, so magst du zum Dank mich wohl noch manch Geheimnis lehren.«

      »Ich will dich lehren,« sagte der Fremde, »wenn du Ohren hast zu hören.«

      »Wohlan, so soll das Frühere ausgeglichen und vergessen sein und ich will dich halten als meinen Gast, dich und deine Begleiter mit Abendkost und Herberge, und ich grüße dich an meinem Herde, dich, Herr Winfried, vor dem die Leute knien und den sie Bonifazius und einen Bischof nennen.«

      Als die Reisenden am Abend des nächsten Tages aus dem dunklen Fichtenwald ritten, schauten sie von der Berghöhe niedrige Hügel, in der Ferne offenes Land. Vor ihnen lag am Fuße des Berges ein Dorf, grau die Dächer, grau die Balken, rund herum ein Zaun aus Pfahlwerk und ein breiter Graben. Eng gedrängt standen die Häuser in den Dorfgassen, damit die Abwehr eines feindlichen Überfalls leichter sei. Außerhalb des Zaunes erhoben sich an der Berglehne zwei einzelne Höfe wenige Bogenschüsse voneinander entfernt. Zu jedem führte ein Fußpfad von dem Dorfwege ab. An dieser Wegscheide hielt Ingram und sagte kurz: »In das Land der Thüringe habe ich euch geleitet, dies ist das Dorf, dort ist der Hof des Franken, den sie einen Meier des Grafen nennen, und dort steht er selbst. Vollbracht ist, was ich gelobt, fahret dahin.«

      Während die Fremden mit geneigtem Haupt ihrem Gott dankten und um Segen für ihren Eintritt flehten, jagte Ingram von dannen und war bereits hinter einem Vorsprung des Holzes verschwunden, als Winfried nach ihm aufsah. Von der anderen Seite aber kam der fränkische Verwalter ihnen entgegen, ein Mann mit grauem Haar und ernster Miene. Winfried bot ihm den Christengruß, und das Gesicht des Mannes rötete sich vor Freude, als er antwortete: »In aller Ewigkeit.« Und als ihm Winfried ein ausgeschnittenes Pergamentblatt hinhielt, das Erkennungszeichen, welches die Herrin dem Meier sandte, da nahm dieser ehrerbietig den Hut vom Haupte, ergriff selbst die Zügel der Rosse und führte die Fremden nach seinem Hofe.

      2. Ein Christ unter Heiden

      Abwärts vom Dorfe auf die Ebene zu stand ein verfallenes Haus von einem Holzzaun umgeben, an welchem bestäubte Kletten die grauen Blätter breiteten; der Zaun war löcherig und nachlässig geflickt, und die Hühner und Ferkel des Hofes fanden das ganze Jahr mühelosen Durchgang. Hinter dem Tor war aus zwei Stangen ein Holzkreuz errichtet, als einziges Zeichen, daß Meginhard, den sie Memmo nannten, dort wohnte, ein Priester der Christen. Widerwillig hatten die Dorfbewohner ihm vor Jahren auf die Verwendung des Grafen gestattet, in der leeren Hütte zu wohnen. Dennoch fehlte im Innern nicht gänzlich das Behagen. Durch die Ritze der geschlossenen Fensterladen sah man, daß auf dem Herde ein lustiges Feuer brannte. Daneben saß Memmo, ein kleiner rundlicher Mann, vor ihm stand auf schlechtem Holztisch ein Krug mit Bier, auf dem Herde kochte im Topfe ein Huhn, und eine kräftige Magd wirtschaftete mit dem Holzlöffel um den Stein. »Lange brodelt das Huhn, Godelind,« sprach der kleine Mann und blickte sehnsüchtig nach dem Topfe, »schwinge den Löffel und lege Holz an, denn dies ist das einzige, was man hier im Lande reichlich hat.« Aber Godelind kümmerte sich wenig um den Seufzer des Herrn, sie fuhr unwirsch über den Herd und sah zuweilen zornmutig auf den Priester herab. »Sicherlich hätte mein Herr ein besseres Geschenk von dem kranken Nachbar erwerben können als das Ding da« – sie wies mit dem Löffel in die Ecke der Hütte, wo auf dem Strohbund ein slawisches Mädchen kauerte, das mit gesenktem Haupt vor sich hin starrte. »Durch viele Wochen habt Ihr die bösen Geister besprochen, die in dem kranken Bein des Mannes saßen; für große Mühe ist dies ein erbärmlicher Dank, eine Gefangene, ein krankes elendes Ding, zu gar nichts gut. Warum hat er Euch nicht ein Kalb in die Wirtschaft geschenkt? Oft genug habe ich Euch geraten, ihm Eure Meinung darüber unter den Fuß zu legen. Wir haben kaum genug, um zwei Mäuler zu füttern, jetzt kommt das dritte, und dazu eine Wilde mit verworrenem Haar, die kein Wort sprechen mag und die mir neue Sorge schafft zu der, die ich um Euch habe.«

      Memmo blinzte schlau in die Ecke. »Und doch nahm ich sie um deinetwillen, Godelind,« sagte er begütigend, »für die Weide und das Feld, gern will ich dich schonen.«

      »Habe ich je über die Arbeit geklagt?« schmollte die Gebieterin des Herdes nur wenig besänftigt. »Jetzt soll ich Wache halten um den fremden Unhold.« Sie stürzte das gekochte Huhn in eine irdene Schüssel und setzte das heiße Gericht mit einem Löffel ihrem Herrn vor. Ein wohlriechender Rauch stieg in die Höhe, Memmo saß, die Kühlung erwartend, und klapperte ungeduldig mit dem Holzlöffel am Schüsselrand. Da knarrte es draußen am Zaun und gleich darauf pochte ein Stab an die Tür viermal in kurzen Absätzen. Dem Priester fiel der Löffel aus der Hand, er fuhr erschreckt in die Höhe, starrte auf die Tür, als ob er einen Geist fürchte, und murmelte nach dem dritten Schlage leise, halb bewußtlos: »In nomine spiritus sancti. amen.« Der letzte Schlag erklang und gleich darauf flog die Tür, von starker Hand gerissen, auf, ein Mann trat herein in dunklem Gewande, und eine tiefe Stimme sprach auf der Schwelle: »Sei gegrüßt im Namen des Herrn.« Stumm stand Memmo, alles Rot aus seinem Gesichte war entwichen; Winfried betrachtete einen Augenblick die Bewohner der Hütte, dann trat er an das Fenster, schlug den Fensterladen auf, nahm Schüssel und Huhn, warf sie hinaus, daß die Scherben krachten, und rief gebietend: »Hinaus mit den Frauen.« Godelind hatte die Arme untergestemmt, gar nicht gesonnen, dem Befehl des Fremden zu gehorchen, da sah sie, wie ihr Herr mit heftiger Handbewegung winkte, daß sie weiche, sie merkte, daß der flammende Blick des Fremden sich auf sie richtete, und ihr Mut wurde klein; sie riß die gefangene Slawin mit sich fort und eilte zur Tür. »Suche eine andere Herberge zur Nacht, Weib,« rief ihr Winfried nach, »denn die Zelle dieses Mannes betritt dein Fuß schwerlich wieder.« Hinter den Frauen schloß er die Tür, schob den Riegel vor und trat zu dem sprachlosen Memmo. »Ins Elend bist du gegangen, mein Genosse,« sprach er traurig, »und in übler Gesellschaft finde ich dich; ich komme, deine Seele zu mahnen. Auf die Knie, Meginhard, mein armer Bruder, und bekenne deine Übeltat, denn der Tag der Buße ist gekommen, siehe zu, daß du die Gnade des Richters erwirbst.«

      Betäubt fiel der Mönch vor dem Bischof auf die Knie


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