Die Ahnen. Gustav Freytag

Die Ahnen - Gustav Freytag


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bis in die Nähe des Sorbenbaches; ihre Spur fand ich den Tag darauf diesseits des schwarzen Wassers, sie selbst habe ich nicht gefunden.«

      Winfried wandte sich ab und rang heftig, seinen Zorn und Schmerz in demütiger Ergebung zu bändigen. Aber hart war sein Antlitz, als er sich wieder zu Ingram wandte. »Oft habe ich gehört, daß es einem Krieger wohl anstehe, seinem Reisegesellen in Gefahr an der Seite zu bleiben.«

      »Nicht ich habe deinen Boten als Gesellen gesucht, du selbst trugst mir ihn an. Ihn führte sein Gott, mich das Geschick, das mir die Götter meines Volkes fügten.«

      »Dennoch verkündet von dir der Ruf,« begann der Graf wieder, »daß du einen Genossen nicht ohne Not in der Wildnis verläßt; gefällt dir‘s, so sage uns, was dich von ihm geschieden hat.«

      Ingram sah finster zur Erde. »Nicht vermag ich‘s zu bergen, denn ruchbar wird es doch im Volke. Ich lag bei Ratiz verstrickt, widerwärtig rollten die Würfel, meine Freiheit hatte ich im Spiel verloren.«

      Die Versammelten regten sich unruhig, und viele erhoben sich von ihren Sitzen.

      »Übel bedacht war es, ein gutes Schwert der Thüringe an einen Sorbenwürfel zu wagen«, versetzte der Graf. »Ich hoffe, du hast billigen Loskauf gefunden.«

      »Die Hunde brachen mir die Treue,« rief Ingram, »sie weigerten die Lösung und gelobten mich ihrem Opferstein und dem Messer des Priesters. Ich aber brach in der nächsten Nacht aus, hinter mir schlug die Lohe zum Himmel, das Lager des Ratiz ist niedergebrannt.« Ein lauter Ruf des Staunens und Beifall ging durch die Versammlung, Herr Gerold stand schnell auf und trat zu Ingram. »Wahrlich, Mann,« rief er, »in kalten Worten kündest du, was deinem Volke wohl einen Sommer lang heiße Arbeit machen kann. Ich aber bin von meinem erlauchten Herrn Karl nicht in dies Land gesandt, um zu dulden, daß ferner Hufe und Klauen eurer Herden ostwärts getrieben werden. Und meinem Schwert hast du gute Botschaft gebracht, ob dir selbst, darüber mögen deine Landgenossen entscheiden. Hast du das Räubernest angezündet?«

      »Godes tat es, ein Knecht der Sorben, der uns die Rosse zur Flucht gab, ich sandte ihn heut auf einem meiner Hengste nordwärts in das Land der Sachsen, damit er die Rache der Sorben meide.«

      »Als ein wilder Knabe hast du gehandelt,« sprach der Graf, »und in eigener Sache deinem Volke einen Kriegsfall bereitet. Mich aber wundert, daß der Ratiz jetzt noch Frieden hält und sogar Geleit für Gesandte erbittet. Denn seine Boten harren bereits an der Grenze. Weißt du noch etwas zu künden, Ingram, was einen von uns angeht?«

      »Nur was mich angeht, Herr. Im Ringe der Edlen und Alten stehe ich, geschmäht kann ich nicht leben. Wenn jener Christ mir vorwarf, daß ich seinem Genossen die Treue brach, so habt ihr doch vernommen, daß seine Klage ungerecht war. Ich aber will seinem Boten, den sie Gottfried nennen, das Zeugnis geben, daß er als treuer Reisegenosse an mir gehandelt hat, obgleich ich seinen guten Willen mir nicht begehrte. Denn er bot sein eigenes Haupt dem Sorben für das meine und wäre zurückgeblieben an meiner Statt, wenn die Sorben und ich selbst seinen Antrag angenommen hätten. Und darum war mir leid, daß ich ihn in der Wildnis nicht fand, obwohl ich ihn mit meinen Gesellen drei Tage gesucht habe. Das sage ich euch, damit ihr es wisset, nicht dem Bischof, welcher mir widerwärtig denkt.«

      Als Ingram so trotzig gegen den Bischof sprach, entstand Gemurr der Christen und rühmendes Waffengeklirr der Heiden. Ingram aber fuhr fort: »Doch eine größere Sorge bedrängt mich, und darum will ich euch fragen. Ich bin dem Ratiz entwichen, weil er gegen den Vertrag an mir handeln wollte, aber ich fuhr ohne Lösung aus den Banden. Und die Sorben werden mich fortan einen entlaufenen Knecht schelten, das nagt mir am Herzen.« Er stampfte mit dem Fuße auf den Boden. »Wissen will ich, ob meine Landsleute mich auch dafür halten, und ob sie laut oder in der Stille beistimmen, wenn ein Feind im Lande solche Schmährede gegen mich wagt. Und denkt ihr darum niedrig von mir, so sattle ich zur Stelle mein Roß und reite aus dem Lande, so lange, bis ich den Ratiz und seinen Haufen finde und dort mir ehrliche Ausfahrt suche aus der Hülle meines Leibes.«

      Tiefe Stille folgte seinen Worten, endlich begann Asulf, der älteste unter den versammelten Edlen: »Verhält es sich, wie du sagst, haben die Sorben dir Schatzung versprochen und dich nachher für das Opfermesser bestimmt, so darf dich kein redlicher Mann darum schelten, daß du ihre Weiden zerschnitten hast, sobald du vermochtest. Daß du aber mit dem fremden Räuber um Roß und Schwert und deine Freiheit gespielt hast, solche wilde Tat liegt fortan auf deinem Leben, du mußt sie tragen und niemand kann dir die Last abnehmen. Mancher wird es für ein lustiges Wagstück halten, weil du dich doch wieder entledigt hast, mancher auch für eine Kränkung, die du dem Gedächtnis deiner Vorfahren zufügtest. Sorge, Held, daß deine Landgenossen in Zukunft anderes preisen, was du ruhmvoll tust.«

      Die Christen stimmten dem Häuptling bei und die Heiden schwiegen, aber keiner widersprach. Wieder war tiefe Stille, da begann Winfried: »Nicht meines Amtes ist es, über das weltliche Lob eines Kriegsmannes zu entscheiden, das steht euch allein zu, Häuptlinge des Volkes. Nur eines darf ich euch sagen, liebevoll und barmherzig ist der Gott, dem ich diene, und er richtet nicht nur über die Taten der Menschen, auch über ihre Gedanken. Manches wilde Werk beurteilt der Himmelsherr wohl gnädiger, weil er den Sinn des Menschen durchschaut. Gefällt‘s euch, ihr Edlen und Weisen, so fragt den Krieger, weshalb er so vermessen mit dem Sorben gewürfelt hat.«

      »Du hörst auch diese Frage, Ingram,« sprach der Graf, »willst du Antwort geben, so rede.«

      In Ingram kämpfte heftig Stolz und Abneigung gegen den Priester mit dem Wunsch, das zu sagen, was in den Augen seiner Landsleute wohl eine Rechtfertigung war, aber sein Trotz behielt die Herrschaft, der Schweiß trat auf seine Stirn, als er antwortete: »Ich will nicht.«

      Da erhob sich Kunibert und rief: »Da Held Ingram schweigt, will ich euch künden, was ich von seinem Diener Wolfram gehört habe. Um Walburg, das Frankenmädchen, die Tochter seines Gastfreunds, den die Sorben erschlugen, wagte er das Spiel, weil der Sorbe das Weib für sein Lager bestimmt hatte und nicht anders freigeben wollte.«

      Ein leises Summen ging durch die Versammlung, und die ernsten Mienen entwölkten sich. »War es für ein Weib, Ingram,« begann der Graf lächelnd, »und für das Kind deines Gastfreundes, so werden die jungen Gesellen und Mädchen deshalb von dir nicht schlechter denken. Ich aber rate dir, nicht in der Weise eines verzweifelten Mannes dein Pferd zu satteln. Harre, bis der Tag kommt, wo du in meiner Schar deine Rechnung mit dem Ratiz ausgleichst.« Er winkte ihm Entlassung, Ingram verließ schweigend den Meierhof, hinter ihm klang das Geräusch lebhafter Rede.

      Der Abend kam und das versammelte Volk lagerte sich zur Nachtrast; rings um das Dorf loderten die Feuer in der Niederung und auf den Bergen, die Männer saßen nach Dörfern und Geschlechtern gesondert, sprachen über die Ereignisse des Tages und über die große Veränderung, die der neue Bischof dem Land bedeute. Zwischen den Feuern schritt Winfried von den Priestern begleitet; wo er einem Christenhaufen nahte, erscholl lauter Heilruf, er trat grüßend heran und redete mit den Männern. Dann vernahm man den Klang eines Glöckchens, das Memmo trug, die Rastenden knieten um die Flamme, Winfried sprach das Abendgebet und erteilte den Segen. Wo aber ein Heidenhaufe saß, ging er wie ein Häuptling mit würdigem Gruß vorüber, er fand kalten Gegengruß und finstere Mienen, doch keiner wagte ihn durch Worte zu kränken, erst hinter seinem Rücken klangen leise Verwünschungen.

      Um den Rabenhof brannten die Feuer nicht, nur das letzte Abendlicht vergoldete die Linde, welche in der Mitte des Hofes stand. Dort saßen und lagen eine Anzahl ansehnlicher Heiden, ihre Mienen waren sorgenvoll, und um große Dinge ging ihr Gespräch.

      »Mich freut‘s, Ingram, daß du dem Fremden in der Versammlung so mutig widerstandest«, begann Bruno, Bernhards Sohn, zu dem Genossen, der die Augen abwärts gekehrt neben ihm auf dem Boden lag. »Doch auch dem Fremden muß ich die Ehre geben wegen der Worte, die er zuletzt über die Würfel sprach. Denn gewichtig war die Mahnung, daß man auch die Gesinnung eines Mannes bedenken soll.«

      »Schlau ist seine Rede und hinterhaltig sein Sinn,« rief Ingram zornig von der Erde, »die Franken am Main taten klug daran, mir sein Amt zu verhehlen.«

      »Niemand wird leugnen,« fuhr Bruno fort, »daß er ein gewaltiger Mann ist; mächtig verkündete er heut vor allen; er schrie wie der Sturmwind schreit. Unerhört ist es


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