Die Ahnen. Gustav Freytag
himmlischen Liebe.«
Immo verließ gern das Beet und sah achtungsvoll auf die Rose, aber anderes lag ihm mehr im Sinn. »Zeige sie auch dem neuen Magister, welcher, wie man sagt, aus der Fremde gekommen ist, um die Schüler Dialektik zu lehren.«
»Du hast die Wahrheit gehört«, versetzte der Alte vorsichtig.
»Dann, Vater, sage ihm, wenn du vermagst, Gutes von mir, denn ich fürchte, andere werden ihm allerlei Nachteiliges in das Ohr raunen. Leidvoll wäre es mir, wenn er feindselig gegen mich handelte, denn er kennt meine Mutter und mein Geschlecht, er hat die Macht, mir zu schaden, und seine Fürsprache mag mir helfen, daß ich von der Schülerbank gehoben werde. Allzulange, mein Vater, trage ich, wie du weißt, dies Gewand.«
»Sorge du nur, ihm zu gefallen,« mahnte der Alte, »er hat wohl selbst Augen und wird schwerlich der Meinung anderer folgen. Mir scheint, er hat dich bereits gesehen, da du unter den Dohlen saßest.«
»Die Pusillen in der Schule, welche noch nicht fünfzehn Jahre sind, fürchten sehr seine Rute, es wäre gut für ihn und uns, wenn er Nachsicht übte. Die erste Bank ist harter Streiche nicht gewöhnt, und er wird es schwer finden, das edle Blut über die Bank zu legen.«
»Dennoch rate ich dir nicht, ihm das zu sagen,« versetzte der Gärtner, »du selbst möchtest dafür büßen. Jetzt aber wende dich abwärts, Immo, dort naht Bruder Bertram aus dem Friedhofe. Unrecht war es, hier ohne Erlaubnis einzudringen.«
»Gerade seinetwegen kam ich zu dir, mein Vater, und ich flehe, daß du bei ihm mein Fürsprecher werdest. Denn ganz unsicher sind die Tage meiner Zukunft, und wenn ich das Kloster verlasse, so weiß ich niemanden, der meiner Jugend mit gutem Rat zu Hilfe kommen wird. Dein Geselle aber hat im letzten Winter freiwillig verheißen, daß er mir, bevor ich aus dem Kloster scheide, als Gabe die Weisheit übergeben will, welcher die Männer seines Geschlechts in der Stille vertraut haben. Wenn er mich noch der geheimen Lehre für würdig erachtet, so ersehne ich, daß er sie mir jetzt oder doch bald einmal spende. Du aber zürne mir nicht, daß ich darum zu dir komme. Ich weiß ja, Vater, daß du mir nichts Übles sinnst, denn ich fand gestern in der Ecke bei dem Nest der Rotkehlchen einen Binsenkorb voll Kirschen, und ich weiß auch, wer ihn hingestellt hat.«
Der Alte lächelte vergnügt. »Die Rotkehlchen sind listige Vögel, sie tragen mancherlei hin und her. Auch ich fand in diesem Frühjahr, als mir meiner Sünden wegen die Gicht in die Hand gefahren war, ein paar Fausthandschuhe von Otterfell bei meinem Gerät, ich habe nicht gefragt, woher sie kamen.« Er sprach das letzte zu seinem Gesellen Bertram, der langsam herangewandelt war und ebenfalls sein Grabscheit in der Hand hielt. Die beiden Alten blickten einander bedeutsam an, und Bertram, welcher der ernsthaftere war, setzte das Gespräch fort, als wenn er die früheren Reden gehört hätte und begann feierlich: »Darum nahest du auch jetzt zu günstiger Stunde, denn heut‘ ist der Tag, wo ich dir schenken will, was ich dir einst versprach, und was ich bis jetzt als mein Geheimnis bewahrte, wie ich es von einem Oheim erhielt, der es als Kriegsmann in der größten Not seines Lebens erprobt hat. Mir selbst vermag es nicht zu dienen, denn es ist ein Gut für Weltleute und nicht für Mönche, dir aber kann es wohl frommen, denn ich merke, dein wilder Mut wird dich bald einmal über den Zaun des Klosters hinaustreiben. Tritt abwärts aus der Sonne in den Schatten eines Fruchtbaumes, denn nur im Dunkeln darf ich dir‘s geben.« Der Alte wandte sich einer Ecke des Gartens zu, wo ein großer Apfelbaum seine Zweige tief zur Erde breitete, ehrfürchtig folgte ihm der Jüngling, Sintram machte den Beschluß. So schritt Immo zwischen den beiden Spatenträgern in den Baumschatten, dort blieb Sintram im Sonnenlichte zurück, Bertram aber trat an den Stamm und winkte den Jüngling nahe zu sich. Er stützte den Spaten an den Baum, faltete die Hände und murmelte sein Kredo, dann begann er feierlich: »Vielerlei Lehren gibt es, welche den Mann fest machen, wenn seine Gedanken sich unsicher wälzen; und die heilsamsten von allen sind die heiligen Befehle, welche verkündet sind. An diese gedenke vor anderen. Die Lehren aber, welche ich für dich bereit halte, vermögen dir nicht zu helfen in der Freude und nicht beim Gelage und nicht bei Kauf und Verkauf, aber sie sind gute Helfer in der Not. Neige dein Ohr zu mir, damit das Geheimnis meiner Gabe bewahrt bleibe, und gelobe mir, daß du sie nicht auf die Zunge nehmen und von dir geben willst außer an einen ehrlichen Mann in guter Meinung.«
Das gelobte Immo.
Da pflückte Bertram vier Grashalme von der Erde, reichte dem Jüngling einen in seine Hand und sprach feierlich: »Drei Lehren sind es, und eine, mit denen ich dich begabe, öffne dein Ohr und halte sie fest. Die erste bedeutet, daß dem Manne nicht geziemt zu dienen, wo er gebieten darf; und sie lautet:
›Birg niemals in die Hand eines Herrn, was du allein behaupten kannst.‹«
Und als Immo die Worte wiederholt hatte, reichte Bertram den zweiten Halm: »Dieser Spruch soll dich mahnen, wenn du einem Freunde unwillkommene Kunde ins Haus trägst, daß du sie ihm vertraust, bevor der Staub auf deinen Schuhen verweht ist; und der Spruch lautet:
›Üble Botschaft auf der langen Bank, macht dem Boten und dem Wirt das Herz krank.‹«
Zum dritten Halm sprach er:
»Mißachte den Eid, der in Todesnot geschworen wird. Wer dir Liebes gelobt, sich vom Strange zu lösen, der sinnt dir Leid, so oft er des Strickes sich schämt.«
Und beim vierten gebot er:
»Deines Rosses letzter Sprung, deines Atems letzter Hauch sei für den Helfer, der um deinetwillen das Schwert hob.«
Als Immo jeden Spruch nach Gebühr wiederholt hatte, beschloß Bertram die Begabung, indem er gerührt sagte: »Es ist Brauch, daß der Spender heilsamer Lehren ein Entgelt dafür erhalte. Da du wenig hast und ich wenig nehmen darf, so hoffe ich, die guten Engel werden dir jene Pelzhandschuhe als Gegengabe anrechnen. Wegen des Otterfells aber hat dich der Gerber verraten, und wir wissen auch, daß dir‘s Herr Bernheri geschenkt hat, als du ihm die Otter lebendig brachtest. Und jetzt neige dein Haupt, mein Sohn Immo, damit ich dich segne; denn du hast die Weisheit meiner Vorfahren empfangen, und ich will flehen, daß sie deinem Leben nütze, wie sie denen genützt hat, die sie vor dir besaßen. Wenn du sie aber mißachtest und ihr zuwider handelst, so siehe zu, daß die Verachtung sich nicht an dir räche.« Immo beugte das Haupt in die Hand des Alten und empfing den Segen. Dann traten sie wieder aus dem Schatten in die Sonne, die beiden Greise blickten einander zufrieden an und führten ihren Günstling zur Gartentür, dort begann Sintram: »Merke auch noch dies von meinetwegen. In all deiner Zukunft sorge dafür, daß du immer jemanden hast, der für dich zu dem Himmelsherrn betet. Jetzt tut mein Bruder Bertram dies täglich für dich, und auch ich gedenke des Abends deiner. Denn wir haben dein Gemüt längst erkannt, obgleich du unbändig dahinfährst. Aber wir beide sind alt. Oft hören die Himmlischen nicht gern die Worte eines Bedrängten, weil er ihnen durch seine Missetat verleidet ist, wenn aber ein anderer für ihn bittet, so fühlen sie leichter Erbarmen. Unselig ist auf Erden nur der, welcher in der Not allein die Hände faltet ohne einen Helfer. Darum gehe in Frieden, Immo, und denke auch darauf, daß du dem Präpositus nicht mißfällig wirst.«
Immo sah bewegt den beiden Alten in die freundlichen Gesichter, welche einander ähnlich waren wie zwei Äpfel desselben Baumes, er neigte sich tief vor ihnen und entwich. Langsam schritt er die Hecke entlang, setzte sich endlich in den Schatten einer Mauer und wiederholte und bedachte in der Stille die Lehren des Bertram. Dann sprang er auf und schritt dem Hofe der Reisigen zu, der vor der großen Klosterpforte neben dem Haus des Pförtners stand. Dort lagen im Wachthause zu jeder Zeit einige kleine Dienstmannen des Klosters, und dort weilte Immo am liebsten; er hatte daselbst auch seine besten Genossen, obgleich die Dekane das nicht zu wissen brauchten.
Als er in den Hof trat, fand er eine Reihe Heuwagen, welche von den Knechten entladen wurden, während ein bejahrter Dienstmann im Schuppenhemd, die Blechkappe in der Hand, neben seinem Rosse stand und geduldig den Arbeitenden zusah. »Gib mir ein Pferd, Hugbald,« begann Immo leise zu dem Kriegsmann, »daß ich mit dir reite.«
Hugbald blickte bedeutsam nach dem Stall und wies auf einen handfesten Mönch zwischen den Heuwagen – es war der Bruder, welcher dem Pförtner in seinem schweren Amt als Trost beigegeben war. Immo verschwand in dem Stalle. Als die entlasteten Wagen zum geöffneten Tor hinausfuhren, bestieg auch der Reisige sein Roß, hielt unter dem Tore an und sprach mit dem Mönch, der