Die Ahnen. Gustav Freytag
lieb, daß sie mich gefangen haben. Ich weiß nicht, woher das kommt, wenn mir nicht darum so wohl ist, weil ich neben dir sitze und mit dir aus einem Becher trinke. Wonnig ist mir zumute, und ich möchte wohl einmal aus Herzensgrund aufjauchzen oder auch singen. Aber mein Gesang würde nicht jedermann freuen, denn meine Stimme ist rauh. Noch anderes Recht habe ich als dein Geselle, und auch das sollst du wissen. Denn küssen darf ich dich, wenn ich will.«
Hildegard erschrak und wandte sich ab: »Hüte dich, daß der Vater das nicht hört, schnell würde dein Ehrensitz dir genommen werden.«
»Um den Vater sorge ich nicht, nur um deinen Zorn,« versetzte Immo übermütig, »und daß ich dich vor den Kriegsleuten nicht beschäme. Aber wenn ich dich einmal allein wiedersehe, dann bestehe ich auf meinem Recht. Mögen die guten Engel fügen, daß dies bald geschehe.« Und er sang halblaut die Worte des Hymnus: »Audi, benigne Conditor, nostras preces cum fletibus.«
Das Mädchen nahm die Weise auf und sang halblaut andere Zeilen des Liedes entgegen: »Dona, per abstinentiam jejunet ut mens sobriaErhöre, gütiger Schöpfer, unser Gebet und Flehen. – Gib, daß durch Enthaltsamkeit sein Sinn mäßig und nüchtern werde. . Flehe zu den Heiligen, daß du nüchtern wirst, denn wie ich höre, redest du gleich einem Berauschten.«
»Wie du geschickt zu entgegnen weißt,« rief Immo begeistert, »du bist ein sinnvolles Weib, wenn du mich auch verhöhnst.«
Der Graf hatte unterdes mit seinen Mannen emsig dem Wildbret und starken Bier zugesprochen und nur einzelne Reden mit den Vertrauten, welche ihm zunächst saßen, gewechselt, jetzt lehnte er sich zufrieden auf dem Stuhle zurück und hörte die lateinischen Worte des Hymnus, welche seine Tochter sprach. »Merkt auf unsere Klosterleute,« rief er, »sie summen nach Art der Mönche mit geneigten Köpfen,« und da er im geheimen stolz auf das Wissen seiner Tochter war, fuhr er fort: »Fremde Worte sprechen mag jeder, aber das Gesprochene verstehen ist schwerer. Vermagst du einzusehen, Immo, was das Mädchen zu dir gesungen hat?«
»Ja, Herr,« versetzte Immo, »sie mahnt mich, mäßig zu sein, damit Euer Trank mir nicht das Hirn betäube.«
»Allzustreng ist Hildegard,« lachte der Graf, »dir soll auch einmal etwas Gutes gegönnt sein. Obwohl ich erkenne, daß es dir an Dreistigkeit nicht fehlt, du junger Zaunkönig. Denn Zaunkönige nennt ja wohl das Volk die Männer deines Geschlechtes.«
Immo bezwang mit Mühe den aufsteigenden Zorn. »Weil meine Vorväter als alte Landherren auf freiem Erbe saßen, deshalb haben die Mönche ihnen im Scherz den Namen Reguli, kleine Könige, gegeben.«
Da rührte sich auch Egbert, ein unfreier Dienstmann des Grafen, welcher stattlich im roten Gewande dasaß, weil er der Sprecher war und ein Liebling seines Herrn, und rief spottend in den Saal: »Eine Sage weiß ich. Als die Vögel den Genossen zum König wählen wollten, der sich am höchsten schwingen würde, barg sich ein Zwerg von Vogel in den Federn des Adlers und ließ sich hinauftragen bis dahin, wo er den Weltenherrn auf seinem Stuhle sah, dort flatterte er über das Haupt des Adlers und piepte: König bin ich. Da lachte oben der alte Gott in seiner Halle, und unten schrien die Vögel im Zorn, bis der Herr des Erdgartens gebot, daß der Betrüger seine Krone nur heimlich in den Waldhecken tragen dürfe, wo ihm niemand zusieht. Darum heißt auch ihr Zaunkönige, weil eure Herrlichkeit im Busch versteckt ist.«
Immo erhob sich im hellen Zorn und rief: »Nicht dem Diener antworte ich, sondern dem Herrn. Ihr selbst habt es ja wohl erfahren, Graf Gerhard, daß die Helden meines Geschlechtes ihr Haupt nicht in der Waldhecke bergen. Nie hat einer von meinen Ahnen sein Land vom König oder von der Kirche zu Lehen genommen, wie die erbelosen Franken und Sachsen, welche von der Dienerbank in das Land kamen, um bei uns Grafen zu werden. Manchen weiß ich, der sich jetzt rühmt, ein Edler zu sein, weil er als Diener eines Königs mit großem Gefolge reitet, obgleich seine Vorfahren aus der Küche und aus dem Stall geschlüpft sind.«
Mißtönender Lärm erhob sich an den Bänken, und die Hand des Grafen Gerhard griff nach dem Messer, das er an seiner Seite trug, der Jüngling aber sah mit blitzenden Augen über die Versammlung, stattlich stand er da trotz seinem Schülerkleide und rief laut in das Getöse: »Zürnt mir nicht, starke Helden, daß ich als ein unberühmter Jüngling vor euch meine Stimme erhebe, wenn man seinem Geschlechte durch stechende Worte die Ehre mindert. Auch zu Euch, Graf Gerhard, flehe ich, daß Ihr ohne Kränkung vernehmt, was ich nur zur Abwehr sprach. Heil trinke ich Euch und Euren Kindern, und Dank sage ich Euch, wie dem Gaste gebührt.« Er leerte den Becher und setzte sich.
Der Graf barg seinen Groll hinter gezwungenem Lachen. »Ich höre, du hast unter den Mönchen gelernt, mit zwei Zungen zu reden.«
»Überall rühmen die Leute,« versetzte Immo, »daß die Zunge eine gute Waffe ist, und wir Schüler haben, wie Ihr wißt, vor anderen darin Ruf.«
»Oft haben auch wir erfahren, wie scharf die Zunge der Mönche schneidet,« entgegnete der Graf, »vor anderen aber bei den Mönchen des Wigbert, und wir alle wissen, daß ihr dort sehr ungeistlich lebet und der Gebete für arme Seelen wenig gedenkt. Auch von dir selbst, Immo, erinnere ich mich, gehört zu haben, daß du wild in dem Kloster hausest und sogar den Mönchen üble Streiche spielst. Soll deine Rede mir besser gefallen als seither, so berichte ein wenig von deinem Streit mit den Geschorenen.«
»Verzeiht, Herr,« versetzte Immo ernsthaft, »die Rinder kämpfen oft mit ihren Hörnern gegeneinander, wenn aber der Bär naht, dann schließen sie sich einmütig zusammen und weisen ihm die bewehrte Stirn; so wäre auch mir Unrecht, an fremdem Tisch von den Vätern Übles zu berichten, denn als ein Kind des heiligen Wigbert hast du mich ergriffen.«
»Du sorgst schlecht für dein Wohl,« rief der Graf zornig, »wenn du dein Kloster in dieser Halle rühmst. Denn undankbar und treulos haben Wigberts Mönche an mir und meinem Geschlecht gehandelt. Oft habe ich mich enthalten, ihnen Übles zu tun, wo ich es doch vermocht hätte, und mühsam habe ich den Zorn meiner Mannen gebändigt, wenn sie die Rinder des Klosters begehrten und den Übermut eurer Dorfleute ansahen. Auch wegen der Wiesen und Fluren, von denen ich heut den geschorenen Schwarm vertrieben habe, ertrug ich schon lange das Unrecht. Denn meinem Vater gehörte der ganze Grund, und er hat ihn, wie die Mönche behaupten, dem Kloster zugeschrieben, da ich noch jung war, unter der Bedingung nämlich, daß sie seine arme Seele von dem Höllenfeuer frei beten sollten. Dies aber haben sie uns zum Unheil und zur Schmach versäumt. Und ihr alle sollt es wissen, was mir begegnet ist, damit ihr mein Recht gegen die Wigbertleute erkennt. Jämmerlich war das Gesicht, welches ich neulich hatte, da ich auf meinem Bette lag.« Er bekreuzigte sich heftig und fuhr fort: »Ich sah im Traum eine unselige Gestalt von Flammen umgeben und mit glühenden Ketten an den Beinen gefesselt, und ich erkannte, daß sie so gestaltet war wie mein Vater, da er lebte. Der traurige Geist wies auf den Grenzhügel, welchen die Mönche nach der Schenkung neu geschüttet haben, und seufzte: Mein war es, und dein soll es wieder sein. Mir fuhr das Entsetzen durch den Leib, bis die Gestalt verschwand. Daraus erkannte ich deutlich, daß die Geschorenen als Lügner an meinem Vater gehandelt haben, oder auch, daß ihr Gebet ganz unwirksam geworden ist, weil sie in Weltsünden leben; und darum beschloß ich, mein Eigentum wieder zurückzufordern. Vermag Wiese und Feld nicht meinem Ahn einen guten Sitz in der Himmelsburg zu erwerben, so soll dasselbe Land doch solchen, die mir treu sind, einen warmen Sitz auf Erden bereiten; denn es wird dazu helfen, zwei bis drei Kriegsleute mit ihren Rossen zu erhalten, wenn ich es ihnen als Lehn zuteile.«
Ein freudiges Geschrei ging um die Tische, und laute Heilrufe erklangen dem Sprecher. Der Graf tat einen herzhaften Trank und sah zufrieden über seine Bewaffneten. »Dies sage ich in deiner Gegenwart, Immo. Denn obgleich du dich heut trotzig an meinem Tische gebärdest, so will ich dich doch morgen zu deinem Abt entsenden, damit du ihm meine Beschwerde verkündest. Ich wähle aber dich, weil ich merke, daß du recht gut verstehst, deine Worte zu setzen, und weil ich dich als nutzlosen Schüler nicht im Kerker bewahren mag. Die Geschorenen, welche mein Gesinde fing, habe ich entlassen, damit sie nicht als Gefangene in meinen Mauern Unheil herabbeten, die Klosterknechte aber halte ich in Banden, bis dein Abt sie auslöst oder sich mit mir wegen der Wiesen verträgt. Und ich fordere, daß er sich mit der Lösung beeile, wenn er sie lebend wiedersehen will, da ich sie nicht lange zu füttern gedenke. Den Hugbald aber bewahre ich zu anderem Tausch. Denn zwei meiner Knechte, sattelfeste Knaben, liegen auf der Burg des Abtes verstrickt,