Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski

Die Inseln der Weisheit - Alexander  Moszkowski


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»Die Homöomerien des Anaxagoras in ihrer Anwendung auf die Prüfung der Konsistenz des weiblichen Busens.«

      »Warum ist Glaukon, der bei Plato hohnvoll von einer »Schweinerepublik« redet, nicht hingerichtet worden?«

      »Wenn Plato fordert, daß der Staatsbeschützer schlechterdings Philosoph sein muß, wenn er andererseits feststellt, er müsse sich benehmen »wie ein tüchtiger Hofhund«, – welche Merkmale ergeben sich hieraus für den Logos, die Dialektik und die Syllogismen der Hofhunde?«

      »Entwurf einer buntillustrierten Kinderfibel mit den Anfangsgründen der Aristotelischen Topik und Metaphysik.«

      Im Anschluß hieran gab der Sprecher bekannt, daß den Anwesenden besonders gute Plätze auf den Straßentribünen zur Verfügung ständen. Der Festzug begänne morgen nachmittag um vier Uhr nach mittelpolynesischer Zeit. Er fügte hinzu: Wie alle unsere Veranstaltungen wird auch dieser Zug vom Geiste der Philosophie durchweht sein, das Wort im Sinne der Fakultät genommen, also mit Einschluß der Physik, Mathematik und Astronomie. Er wird dartun, daß auf diesen Gebieten die hohe Einsicht sich sehr wohl mit einer liebenswürdigen, eleganten, ja sogar heiteren Darstellung verträgt. Dieser Festzug der Wissenschaft soll also zugleich ein Zug der Fröhlichkeit werden. Unsere verehrten Gäste werden hier wiederum Anlaß zu Vergleichen finden. Es ist uns aus den Berichten unserer Emissäre, wie aus bildlichen Darstellungen, die sie mitbrachten, bekannt geworden, daß auch in Europa gewisse Züge mit launigem Anstrich veranstaltet werden, insonderheit zu Zeiten, die sie wegen des Nahrungsmangels Fleischabschied nennen, Carnevale. Derartige karnevalistische Umzüge spielen dort namentlich in Rom eine Rolle, wie auch in einer hierorts fast unbekannten Stadt Colonia-Agrippina, die neuerdings Köln heißt. Es bleibt unverständlich, wieso die Europäer daran Gefallen finden können, da sie ihren Gruppen grundsätzlich ein ganz verfehltes Programm unterlegen: sie glossieren und verspotten darin ihre eigenen politischen und sozialen Zustände, mithin Dinge, die gar nicht karikiert werden können, da sie ja schon an sich und in natura Karikaturen sind. Eine sinnvolle Beziehung ermöglicht sich erst dann, wenn ernste, edle, als gültig anerkannte Themen der Parodie und Travestie untergelegt werden, also wissenschaftliche Dinge, denen wir eine volksmäßig derbe Physiognomie abgewinnen, und die gleichsam vom Genius der Heiterkeit bestrahlt, humoristische Schatten werfen. – Herr Yelluon machte uns darauf aufmerksam, daß wir gar nicht nötig hätten, uns in eine Tribüne einpferchen zu lassen, da wir den Zug weit bequemer von den Fenstern unserer Wohnung aus betrachten könnten, bei der er in voller Ausdehnung vorbeikäme. Das war uns natürlich sehr erwünscht, schon unserer Dame wegen, die auf der freien Tribüne unter den grellen Sonnenstrahlen gelitten hätte.

      Ich beabsichtige keineswegs, den ganzen Verlauf des Zuges reporterhaft zu schildern. Nur einige wenige Einzelheiten seien herausgegriffen.

      Da kam auf einem geschmückten Wagen Demokrit, der lachende Philosoph, umgeben von den Bürgern seiner Vaterstadt, den Abderiten, welche pappene Schafsnasen trugen, während sich die schönen Abderitinnen im Federkleid der Gimpel präsentierten. Hier sollte in einem sinnvollen Auftakt gezeigt werden, wie sich ein echter Philosoph aus den Nöten der menschlichen Torheit in göttlichem Gelächter befreit. Dieser Demokrit (im Zivilberuf Komiker des Staatstheaters von Balëuto) verstand nun in der Tat so anhaltend und dröhnend zu lachen, daß er mit seinen Explosionen die ganze Bevölkerung ansteckte. Und mit dem Krimstecher nahm ich wahr, daß eine der vollbesetzten, vom Staatsarchitekten erbauten Tribünen unter der Wucht des allgemeinen Lachgeschüttels zusammenkrachte. Was, abgesehen von den zahlreichen Zerdrückten und Verwundeten, ein schönes Zeugnis ablegte für die Zweckmäßigkeit und Kalokagathie eines Gelächters, wie es nur aus den seelischen Gründen eines gereiften Weltweisen entströmen kann.

      Die Hauptfigur eines anderen Wagens war der Philosoph Empedokles aus Agrigent, der sich bekanntlich um die profundesten Tiefen des Seins und Werdens zu erforschen, anno 430 vor Chr. in den glühenden Schlund des Ätna gestürzt hat. Dieser epochale Vorgang wurde auf dem Gefährt durch einen Miniaturvulkan wiedergegeben, in dessen Inneren der Staatspyrotechniker ein sprühendes und seiner Versicherung nach gänzlich unschädliches Feuerwerk (flamma frigida) angebracht hatte. Der große Empedokles sprang also periodisch oben hinein, kroch unten aus einer Klappe wieder hervor und setzte diese erkenntniskritische Übung fort, so lange der Zug währte. Oder wenigstens beinahe so lange. Denn eine Viertelstunde vor Schluß des Festes zog man ihn verkohlt aus dem hübschen, aber, wie sich herausstellte, doch nicht ganz ungefährlichen Ätna. Und die Duplizität der Ereignisse fügte es, daß sich auf einem anderen Wagen, der den Feuertod des Philosophen Giordano Bruno ebenfalls mit flamma frigida versinnbildlichte, eine ähnliche Episode ereignete.

      Sehr lustig ging es dagegen auf einem Aufbau zu, der das Platonische »Gastmahl« in einer lebensechten, dem Texte Platos nachgeformten Gruppe abbildete. Da saßen sie, die pokulierenden Wahrheitsfinder des Altertums, bei denen sich zum ersten Mal die ganze Bedeutung des Wortes offenbarte: in vino veritas. Man konnte es ordentlich verfolgen, wie der Geist der Getränke in den Zechgenossen aufstieg, um in Gasen der Erkenntnis aus ihren beredten Mündern herauszudünsten. Mit parodistischer Freiheit war dafür gesorgt worden, daß bei diesem akademischen Gelage der Sokrates doch noch etwas mehr in sich hineinpumpte, als er nach Platos Erzählung vertrug. Zu den geschichtlich beglaubigten, ungeheuerlichen Quantitäten, die er damals konsumierte, tat er hier noch ein Übriges, so daß er schließlich wie ein besoffenes Schwein unter den Tisch des Agathon fiel; was ihn nicht hinderte, auch noch in diesem Zustande, gleichsam im delirium tremens, fortzuphilosophieren und dem Aristodemus die herrlichsten Offenbarungen über die Unsterblichkeit der Seele entgegenzurülpsen. Der Aristophanische Effekt der fahrenden Gruppe bewährte sich vollkommen, und ich muß sagen, daß mir aus dieser eindringlichen Pantomime die Bedeutung des Symposion klarer geworden ist, als aus der Lektüre des Platonischen Originals.

      Auch der Tanz kam zu seinem Recht, und zwar in Verbindung mit Geometrie und Astrophysik, also in einem weiten Horizonte, der von den Pythagoreern bis in die Neuzeit reichte.

      Auf einer von acht himmelblau lackierten Stuten gezogenen Plattform, die das Universum vorstellte, erblickte man als Zentralkörper die Sonne in Form einer Matrone mit Strahlendiadem. In kurzen Abständen von ihr kreisten die Planeten, nämlich Merkur, Mars, Jupiter bis Neptun als Jünglinge, während Venus, die Erde und die Asteroiden durch entzückend kostümierte, beziehungsweise entkostümierte Mädchen verkörpert wurden. (Der halblaute Zuruf des Doktor Wehner: »Asteroiden mit Krätze« machte mir keinen besonderen Eindruck, da ja die Gestirne überhaupt nach Hegel nichts anderes sind, als ein leuchtender Aussatz am Himmel.) Hier nun vollführten die Planeten um die Sonne Tanzbewegungen, die ganz genau den Keplerschen Gesetzen entsprachen, und es war eine Freude zu sehen, wie streng in den getanzten Ellipsen die Proportionen zwischen den Quadraten der Umlaufszeiten zu den Kuben der Entfernungen herauskamen. Auch hier zeigte sich der Segen der von Plato so dringend empfohlenen mathematischen Disziplin: als der Knabe Merkur einmal einen kleinen Verstoß gegen Kepler beging, erhob sich die Sonne vom Thron und gab ihm eine zentrifugale Ohrfeige, so daß der irrende Stern aus dem Universum hinaus aufs Straßenpflaster flog.

* * *

      Nachdem wir unsere Studien auf der Insel abgeschlossen hatten, erklärten wir unserem freundlichen Herbergsvater, daß wir nunmehr unsere Entdeckungsreise nach weiteren Gebieten auszudehnen wünschten. Er versuchte auf alle erdenkliche Weise, uns noch zurückzuhalten und machte sich anheischig, den Herren für nächste Woche eine Beteiligung an der bevorstehenden Jungfern-Lotterie zu verschaffen. Der Kapitän Ralph Kreyher schien auch wirklich schwankend zu werden, allein er wurde überstimmt, und wir schickten uns an, mit Dankesworten Abschied zu nehmen.

      Wider Erwarten präsentierte uns der Wirt eine Rechnung. Wieso? Wir hatten doch gehört, daß wir uns als Gäste der Stadt zu betrachten hatten? Ja, das stimmte schon, allein der vom Stadtkämmerer ausgestellte Freischein mußte verstempelt werden, und dieser Stempel ging zu unseren Lasten; die Gebühr betrug mehr, als der Aufenthalt im ersten Gasthof gekostet hätte. Ad 2 wurde die Fenstermiete für die Besichtigung des Festzugs aufgeschrieben. Denn – so erläuterte jener – die städtische Gastlichkeit erstrecke sich zwar auf Obdach und Verpflegung, aber nicht auf Dinge außerhalb der Wohnung; und nach Plato wäre zu unterscheiden zwischen der Idee des Fensters an sich und der Idee des Fensters als optischen Hilfsmittels. Ad 3 fiel nach einer Magistratssatzung der Kaffee nicht unter den Begriff der Beköstigung.


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