Ansichten der Natur. Alexander von Humboldt

Ansichten der Natur - Alexander von Humboldt


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gleichsam ahndungsvoll durch die Sprache den alten Zustand der Dinge bezeichnend, da jene Erhöhungen Untiefen, die Steppen selbst aber der Boden eines großen Mittelmeeres waren.

      Noch gegenwärtig ruft oft nächtliche Täuschung diese Bilder der Vorzeit zurück. Wenn im raschen Aufsteigen und Niedersinken die leitenden Gestirne den Saum der Ebene erleuchten oder wenn sie zitternd ihr Bild verdoppeln in der untern Schicht der wogenden Dünste, glaubt man den küstenlosen Ozean vor sich zu sehen. Wie dieser erfüllt die Steppe das Gemüt mit dem Gefühl der Unendlichkeit und durch dies Gefühl, wie den sinnlichen Eindrücken des Raumes sich entwindend, mit geistigen Anregungen höherer Ordnung. Aber freundlich zugleich ist der Anblick des klaren Meeresspiegels, in welchem die leichtbewegliche, sanft aufschäumende Welle sich kräuselt; tot und starr liegt die Steppe hingestreckt wie die nackte Felsrinde eines verödeten Planeten.

      In allen Zonen bietet die Natur das Phänomen dieser großen Ebenen dar; in jeder haben sie einen eigentümlichen Charakter, eine Physiognomie, welche durch die Verschiedenheit ihres Bodens, durch ihr Klima und durch ihre Höhe über der Oberfläche des Meeres bestimmt wird.

      Im nördlichen Europa kann man die Heideländer, welche, von einem einzigen, alles verdrängenden Pflanzenzuge bedeckt, von der Spitze von Jütland sich bis an den Ausfluß der Schelde erstrecken, als wahre Steppen betrachten, aber Steppen von geringer Ausdehnung und hochhüglichter Oberfläche, wenn man sie mit den Llanos und Pampas von Südamerika oder gar mit den Grasfluren am Missouri und Kupferflusse vergleicht, in denen der zottige Bison und der kleine Moschusstier umherschwärmen.

      Einen größeren und ernsteren Anblick gewähren die Ebenen im Innern von Afrika. Gleich der weiten Fläche des Stillen Ozeans hat man sie erst in neueren Zeiten zu durchforschen versucht; sie sind Teile eines Sandmeeres, welches gegen Osten fruchtbare Erdstriche voneinander trennt oder inselförmig einschließt, wie die Wüste am Basaltgebirge Harudsch, wo in der dattelreichen Oasis von Siwa die Trümmer des Ammon-Tempels den ehrwürdigen Sitz früher Menschenbildung bezeichnen. Kein Tau, kein Regen benetzt diese öden Flächen und entwickelt im glühenden Schoß der Erde den Keim des Pflanzenlebens. Denn heiße Luftsäulen steigen überall aufwärts, lösen die Dünste und verscheuchen das vorübereilende Gewölk.

      Wo die Wüste sich dem Atlantischen Ozean nähert, wie zwischen Wadi Nun und dem Weißen Vorgebirge, da strömt die feuchte Meeresluft hin, die Leere zu füllen, welch durch jene senkrechten Winde erregt wird. Selbst wenn der Schiffer durch ein Meer, das wiesenartig mit Seetang bedeckt ist, nach der Mündung des Gambia steuert, ahndet er, wo ihn plötzlich der tropische Ostwind verläßt, die Nähe des weitverbreiteten wärmestrahlenden Sandes.

      Herden von Gazellen und schnellfüßige Strauße durchirren den unermeßlichen Raum. Rechnet man ab die im Sandmeere neuentdeckten Gruppen quellenreicher Inseln, an deren grünen Ufern die nomadischen Tibbos und Tuaryks schwärmen, so ist der übrige Teil der afrikanischen Wüste als dem Menschen unbewohnbar zu betrachten. Auch wagen die angrenzenden gebildeten Völker sie nur periodisch zu betreten. Auf Wegen, die der Handelsverkehr seit Jahrtausenden unwandelbar bestimmt hat, geht der lange Zug von Tafilet bis Tombuktu oder von Murzuk bis Bornu: kühne Unternehmungen, deren Möglichkeit auf der Existenz des Kamels beruht, des Schiffs der Wüste, wie es die alten Sagen der Ostwelt nennen.

      Diese afrikanischen Ebenen füllen einen Raum aus, welcher den des nahen Mittelmeeres fast dreimal übertrifft. Sie liegen zum Teil unter den Wendekreisen selbst, zum Teil denselben nahe, und diese Lage begründet ihren individuellen Naturcharakter. Dagegen ist in der östlichen Hälfte des alten Kontinents dasselbe geognostische Phänomen mehr der gemäßigten Zone eigentümlich.

      Auf dem Bergrücken von Mittelasien zwischen dem Goldberge oder Altai und dem Kuen-lün von der Chinesischen Mauer an bis jenseits des Himmelsgebirges und gegen den Aralsee hin, in einer Länge von mehreren tausend Meilen, breiten sich, wenn auch nicht die höchsten, doch die größten Steppen der Welt aus. Einen Teil derselben, die Kalmücken- und Kirgisen-Steppen zwischen dem Don, der Wolga, dem Kaspischen Meere und dem chinesischen Dsaisang-See, also in einer Erstreckung von fast 700 geographischen Meilen, habe ich selbst zu sehen Gelegenheit gehabt, volle dreißig Jahre nach meiner südamerikanischen Reise. Die Vegetation der asiatischen, bisweilen hügeligen und durch Fichtenwälder unterbrochenen Steppen ist gruppenweise viel mannigfaltiger als die der Llanos und Pampas von Caracas und Buenos Aires. Der schönere Teil der Ebenen, von asiatischen Hirtenvölkern bewohnt, ist mit niedrigen Sträuchern üppig weißblühender Rosazeen, mit Kaiserkronen (Fritillarien), Tulpen und Cypripedien geschmückt. Wie die heiße Zone sich im ganzen dadurch auszeichnet, daß alles Vegetative baumartig zu werden strebt, so charakterisiert einige Steppen der asiatischen gemäßigten Zone die wundersame Höhe, zu der sich blühende Kräuter erheben: Saussureen und andere Synanthereen, Schotengewächse, besonders ein Heer von Astragalus-Arten. Wenn man in den niedrigen tatarischen Fuhrwerken sich durch weglose Teile dieser Krautsteppen bewegt, kann man nur aufrecht stehend sich orientieren und sieht die waldartig dichtgedrängten Pflanzen sich vor den Rädern niederbeugen. Einige dieser asiatischen Steppen sind Grasebenen, andere mit saftigen, immergrünen, gegliederten Kalipflanzen bedeckt, viele fernleuchtend von flechtenartig aufsprießendem Salze, das ungleich, wie frischgefallener Schnee, den lettigen Boden verhüllt.

      Diese mongolischen und tatarischen Steppen, durch mannigfaltige Gebirgszüge unterbrochen, scheiden die uralte, langgebildete Menschheit in Tibet und Hindostan von den rohen, nordasiatischen Völkern. Auch ist ihr Dasein von mannigfaltigem Einfluß auf die wechselnden Schicksale des Menschengeschlechts gewesen. Sie haben die Bevölkerung gegen Süden zusammengedrängt, mehr als der Himalaja, als das Schneegebirge von Sirinagur und Gorka den Verkehr der Nationen gestört und im Norden Asiens unwandelbare Grenzen gesetzt der Verbreitung milderer Sitten und des schaffenden Kunstsinns.

      Aber nicht als hindernde Vormauer allein darf die Geschichte die Ebene von Innerasien betrachten. Unheil und Verwüstung hat sie mehrmals über den Erdkreis gebracht. Hirtenvölker dieser Steppe: die Mongolen, Geten, Alanen und Usün haben die Welt erschüttert. Wenn in dem Lauf der Jahrhunderte frühe Geisteskultur gleich dem erquickenden Sonnenlicht von Osten nach Westen gewandert ist, so haben späterhin, in derselben Richtung, Barbarei und sittliche Roheit Europa nebelartig zu überziehen gedroht. Ein brauner Hirtenstamm (tukiuischer, d. i. türkischer Abkunft), die Hiongnu, bewohnte in ledernen Gezelten die hohe Steppe von Gobi. Der chinesischen Macht lange furchtbar, ward ein Teil des Stammes südlich nach Innerasien zurückgedrängt. Dieser Stoß der Völker pflanzte sich unaufhaltsam bis in das alte Finnenland am Ural fort. Von dort aus brachen Hunnen, Avaren, Chasaren und mannigfaltige Gemische asiatischer Menschenrassen hervor. Hunnische Kriegsheere erschienen erst an der Wolga, dann in Pannonien, dann an der Marne und an den Ufern des Po: die schön bepflanzten Fluren verheerend, wo seit Antenors Zeiten die bildende Menschheit Denkmal auf Denkmal gehäuft. So wehte aus den mongolischen Wüsten ein verpesteter Windeshauch, der auf zisalpinischem Boden die zarte, langgepflegte Blüte der Kunst erstickte.

      Von den Salzsteppen Asiens, von den europäischen Heideländern, die im Sommer mit honigreichen, rötlichen Blumen prangen, und von den pflanzenleeren Wüsten Afrikas kehren wir zu den Ebenen von Südamerika zurück, deren Gemälde ich bereits angefangen habe mit rohen Zügen zu entwerfen.

      Das Interesse, welches ein solches Gemälde dem Beobachter gewähren kann, ist aber ein reines Naturinteresse. Keine Oase erinnert hier an frühe Bewohner, kein behauener Stein, kein verwilderter Fruchtbaum an den Fleiß untergegangener Geschlechter. Wie den Schicksalen der Menschheit fremd, allein an die Gegenwart fesselnd, liegt dieser Erdwinkel da, ein wilder Schauplatz des freien Tier- und Pflanzenlebens.

      Von der Küstenkette von Caracas erstreckt sich die Steppe bis zu den Wäldern der Guyana, von den Schneebergen von Mérida, an deren Abhange der Natriumsee Urao ein Gegenstand des religiösen Aberglaubens der Eingebornen ist, bis zu dem großen Delta, welches der Orinoco an seiner Mündung bildet. Südwestlich zieht sie sich gleich einem Meeresarme jenseits der Ufer des Meta und des Vichada bis zu den unbesuchten Quellen des Guaviare und bis zu dem einsamen Gebirgsstock hin, welchen spanische Kriegsvölker, im Spiel ihrer regsamen Phantasie, den Paramo de la suma paz, gleichsam den schönen Sitz des ewigen Friedens, nannten.

      Diese Steppe nimmt einen Raum von 16 000 Quadratmeilen ein. Aus geographischer Unkunde hat man sie oft in gleicher


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