Schulmeisters Marie. Eugenie Marlitt

Schulmeisters Marie - Eugenie  Marlitt


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ugenie Marlitt

      SCHULMEISTERS MARIE

      Schulmeisters Marie

      Vor der grünen Tanne ging es toll und lustig zu. Damit ist jedoch nicht etwa jene schlanke, steife Tochter des Nordens gemeint, die im Sommer ihr dunkelgrünes, rauhhaariges Haupt im Sonnenlicht badet und zur Winterzeit, feenhaft geschmückt, eine einzige Gastrolle in der Kinderstube gibt – ein reizendes Debüt, das selbst in der Erinnerung uralter Leute einen geheiligten Platz behauptet. Diese Tanne also war es nicht, wohl aber die stattliche Schenke in dem thüringischen Dorfe Ringelshausen, in deren Schild ein derber Tannenbaum prangte, der bereitwillig wandernde Handwerksburschen, vornehme Städter und müde Kärrner unter seinem Schatten beherbergte und der nur denen seine spitzen Nadeln zeigte, welche die kabbalistischen Kreidestriche auf des Wirtes schwarzer Tafel nicht gebührendermaßen löschten.

      Es ging also toll und lustig zu und gab so vergnügte Gesichter, als ob, wie ein alter, fideler Bauer meinte, das ganze Leben für die Leutchen ein Tanz sei, zu welchem die lieben Engel im Himmel aufspielten. Was den Alten übrigens zu diesem Vergleich veranlassen mochte, das kann ich dem Leser so eigentlich nicht sagen. Die Musik war es nun einmal gewiß nicht, denn die tat ihr möglichstes zu beweisen, daß sie erdgeboren sei; besonders die Trompete entfaltete eine Energie, als gälte es, die geweissagten Posaunen am Jüngsten Tag zu unterstützen. Das schien indes den lustbeseelten Ringelshäusern nicht im entferntesten unangenehm zu sein, denn je wichtiger sich die Trompete machte, desto lauter klang ihr Jauchzen und Johlen.

      Es war Hochzeit – Grund genug, zehnfach lustig zu sein, da ein solches Freudenfest auf dem Lande für ein oder mehrere Jahre Salz und Würze bei allen übrigen Zusammenkünften geben muß. Es war aber auch ein prächtiger Tag, so golden klar, wie man ihn nur wünschen kann, wenn man im sorgsam geschonten, allerbesten Staate auf grünem Rasen und unter dem luftigen Dach der Lindenbäume den Hochzeitsreigen aufführen will. Eigentlich soll es der Braut in den Kranz regnen – das bedeutet das Wachstum der irdischen Güter; allein, es zeigte sich kein Wölkchen am Himmel, und die Versammelten verziehen es dem Himmel auch gar gern; denn im Grund genommen waren die segnenden Wassertropfen diesmal ziemlich überflüssig, weil ja ohnehin »Geldsack und Ackergrund« Hochzeit machten – des reichen Schulzen Tochter heiratete einen reichen Bauerngutsbesitzer aus der Umgegend.

      Eine stattliche Hochzeit war es in der Tat. Gäste und Zuschauer hatten sich so zahlreich eingefunden, daß man meinen konnte, alles, was im Dorfe Leben und Odem habe, sei hier versammelt. Nur in einem Häuschen, das mit seinen hellen Wänden und grünen Läden freundlich von einem sanften Abhang auf den Tanzplatz heruntersah, schien man sich ganz und gar nicht um die vor der Schenke entfaltete Pracht und Herrlichkeit zu kümmern. Ein schöner Mädchenkopf, sicher der schönste im ganzen Dorfe, bückte sich hinter dem blanken Fenster, das Weinranken und Rosenzweige halb bedeckten, so emsig über die Arbeit, daß man wohl hier und da einen Streifen des aschblonden Haares, nie aber auch nur einen Schimmer der Augen gewahren konnte.

      Was indes diese Einsame durch ihr beharrliches Wegwenden von dem Schauplatz des Vergnügens entbehrte, das wird sich der Leser ungefähr vorstellen können, wenn er zum Beispiel eine der Hauptpersonen unter den geladenen Gästen mit mir betrachtet. Etwas seitwärts vom Tanzplatz, unter dem prächtigen, breitästigen Lindenbaum sitzt eine – ich komme wahrhaftig in Verlegenheit um eine passende Benennung; denn die Persönlichkeit hat längst die Vierzig hinter sich und heißt »Mamsell Dore«. Sie ist sehr mager; deshalb wird es mir einigermaßen schwer werden, den Leser zu überzeugen, daß sie nichts mehr und nichts weniger vorstellt als des verwitweten Herrn Pfarrers Haushälterin, ein Posten, den die Einbildungskraft der meisten Menschen mit wohlbehäbiger Korpulenz zu besetzen pflegt. Dieser Mangel schadete indes dem Ansehen der Mamsell Dore nicht im geringsten, und wenn die Ringelshäuser in ihr eine Person von Einfluß verehrten, so geschah dies mit vollem Rechte. In der dürren Hand, die soeben den Strickstrumpf mit großer Lebendigkeit handhabte, ruhte des Herrn Pfarrers leibliches Wohl – wie innig aber das geistige Leben des Menschen mit dem körperlichen Wohlbefinden verknüpft ist, braucht hier nicht erst gesagt zu werden, um zu beweisen, daß Mamsell Dores Kochfertigkeit und Umsicht im Hauswesen mit ihres Gebieters Beredsamkeit und seinem Benehmen gegen die Gemeinde Hand in Hand ging. Kein Wunder also, wenn die Ringelshäuser diesem Gestirn hinter den Dampfwolken der Küche mit großem Respekt begegneten.

      Nun also, Mamsell Dore saß auf dem Ehrenplatze. Ihr gelbes Antlitz umschloß eine moderne Haube mit fliegenden, weißen Atlasbändern und zwei mächtigen Rosenbuketts an jeder Seite. Ein gestickter Kragen über dem himmelblauen Wolkenkleide und weiße Unterärmel vervollständigten eine Toilette, die wahre Sensation in Ringelshausen machte. Diese Anerkennung, die sich nicht allein in schmeichelhaftem Geflüster, sondern auch, wie es einfachen Naturkindern eigen ist, im naiven Hinzeigen mit dem Finger kundgab, schien die schlanke Gestalt der Bewunderten um einige Zoll zu strecken. Niemals hatte sie ihr hervorstehendes Kinn mit mehr Würde in die Lüfte gehoben, nie holdseliger und herablassender gelächelt wie heute.

      Neben ihr saß eine alte Frau in stattlicher Bauerntracht – ein liebes treuherziges Gesicht, das unter der kolossalen, überladenen Bauernmütze hervorsah wie ein milder Stern unter einem dräuenden Wolkengebirge. Vielleicht klingt es seltsam, wenn ich meinen Vergleich für ein Matronengesicht vom Firmament herabhole. Freilich haben die Dichter aller Zeiten und Zonen in nicht mehr zu zählenden Beispielen den schönen Mädchenaugen einzig das Recht eingeräumt, Sterne zu heißen; gleichwohl, sind die Sterne nicht auch alt? Und gibt es nicht auch eine Klarheit der Seele, die gleich den Sternen ewig jung nach außen leuchtet, gleichviel, ob sie alte oder junge, schöne oder häßliche Züge bestrahlt?

      Die alte Frau war die Stiefmutter des Bräutigams und wohnte in Wallersdorf, einem großen, drei Stunden von Ringelshausen entfernten Orte. Weit und breit ward die Vortrefflichkeit ihres Charakters anerkannt; aber sosehr auch Frau Sanner diesen Ruhm verdiente, so steht noch sehr zu bezweifeln, ob er wohl so weit und nachhaltig erklungen wäre, wenn nicht Frau Fama zu gleicher Zeit so erstaunlich viel von dem Vermögen der Gerühmten zu erzählen gewußt hätte – nach allgemeinen Begriffen läßt ja der Goldgrund das Charaktergemälde schöner hervortreten.

      Wer indes das Gerücht bezüglich des Reichtums der Frau Sanner bezweifelt hätte, den würde das Benehmen des Wirtes zur grünen Tanne unfehlbar überzeugt haben; denn ab- und zugehend, trat er häufig zu ihr und bemühte sich, sie zu unterhalten. Wann hätte der wohl je mit einem an irdischen Gütern nicht Gesegneten so viel Umstände gemacht?

      Sein aufgedunsenes, mit Sommersprossen bedecktes Gesicht, der dürre, semmelfarbene Haarwust, der seinen großen, stierartigen Kopf umstarrte, und die Gemeinheit in jeder Bewegung der ungeschlachten Gestalt machten ihn zu einer sehr unvorteilhaften Erscheinung neben der feinen, alten Frau, die sich an seinen Späßen nicht besonders zu ergötzen schien.

      Auch er war reich, aber infolgedessen grob und anmaßend. Trotzdem ward sein Gasthaus häufig besucht, sowohl von Landleuten als auch von den Bewohnern der nahen Stadt A. Denn im Hinblick auf die wirklich reizende Umgebung, und besonders in Rücksicht darauf, daß kein zweites Wirtshaus vorhanden war, ignorierte man selbst die allzu begründete Sage, daß der Brunnen vor der grünen Tanne noch einen zweiten Ausfluß habe, und zwar drunten im Keller, allwo dieser unschuldige Quell geradeswegs in die Bier- und Weinfässer münde.

      Im Vertrauen auf die Unerschöpflichkeit dieses Systems ließen sich‘s denn auch die Hochzeitsgäste angelegen sein, ihre Krüge und Gläser fleißig zu leeren. Daß dabei die Köpfe allmählich warm wurden, ist erklärlich. Die Burschen schrien, stampften mit den Füßen und schwenkten ihre Mädchen oft so weit aus dem Tanzkreise, daß die Zuschauer zurückweichen mußten, wenn sie nicht die mit Nägeln gespickten Sohlen der flüchtigen Tänzer kennenlernen wollten.

      Um dieser Gefahr zu entgehen, hatten sich zwei kleine Mädchen hinter den bis dahin streng respektierten Stuhl der Mamsell Dore geflüchtet und verfolgten, kaum atmend, damit diese gefürchtete Standesperson ihre Nähe nicht ahne, die Tanzenden mit dem regsten Anteil. Da plötzlich sauste ein Paar vorüber. Die Kleine, welche zunächst stand, erhielt einen Stoß und stürzte vorwärts. In der Angst ihres Herzens erfaßte sie das lange flatternde Band an Mamsell Dores Haube. Da aber dies Wunderwerk von Tüll und Spitzen auf eine solche Attacke nicht berechnet war, so flog es in einem Nu, begleitet von zwei falschen, ihm allzu eng verbundenen Seitenlocken, zur Erde. Mamsell Dore fuhr wie unsinnig mit beiden Händen nach dem beraubten Haupte und stieß ein klägliches Geschrei aus. Augenblicklich waren wenigstens zehn Hände


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