Der Sohn des Gaucho. Franz Treller
nehme den Pampashasen zurück, mein Junge!« lachte Don Juan und betrachtete den Jüngling mit offensichtlichem Wohlgefallen. »Wie ich sehe, bist du mir sogar zuvorgekommen.«
»Wer weiß, vielleicht verdiene ich mir den«Pampashasen« ein andermal, Vater«, lachte der Junge.
»Du willst den Cid reiten?« fragte der Gaucho und runzelte ein wenig die Stirn.
»Ja, ich wollte gern. Ist es dir nicht recht?«
»Ich weiß nicht recht; eigentlich – aber gut, erproben wir, ob er hält, was er verspricht.«
An sich hatte der Gaucho den Schimmel mit großer Sorgfalt eigens für Aurelio gezüchtet, denn für diesen Jungen, den er einst als hilfloses Kind dem erstarrten Arm seiner toten Mutter entnommen hatte, war Juan Perez nichts zu gut. Zusammen mit Sancho Pereira hatte er das Kind mit einer Liebe und Sorgfalt erzogen, die der einer fürsorgenden Mutter gleichkam. Er war selber Junggeselle geblieben. Pati hatte, nicht zuletzt des Jungen wegen, vor Jahren eine Lebensgefährtin genommen; sie war ihm schon nach kurzer Ehe durch den Tod wieder entrissen worden. Aurelio ahnte bis zur Stunde nichts von seiner Abkunft, er hielt sich für Juans Sohn und erwiderte die Zuneigung der beiden Männer auf das zärtlichste.
Juan, der alljährlich einige Male nach Buenos Aires und nach Santa Fé ritt und dabei niemals versäumte, alles zu erkunden, was auf seines Schützlings Zukunft Bezug haben könnte, hatte die Verhältnisse bisher stets zu ungünstig gefunden, um offen für die Rechte Aurelios einzutreten. Zu stark schienen die feindlichen Mächte, mit denen er zu ringen gehabt hätte; der Kampf mußte auf günstigere Zeiten verschoben werden. So hatte er denn seinerseits für Aurelios Zukunft getan, was er konnte. Den Namen Aurelio hatte er ihm von dem Augenblick an gegeben, da er von der alten Negerin auf der Estancia Bellavista erfahren hatte, daß der jüngste Sohn Fernandos diesen Namen führte. Er hatte den Jungen zu seinem persönlichen Erben eingesetzt und außerdem einen Priester in Buenos Aires, einen Mann ohne Menschenfurcht, ins Vertrauen gezogen, ihm alles, was er über Aurelios Herkunft wußte, unter eidlicher Bekräftigung mitgeteilt und die von Pater Hyacinth darüber angefertigten Dokumente vor Zeugen unterzeichnet. Auch hatte er dem Cura für alle Fälle die Schmucksachen, die Pati der Leiche der Mutter abgenommen hatte, anvertraut.
So also lagen die Dinge. Juan Perez kannte die Macht, die Schlauheit und die Rücksichtslosigkeit der Männer, die ein Interesse daran hatten, seinen Schützling zu verderben. Vielleicht waren die Befürchtungen, die er hatte, übertrieben, jedenfalls bestimmten sie seit Jahren sein Handeln. Sie hatten ihn vom Rio de Salado nach Norden in die einsamen Gegenden Cordobas getrieben. Am Salado lag ihm Buenos Aires zu nahe. Auch der Angriff der Puelchen vor einigen Jahren hatte ihn seines Pflegesohnes wegen besorgt gemacht. Nachdem er das Seine dazu beigetragen hatte, die Roten niederzuwerfen, suchte er einen Teil des Landes auf, der ihren Überfällen weniger ausgesetzt war als die Ufer des Salado. Und diesem letzten Umzug verdankte die Estancia am Rio Quinto ihre Entstehung.
»Komm, Aurelio, wir wollen frühstücken«, rief der Gaucho dem Jüngling zu. Der stieg ab, band den Schimmel an einen Pfosten der Veranda und sprang die paar Stufen mit elastischen Schritten hinauf. Eine alte Mulattin erschien und trug in einer großen Blechkanne heißen Mate auf, dazu Eier, gebratene Hühnchen und frischgebackene Tortillas. Juan und Aurelio setzten sich, und Pati, der sich durchaus als Majordomo fühlte und den Rangunterschied zwischen dem Gaucho und sich peinlich aufrecht erhielt, nahm erst Platz, nachdem beide saßen.
Don Juan sah sich um und fragte: »Wo ist Don Estevan?«
»Er schläft noch«, lachte Aurelio. »Wahrscheinlich träumt er von einer neuen Gattung Stipa, die er entdeckt hat.«
»Also lassen wir ihn schlafen«, sagte der Gaucho, und alle machten sich an das Frühstück.
»Der Estrangero hat sich lange nicht sehen lassen«, äußerte Juan nach einer Weile.
»Er wird seine bösen Tage haben«, sagte Aurelio. »Dann sitzt er in seiner Höhle und brütet, und nichts und niemand lockt ihn heraus.«
»Schade, daß er so menschenscheu, ja, ich möchte sagen, menschenfeindlich ist.« Juan wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich schätze ihn nämlich sehr, er ist ein zuverlässiger und redlicher Mann.«
»Oh«, sagte Aurelio, »er macht Ausnahmen mit seiner Menschenfeindlichkeit. Mich beispielsweise hat er ins Herz geschlossen, seit er mich aus den Klauen des Jaguars rettete.«
»Den Schuß werde ich ihm meiner Lebtage nicht vergessen«, versicherte der Gaucho.
»Das war aber auch ein Schuß, Vater«, ereiferte sich der Junge. »Wahrhaftig, der Mann handhabt seine lange Buche so unfehlbar wie du den Lasso oder die Bolas.«
»Der Neid muß es ihm lassen, aber ich neide es ihm nicht einmal«, versicherte Juan.
»Und reiten! Reiten kann er auch, Vater. Nicht gerade wie du und ich, aber für einen Estrangero immerhin erstaunlich.«
»Er war drüben in seiner Heimat wohl Soldat und hat in einem Reiterregiment gedient; da ist es schließlich kein Wunder. Wie gesagt, schade, daß man ihn so selten sieht.«
»Ich habe von ihm schießen gelernt, Vater, es geht schon ganz gut«, sagte Aurelio. »Wenn die Puelchen wieder einmal in der Pampa erscheinen sollten, dann will ich unsere Reiter lehren, wie man angreift und den Feind wirft. Ich stürme mit der langen Lanze voran.«
»Laß das, Aurelio«, sagte Don Juan ernst, »du wirst den Krieg leider noch früh genug kennenlernen. Und übrigens: der Estrangero mag für europäische Verhältnisse ein vortrefflicher Krieger sein; für uns Gauchos ist es sicher das beste, wir bleiben bei unserer alten Kampfweise.«
Das Frühstück näherte sich bereits seinem Ende, da erschien, aus dem Hause heraustretend, eine Gestalt auf der Veranda, die sich in dieser Umgebung einigermaßen sonderbar ausnahm. Es war dies ein schmächtiger junger Mann in moderner Kleidung, in dessen magerem, bartlosen Gesicht neben der stark vorspringenden Nase vor allem die großen Brillengläser auffielen, die vor offenbar kurzsichtigen Augen funkelten. Er kam langsam heran, rieb sich die Hände und machte einen ziemlich verschlafenen Eindruck.
»Da ist ja Don Estevan«, sagte der Gaucho. »Schämt Euch, Doktor, den schönen Morgen zu verschlafen!«
»Wenn Aurelio mich nur geweckt hätte, Señor«, sagte der Mann, zweifellos ein Gelehrter; seine Stimme war so sanft wie sein Gesichtsausdruck.
Der Jüngling lachte. »Nein, Doktor«, sagte er, »Ihr schlieft so friedlich, daß es eine Sünde gewesen wäre, Euch zu stören.«
»Ich bin spät zur Ruhe gegangen«, bemerkte Don Estevan. »Ich schrieb nämlich in der Nacht noch an meiner Abhandlung über die Erycinidae.«
»Um so mehr Grund, Euch zu stärken, Don Estevan«, sagte der Hausherr höflich und wies mit einladender Bewegung auf den Tisch. Der Bakkalaureus Don Estevan Manzano, Graduierter der Universität zu Buenos Aires, nahm mit höflicher Verbeugung neben Aurelio Platz.
Der junge Gelehrte lebte schon seit längerer Zeit auf der Estancia. Denn Juan Perez, der selber nur eben lesen und schreiben konnte, wußte den Wert von Wissen und Bildung sehr wohl zu schätzen. Er hatte deshalb die Verpflichtung gefühlt, Aurelio mit geistigem Rüstzeug versehen zu lassen. Pater Hyazinth, dem er sich auch insoweit anvertraute, hatte ihn in dieser Meinung bestärkt und ihm den jungen, kränklichen Gelehrten, dem die Ärzte einen Aufenthalt in der Pampa zur Festigung seiner Gesundheit verschrieben hatten, zugewiesen. Kurz entschlossen hatte der Gaucho ihn samt einer Maultierladung von Büchern, Papier, Tinte, Karten und dergleichen mit sich genommen.
Aurelio hatte unter Don Estevans Anleitung bereits überraschende Fortschritte gemacht, und der junge Doktor, dem die Pampaluft recht gut bekommen war, hing mit herzlicher Zuneigung an seinem Schüler. Da er von Haus aus Naturforscher war – Naturalista sagt man dortzulande —, bot die Pampa ihm ein reiches und ergiebiges Studienfeld.
»Sie wollen jagen, Señor Perez?« fragte Don Estevan während des Frühstücks.
»Ja, mein Lieber. Im Osten haben sich Nandus sehen lassen; wir wollen ihnen nachstellen.«
»Kommt doch mit, Doktor«, sagte Aurelio, »wir wollen einmal Seite an Seite