Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
einen lichten Glanz, wie Feuerbrand.« Sie küßte den Becher lachend und sagte: »Wie willst du mir meine eigenen Wangen reichen?« »Trinke nur«, erwiderte er, »die Farbe des Weins gleicht meinen blutigen Tränen, und meine glühenden Seufzer haben ihm seine Wärme verliehen.« Nun versetzte das Mädchen: »Wenn du aus Liebe zu mir blutige Tränen weinst, so gib mir den Becher.« So blieben sie lange fröhlich beisammen, aßen, tranken, sangen, kosten und umarmten sich, und alle drei Mädchen waren nur mit dem Träger beschäftigt; die eine steckte ihm einen süßen Bissen in den Mund, die andere warf ihn mit Blumen, die dritte streichelte ihm die Wangen, bis sie alle so berauscht waren, daß sie jede Grenze des Anstands und der Sittlichkeit überschritten. Nachdem der Wein ihnen ihre Besinnung geraubt hatte, entkleidete sich die Pförtnerin, um in dem hinter ihrem Hause vorbeifließenden Strom ein Bad zu nehmen; sie blieb lange im Wasser, um alle Teile ihres Körpers rein zu waschen, kam dann wieder zu ihren Schwestern herauf, setzte sich zu dem Träger und war ganz ausgelassen; doch so oft der Träger sich eines unanständigen Ausdrucks bediente, schlugen alle drei Schwestern nach ihm. Nach einer Weile entkleideten sich auch die beiden anderen Schwestern, nahmen ebenfalls ein Bad, und fielen dann mit dem größten Mutwillen über den Träger her. Er durfte alles tun, was er wollte, nur in seinen Worten mußte er bescheiden bleiben. Nun entkleidete sich auch der Träger, um ebenfalls ein Bad zu nehmen. Nachdem auch dieser sich ganz rein gewaschen, kam er wieder zu den drei Schwestern zurück, setzte sich auf der einen Schoß, umarmte die andere, umschlang die dritte und scherzte mit ihnen auf alle mögliche Weise, bis es anfing dunkel zu werden. Da sagten die Mädchen zum Träger »Jetzt ist es Zeit, daß du uns wieder verlässest.« Der arme Träger erwiderte ganz verzweifelnd: »Lieber will ich sterben, als euch verlassen; übrigens ist es schon so spät, daß ich gar nicht wüßte, wohin ich gehen sollte; laßt mich diese Nacht noch bei euch bleiben, morgen früh will ich dann meines Weges ziehen.« Wie früher bat die Wirtschafterin wieder die übrigen, ihn noch diese Nacht bei ihnen zu lassen. »Gott weiß«, sagte sie, »wann wir wieder so angenehme Gesellschaft haben, er ist ja so unterhaltend und witzig, daß wir uns gewiß noch länger mit ihm vertragen werden.« »Wir willigen unter der Bedingung ein«, sagten die Schwestern zu dem Träger, »daß du dich um nichts kümmerst, was sich auch vor dir begeben mag; magst du auch hören und sehen, was du willst, so darfst du, wenn es dir auch noch so auffallend scheint, nicht nach der Ursache fragen.« »Ich werde sein«, erwiderte der Träger, »als hätte ich weder Augen noch Ohren.« Sie führten ihn dann zu einer Tür, über welcher mit goldenen Buchstaben geschrieben war:
»Wer von den Dingen spricht, die ihn nichts angehen, muß Dinge hören, die ihm nicht angenehm sind.«
Nachdem der Träger dies gelesen und noch einmal beteuert hatte, er wolle sich um nichts bekümmern, was ihn nichts angehe, wurden Wachskerzen und Lampen angezündet und mit Ambra und Aloe bestreut, welches den ganzen Saal mit Wohlgerüchen erfüllte, dann wurde zu Nacht gegessen, man fing wieder an zu trinken, zu spielen und Verse herzusagen.
Plötzlich klopfte es an die Türe; die Pförtnerin stand auf, ging hinunter, um nachzusehen, kam nach einer Weile wieder und sagte ihren Schwestern: »Wenn ihr mir gehorchen wollt, so werden wir eine höchst lustige Nacht zubringen; an unserer Tür stehen drei halbblinde Kalender,Die Kalender sind ein bei den Mohammedanern sehr verrufener Derwischorden; sie sind besonders ihrer übermäßigen Genüsse wegen verachtet. Saadi sagte von ihnen: »Sie verlassen keinen Tisch, solange noch etwas zu essen darauf geblieben und sie noch atmen können.« An einer anderen Stelle sagte er: »Ein reicher Erbe, der in die Hände der Kalender gefallen, hat ebenso viel Grund besorgt zu sein, als ein Kaufmann, dem ein Schiff mit Waren untergegangen.« ohne Haare am Bart, am Haupt und an den Augenbrauen. Man sieht ihnen an, daß sie soeben von einer Reise kommen, sie waren noch nie in Bagdad,Bagdad ist die von Manßur, zweitem Kalifen vom Geschlecht der Abasiden, am Ufer des Tigris erbaute Stadt. Ihre Gründung fällt in das Jahr 145 der Hidjrah; sie blieb lange der Sitz des Kalifats. klopften daher zufällig an unsere Tür, denn sie wissen nicht, wo sie übernachten können, und wollen sich, weil sie die Nacht hier überfallen, mit dem Stalle oder irgend einem schlechten Zimmer begnügen. Stimmt ihr also mit ein, da sie doch niemanden hier kennen, und schon ihr äußerer Aufzug uns lachen machen wird, so bewirten wir sie diese Nacht und morgen können sie dann ihres Weges gehen.« Sie bat ihre Schwestern so lange, bis diese endlich ihr erlaubten, die Kalender zu rufen, doch unter derselben Bedingung, die dem Träger auch gemacht wurde. Voller Freude verließ sie den Saal und kam bald mit den drei halbblinden Gästen wieder. Als diese in das Zimmer traten, kamen ihnen die Mädchen freundlich entgegen, hießen sie bestens willkommen und wünschten ihnen Glück zu ihrer Ankunft in Bagdad. »Wie schön ist es hier, bei Gott!« riefen die Kalender einstimmig aus, als sie den schönen Saal, den mit den besten Speisen und Getränken beladenen Tisch und die liebenswürdigen Mädchen sahen. Als sie dann auch den vom vielen Trinken und den tollen Scherzen ganz bewußtlos daliegenden Träger bemerkten, fragten sie: »Ist dies auch ein fremder Kalender, wie wir, oder ist er ein hergelaufener Araber?« Als der Träger dies hörte, erwiderte er: »Setzt euch ohne ferneres Gerede; habt ihr nicht an der Türe gelesen: »Wer von Dingen spricht, die ihn nichts angehen, muß Dinge hören, die ihm nicht angenehm sind! Wie mögt ihr gleich beim Eintreten eure Zunge so gegen mich loslassen?« Die Kalender baten um Entschuldigung und die Mädchen stellten gleich wieder den Frieden zwischen ihren Gästen her. Die Kalender setzten sich dann zum Essen, die Pförtnerin schenkte ihnen Wein ein und der Träger forderte sie auf, sie möchten doch irgend etwas zum Besten geben.
Die Kalender, die schon den Wein spürten, forderten Musikinstrumente; sogleich brachte ihnen die Pförtnerin ein Tamburin, eine Laute und eine persische Harfe; sie teilten diese Instrumente unter sich, stimmten sie und fingen an zu spielen und zu singen, aber die Mädchen sangen mit so hellen, wohlklingenden Stimmen, daß sie die übrigen weit übertönten. Sie sangen so eine Weile miteinander, da wurde wieder an die Türe geklopft. Die Pförtnerin ging hinunter, um zu öffnen; es war der KalifHarun Arraschid, oder der Gerechte, ist der fünfte Kalif der Abasiden; er bestieg den Thron im Jahr 170 der Hidjrah. Sein Vezier Djafar, Sohn Jahias, war lang in großer Gunst bei ihm: es scheint aber die Familie der Barmesiden, aus der Djafar abstammte, durch ihre zahlreichen Anhänger und großes Ansehen den Neid und das Mißtrauen des Kalifen erregt zu haben, der sie dann gänzlich auszurotten beschloß. Harun Arraschid und sein Vezier Djafar. Diese hatten nämlich die Gewohnheit, oft in der Nacht allein die Stadt zu durchwandeln; als sie nun vor diesem Haus vorübergingen und die rauschende Musik, die lauten Stimmen der Mädchen und das fröhliche Getümmel vernahmen, sagte der Kalif zu seinem Vezier: »Ich hätte wohl Lust, ein wenig bei diesen lustigen Leuten einzutreten.« Djafar stellte ihm vergebens vor, daß diese betrunken seien, und da sie ihn nicht kennten, ihm leicht unhöflich begegnen könnten. Doch der Kalif bestand darauf und befahl sogar seinem Vezier, ihm durch irgend eine List den Zutritt zu verschaffen. Als nun die Pförtnerin geöffnet hatte, verbeugte sich Djafar vor ihr und fragte: »O Herrin, wir sind Kaufleute aus Mosul, leben schon seit zehn Tagen in einem Chan, wo wir ein Magazin für unsere Waren haben. Heute wurden wir von einem hiesigen Kaufmann eingeladen. Als uns nun die Speisen und der gute Wein recht aufgemuntert hatten, schickten wir nach Sängerinnen und Tänzerinnen und ließen auch noch einige andere Freunde rufen. Wir waren sehr vergnügt beim Gesange der Mädchen, von Harfen und Lauten begleitet, da wurden wir auf einmal von der Polizei überfallen. Wir mußten schnell entfliehen und über die Mauer springen, wobei sich einige beschädigten und gefangen wurden, wir aber mit noch wenigen anderen kamen glücklich davon. Nun können wir aber den Weg nicht nach Hause finden, denn unsere Wohnung ist sehr weit von hier, wir möchten leicht einen falschen Weg nehmen und der Polizei wieder in die Hände fallen, die uns, weil wir etwas betrunken sind, leicht wieder erkennen würde. Wenn wir auch glücklich die Tür unseres Hauses erreichten, würde man uns doch nicht öffnen, denn es ist in diesen Herbergen vor Tagesanbruch niemanden zu öffnen gestattet. Erlaubt uns daher, bei euch einzukehren, wir wollen gern sogleich unsern Teil bezahlen und mit euch vergnügt sein; ist euch aber unsere Gesellschaft nicht angenehm, so laßt uns die Nacht im Hausgang zubringen, wir wollen gewiß nicht von der Tür weichen, und auch diesen Platz sollt ihr uns nicht umsonst geben.« Als die Pförtnerin dies gehört und ihnen wohl ansah, daß sie vornehme Leute seien, berichtete sie ihren Schwestern, was sie gesehen und gehört; diese bemitleideten die Fremden, ließen sie hereinkommen, und alle, die Mädchen, der Träger und die Kalender, gingen ihnen freundlich entgegen.
Nachdem