Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
Frage bejahten, führte er sie in einen anderen Saal, wo sie sich behaglich fühlten, aus freier Brust atmeten und von ihren Leiden sich erholten. Sie waren erstaunt über das, was der Juwelier für sie getan, fanden es sehr gütig und fingen an zu trinken. Dann fragte Schems Annahar den Juwelier: »Hast du eine Laute oder sonst ein musikalisches Instrument?« Dieser bejahte es und brache ihr eine Laute; sie nahm dieselbe, stimmte sie und sang mit lauter, süßer Stimme folgende Verse:
»Bist du ein treuer Bote, so laß alle Ausschmückungen; sage nichts anderes, als dir aufgetragen, und heile mit Wahrheit den Liebeskranken. Ist dein Auftrag eine Weigerung, so wird dadurch eine lobenswerte Standhaftigkeit bewiesen, die, wenn sie lange dauert, schöne Früchte tragen wird.«
Dieser Gesang war so bezaubernd, wie menschliche Ohren ihn nie gehört. Auf einmal erhob sich aber ein schrecklicher Lärm und ein großes Geschrei. Plötzlich trat einer von des Juweliers Dienern herein, der innerhalb der Tür Wache gestanden, und sagte: »Man hat unsere Türen eingebrochen und wir wissen nicht, wer in der Nacht daherkommt!« Während er dies sagte, schrie ein Mädchen, das auf der Terrasse stand, und es drangen zehn vermummte Männer, mit Dolchen und Schwertern bewaffnet, in den Saal; ihnen folgten wieder zehn andere, gerade so bewaffnet wie die ersten. Als der aufgeschreckte Juwelier das sah, entsprang er zur Tür hinaus und flüchtete sich zu einem Nachbarn; denn er war fest überzeugt, daß dieser jähe Überfall nur auf Befehl des Kalifen, dem ohne Zweifel die Zusammenkunft seiner Favoritin mit Ali verraten war, gemacht worden sein könne. Als der Herr der Hauses um Mitternacht herunterkam und jemand in seinem Hausgang verborgen fand, den er nicht kannte, kehrte er erschrocken zurück, kam mit einem Säbel bewaffnet wieder und sage: »Wer bist du?« Der Juwelier antwortete: »Ich bin dein Freund und Nachbar.« Als der Hauseigentümer dies hörte, steckte er sein Schwert in die Scheide und sagte: »Mir tut dieser Vorfall sehr leid. Gott wird dir in seiner Güte alles wieder ersetzen.« Er fuhr dann fort: »Ich möchte wohl wissen, wer die bewaffneten Leute sind, die dich so unversehens überfallen haben, aber ich halte sie für Räuber, die bei dir plünderten und mordeten, weil sie gestern gesehen, daß du viele kostbare Gerätschaften in dein Haus gebracht hast, ich fürchte sehr, sie haben deine Gäste fortgeschleppt oder getötet.« Der Juwelier ging dann mit seinem Nachbarn in das Haus und siehe da, es war rein ausgeplündert und leer, die Fenster waren aufgerissen, die Türen eingebrochen: sie hatten hier einen gräßlichen Anblick, der das Herz zerschnitt. Der Juwelier fing an, über sein Unglück nachzudenken; er wußte nicht, was er anfangen, wie er sich bei den Leuten entschuldigen sollte, von denen er die silbernen und goldenen Gefäße entlehnt hatte. Er dachte auch an Schems Annahar und an Ali; und fürchtete, der Kalif möchte etwas durch einen Diener über sie erfahren haben; sein Mut und seine Kraft verließen ihn. Er sagte dann zu seinem Nachbarn: »Was soll ich tun? Wer ratet mir?« Jener erwiderte: »Habe Geduld und vertraue auf Gott. Die Leute, die in dein Haus gedrungen sind und dich beraubt haben, haben auch angesehene Männer aus dem Palast des Kalifen gemordet, sowie aus dem Hause des Polizeiobersten. Die Leibwachen spüren ihnen nach, vielleicht erwischen sie sie, und du gelangst zum Ziel deiner Wünsche ohne dein Hinzutun.« Der Juwelier nahm seine Zuflucht zu Gott und kehrte nach seinem Wohnhaus zurück, dann sagte er: »Abul Hasan hat das Unglück, in das ich mich blindlings stürzte, vorausgesehen.«
Mit Tagesanbruch verbreitete sich auch das Gerücht von der Plünderung mit großer Schnelligkeit in der Stadt und zog eine Menge Leute von allen Orten herbei; die einen kamen aus Neugierde, die anderen waren schadenfroh, wieder andere bedauerten ihn, und ein großer Teil bestürmte ihn mit Forderungen. Er dankte den einen für ihre Teilnahme, klagte den anderen und wies die Fordernden ab.
So brachte er den ganzen Tag zu, ohne etwas zu genießen. Als er voller Reue so dasaß, kam einer seiner Knaben herein und sagte, daß ein unbekannter Mann, den sie bis jetzt noch nie gesehen hatten, vor der Haustür nach ihm frage und ihn erwarte. Der Juwelier stand auf und ging hinaus; da begrüßte ihn ein Fremder und sagte: »Ich habe in einer wichtigen Sache mit dir zu reden.« Der Juwelier hieß ihn ins Haus treten. Dieser wollte aber nicht, sondern forderte ihn auf, mit ihm in sein anderes Haus zu gehen. »Weißt du«, versetzte der Juwelier, »daß ich noch ein anderes Haus, als dieses hier, besitze?« Jener erwiderte: »Ich weiß es, ich weiß alles und bringe dir Trost.« Als der Juwelier dies hörte, sagte er: »Nun, ich folge dir überall hin.« Als sie miteinander an sein anderes Haus kamen und der Fremde die zerbrochene Tür sah, sagte er: »Das hat ja keine Türen, hier können wir uns nicht aufhalten. Folge mir, ich will dich an einen anderen Ort führen.« So gingen sie von einer Straße in die andere, von einem Hause zum andern, ohne in eines zu treten, den ganzen übrigen Tag ohne Aufenthalt, bis es Nacht ward. Der Juwelier erschrak und hatte nicht den Mut zu fragen. Endlich führte ihn der Fremde ins Freie an die Ufer des Flusses und sagte: »Folge mir nur!« Der Juwelier faßte Mut und lief hinter ihm her, bis sie an eine Stelle kamen, an der sich ein Nachen befand. Sie bestiegen denselben und ließen sich an das jenseitige Ufer übersetzen. Der Fremde ergriff die Hand des Juweliers und führte ihn in ein langes Quartier der Stadt, das er noch nie betreten hatte, und er wußte bald nicht mehr, in welchem Teil von Bagdad er sich befand. Er blieb endlich vor der Tür eines Hauses stehen, und als diese sich öffnete, hieß er den Juwelier eintreten, worauf er die Tür mit einem starken Riegel hinter sich zuschloß. Der Fremde führte ihn in ein Zimmer, in dem sich zehn Bucklige befanden, die sich alle ganz gleich sahen.
Die Männer begrüßten ihn und hießen ihn sich niedersetzen, was er alsbald tat, denn er war fast tot vor Müdigkeit und Furcht. Man brachte frisches Wasser, womit er sich Gesicht und Hände wusch. Hierauf brachte man Wein und endlich auch zu essen, und alle ließen sich‘s schmecken. Da dachte der Juwelier, wenn ich etwas zu befürchten hätte, würden sie nicht mit mir essen. Als die Mahlzeit und die Abwaschung vorüber war, begab sich jeder wieder an seinen Platz. Der Juwelier setzte sich zu ihnen, worauf sie ihn fragten: »Kennst du uns?« Er antwortete: »Nein, ich kenne weder euch, noch den Fremden, der mich hergeführt hat, selbst nicht das Stadtviertel und den Ort, wo ich mich befinde.«
»Erzähle uns dein Abenteuer«, forderten sie ihn auf, »verschweige uns aber nichts.« Der Juwelier antwortete: »Meine Geschichte ist wunderbar, ist euch davon etwas bekannt?« — »Ja wohl«, versetzten sie, »wir haben gestern den jungen Mann und die Sängerin, die bei dir waren, festgenommen und dein Haus ausgeplündert.«
»Ich bitte euch, bei Gottes Schutz!« rief der Juwelier aus, »sagt mir, wo der junge Mann und die junge Frau sich befinden;« sie antworteten, mit der Hand nach zwei Zimmern, die ihnen gegenüber lagen, zeigend: »Jedes von ihnen ist in einem dieser Zimmer. Sie behaupten, daß außer dir niemand Kunde von ihren Angelegenheiten habe. Aus Rücksicht gegen sie drangen wir nicht länger mit Fragen in sie und haben sie, da wir sie so kostbar bekleidet fanden, woraus wir auf ihren vornehmen Stand schlossen, auch am Leben gelassen. Enthülle uns nun die Wahrheit über ihre Verhältnisse, denn nur unter dieser Bedingung wird dir dein und ihr Leben zugesichert.«
Der Juwelier sagte: »Ich sehe, daß, seit männliche Tugend verloren gegangen, sie nur bei euch wieder gefunden werden kann, und daß nur Menschen eurer Art imstande sind, ein anvertrautes Geheimnis, dessen Verbreitung man fürchtet, in der Brust zu vergraben; hat man ein gefährliches Unternehmen, so darf man nur euch damit beauftragen und überzeugt sein, daß eure Fähigkeiten und Entschlossenheit es glücklich ausführen.« In diesem Sinne sprach der Juwelier noch lange zu den Räubern, bei sich erwägend, daß es in solchen Umständen besser sei, die Wahrheit zu sagen, als sie zu verbergen, da doch am Ende alles an den Tag kommt. Er erzählte ihnen daher umständlich die ganze Liebesgeschichte Alis und Schems Annahars von Anfang bis zu Ende.
Da riefen die Räuber: »Ist der junge Mann Ali, Sohn Bekars, und die junge Frau Schems Annahar?« Der Juwelier beteuerte, ihnen nichts verborgen zu haben. Als dies die Räuber hörten, erschraken sie sehr und gingen zu Ali und Schems Annahar, und baten sie um Verzeihung.
Alsdann kamen sie wieder zum Juwelier und sagten zu ihm: »Vieles von dem, was in deinem Hause geraubt worden, ist noch da, einiges aber fehlt; hier nimm, was noch da ist«, worauf sie ihm den größten Teil der goldenen und silbernen Gerätschaften zurückgaben. Dann sagten sie: es ist unsere Pflicht, alles wieder in deine andere Wohnung zu bringen. Sie teilten sich hierauf in zwei Teile, die einen blieben bei dem Juwelier und die anderen bei dem Liebespaar, und so verließen alle das Haus. Ali und Schems Annahar vermochten