Die Verstümmelten. Hermann Ungar
nicht.
Polzer wagte nicht, sich zu bewegen, aber trotzdem knarrte es laut. Diesmal war es bestimmt in seinem Zimmer. Etwas ging vor. Sollte er nicht doch nachsehen, ob Frau Porges wach sei, leise an ihre Tür pochen? Vielleicht verzieh sie ihm die Beleidigung des Verstorbenen, wenn er einwilligte, als Sühne seinen Hut zum Verkauf zu tragen. Vielleicht auch hatte sie es gar nicht ernsthaft gemeint. Im Grunde war es vielleicht besser, wenn der Hut verkauft würde. Denn tragen wollte er ihn auf keinen Fall mehr.
Ringsum war kein Schein von Licht. Polzer hätte gern Licht gehabt, aber er wagte nicht, den Schalter anzudrehen. Er wußte, daß es besser sei, sich schlafend zu stellen. Polzer fühlte die Gefahr. Er streckte vorsichtig die Hand aus, um nach dem Heiligenbild zu tasten. Sein Arm bewegte sich langsam. Es dauerte unendlich lange, bevor er ihn ganz ausgestreckt hatte. Die Muskeln schmerzten. Sein Arm zitterte. Aber das Bild hing noch da. Er berührte seinen Holzrand. Er wollte die Hand nicht gleich wegziehen, er wollte die Hand eine Sekunde nur auf seinem Bild ruhen lassen. Dann wollte er die Hand langsam und unhörbar wieder zurücknehmen.
Da fiel der Heilige. Er fiel auf den Holzrand des Bettes und zerriß die Stille. Polzer traten die Augen aus dem Kopf. Er hätte das Bild halten können, aber er regte sich nicht. Sein Arm war noch erhoben. Das Bild schien zu schwanken. Dann fiel es weiter. Es fiel auf den Boden. Das Glas zerschellte. Das plötzliche Getöse verwirrte Polzer. Der Lärm brach sich schreckhaft an den schwarzen Wänden. Polzer sprang auf und lief aus dem Zimmer.
Vor der Tür zu Frau Porges‘ Zimmer blieb er stehen.
Polzer war im Hemd. Sein Körper war feucht von Schweiß. Er zitterte. Frau Porges mußte den Lärm gehört haben. Polzer pochte leise an die Tür. Sie antwortete nicht. Polzer pochte noch einmal.
»Wer ist da?« fragte Frau Porges.
»Ich, Polzer!« erwiderte er.
»Herr Polzer? Was gibt es, Herr Polzer?«
Er hörte, wie sie sich vom Bett erhob und der Tür näherte. Er legte die Hand an die Klinke und hielt die Tür fest.
»Bleiben Sie, Frau Porges,« sagte Polzer, »bleiben Sie. Ich wollte Sie bloß um Verzeihung bitten, sonst nichts. Bleiben Sie, mein Anzug ist nicht entsprechend, Frau Porges!«
Frau Porges drückte die Türklinke herunter. Polzer hielt die Tür fest. Seine Kiefer schlugen gegeneinander.
»Ich bitte auch deshalb um Verzeihung, aber Sie können nicht öffnen. Ich bin nicht entsprechend gekleidet, Frau Porges. Ich lag schon im Bett. Bloß wegen morgen, wegen des Hutes wollte ich sagen, daß ich hingehen kann, wenn Sie es wünschen. Aber, was Sie dafür verlangen, den Preis, müßten Sie mir sagen und ob ich die Buchstaben vorher wieder im Leder anbringen soll.«
Sie überwand seinen Widerstand und öffnete. Er sah im Dunkel, daß ihr Haar herabfiel.
Auch sie war im Hemd.
Sie faßte ihn an der Hand.
»Komm, Polzer!« sagte sie. Ihre Stimme klang tief. »Komm!«
Er bewegte sich nicht.
Sie zog ihn in das dunkle Zimmer und schloß die Tür. Dann führte sie ihn ans Bett.
»Du zitterst,« sagte sie.
Das Bett war warm. Sie deckte ihn mit dem Oberbett zu. Das Bett roch nach Haar.
Frau Porges legte sich neben ihn.
»Sie werden mich nicht kündigen, Frau Porges?« sagte er.
Sie lachte und schmiegte sich an ihn. Er begriff, daß sie nun von ihm etwas erwarte. Polzer näherte sich ihr sehr. Frau Porges faßte Polzer an und lachte laut. Polzer dachte an die Kündigung und bemühte sich. Er ward von Augenblick zu Augenblick unruhiger und ungeduldiger. Er bemerkte, daß ihm der Schweiß in Tropfen auf der Stirn stand. Frau Porges lag nun da und regte sich nicht.
»Wie du schwitzst, Zitterer,« sagte sie und lachte. »Wie du schwitzst!«
Dessen schämte sich Polzer in diesem Augenblick, obzwar er wußte, daß es natürlich sei und keine Schande.
»Ich bin müde,« sagte Frau Porges. Sie gähnte und dehnte sich. Dann drehte sie sich der Wand zu. Dazu hast du mich nun geweckt?«
Sie lachte:
»Vielleicht geht es morgen,« sagte sie.
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