Der blaurote Methusalem. Karl May

Der blaurote Methusalem - Karl May


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schüttelte jedem von ihnen die Hand und kehrte dann an seinen Tisch zurück, um weiter zu essen.

      Was Richard Stein betrifft, so wagte er sich nicht an das volle Stammglas. Er ließ sich ein kleineres bringen und eignete sich auch nur eine Flasche an. Gottfried griff augenblicklich nach den drei übrigen, leerte sie in das Glas und trank dasselbe aus, nachdem er vorher sich selbst zugerufen hatte:

      »Prosit Magen! Es ist zwar kein Wolkenbruch, doch ein angenehmes jelindes Plätscherchen.«

      Dann nahm er seine weiße Mütze, welche wasserdicht gefüttert war, vom Kopfe, legte sie verkehrt, also offen auf den Tisch, gerade vor den Neufundländer hin und goß diesem die letzten vier Fläschchen nacheinander hinein. Der Hund nahm den Gerstensaft mit großem Wohlbehagen zu sich und leckte zuletzt die Mütze sehr sorgfältig aus, welche Gottfried sich wieder auf sein Haupt stülpte, um dann zu fragen:

      »So! Jeprobt hätten wir. Wat aberst nun? Wollen wir uns nach so langem Entbehren noch een loyales Seidel leisten?«

      »Was fällt dir ein,« entgegnete Methusalem. »Wir befinden uns hier nicht im ‚Geldbriefträger von Ninive‘, von welchem aus wir nur um die Ecke zu gehen brauchten, um heim zu steigen. Ich vor allen Dingen muß zum Konsul. Auch habe ich eine Anweisung zu präsentieren und mich mit dem unvermeidlichen Mammon zu versehen. Wartet hier, bis ich wiederkomme! Habt ihr Lust, so trinkt meinetwegen inzwischen noch eins, aber nicht mehr! Ich werde es bezahlen.«

      »Halt!« fiel da der Kapitän ein. »Das Zahlen ist meine Sache. Wir befinden uns noch in der Hafenstadt, und ich muß Sie also bitten, meine Gäste zu sein.«

      »Habe nichts dagegen,« lächelte der Methusalem. »Aber wird Ihnen nicht die Zeche zu hoch sein?«

      »Was denken Sie! Sehen Sie doch meine Schnuren! Die reichen jedenfalls noch wochenlang.«

      Der Bemooste ließ ihn bei diesem Glauben und entfernte sich, die Pfeife und auch den Hund zurücklassend, welche er unmöglich mit zum Konsul nehmen konnte. Turnerstick bestellte zu den bisherigen vierundzwanzig Flaschen noch sechs, um eine runde Dreißig zu bekommen. Gottfried rümpfte zwar die Nase dazu, sagte aber nichts, weil der Kapitän der Zahlende war und, um einer allzu schnellen Konsumtion vorzubeugen, zwei kleine Gläser kommen ließ.

      Mittlerweile hatte der Holländer seine Mahlzeit vollendet. Er band die Serviette ab, trocknete sich mit derselben das von der Anstrengung des Essens schwitzende Gesicht und machte auf seinen Stühlen eine Wendung, daß er die drei anderen nun gegenüber hatte.Es war ihm anzusehen, daß er nun ein kleines Gespräch im Interesse der Verdauung für nützlich hielt. Er hatte gehört, welcher Sprache sich die anderen bedienten, und sagte daher in leidlichem Deutsch:

      »lk verzoek – ich bitte, mijne Heeren, sind Sie nicht Deutsche?«

      »Ja,« antwortete Gottfried.

      »Dachte es mir. Auch ich bin in Deutschland gewesen, als Kommis in Köln am Rhein; damals war ich noch jünger als jetzt.«

      »Wahrscheinlich!«

      »Nein, wirklich! Damals zählte ich twintig Jaaren, und jetzt bin ich fast vijf en veertig. Damals war ich een ongelukkige nijlpaard, en jetzt bin ich een zwaare (schwerer) Mann mit gezouten (gesalzenen) Erfahrungen. Damals habe ich die deutsche Sprache erlernt, und das freut mich jetzt, weil ich mich mit Ihnen unterhalten kann.«

      »Die Freude ist beiderseitig, Mijnheer.«

      »Sehr schön! Gefalle ich Ihnen?«

      »Außerordentlich!«

      »Sie mir auch. Ich bin nämlich Mijnheer Willem van Aardappelenbosch und komme von Java, wo ich Pflanzungen von Ryst (Reis) und Tabak hatte. Ich habe verkauft und will nun sehen, ob ich hier in China etwas Aehnliches finde.«

      »Etwas Aehnliches? Warum haben Sie dann dort verkauft?«

      »Wegen dem Klima, welches mir schädlich wurde. Ich konnte niet mehr essen und niet mehr trinken; ich schwand zusammen, daß ich jetzt nur noch een Gespenst von früher bin.«

      »Hallo! Dann möchte ich Sie früher gesehen haben, Mijnheer von Aardappelenbosch!«

      »Jawohl!« seufzte der Dicke, indem er sich mit beiden Händen liebkosend über den Bauch strich. »Damals aß ich für twaalf Männer, jetzt aber esse ich niet mehr für eenen halfen!«

      »Schrecklich!«

      »Nicht wahr! Ich bin ganz sterfelyk (sterblich) geworden. Was nützt mir mein Zilver (Silber), mein Goud (Gold), mein Rykdom (Reichtum), wenn ich niet essen und niet trinken kann? Nur wer tüchtig essen und trinken kann, darf gelukkig (glücklich) und tevreden (zufrieden) sein. Darum habe ich Abschied von dem dortigen Klima genommen und bin nach China gekommen, um mich wieder dick und fett zu essen.«

      »Nun, hoffentlich ist dieses Vorhaben von gutem Erfolge. Aber Ihre Haut, Mijnheer, Ihre Haut!«

      »Was ist mit der Haut? Nicht wahr, sie hat ein ganz krankhaftes Aussehen?«

      »Das möchte ich nicht behaupten; aber ob sie zulangen, ob sie ausreichen wird!«

      »Zulangen? Ausreichen?«

      »Ja. Wenn Sie noch dicker werden wollen, so muß sie unbedingt platzen.«

      »Platzen? O mijn hemelsche Vader! Da hätten Sie mijne Haut früher sehen sollen! Die glänzte wie eene rosenrote Speckswarte! Wenn ich niet baldige Beterschap finde, so sterbe ich im Handumdrehen.«

      »Und diese Besserung suchen Sie in China?«

      »Ja.«

      »Warum?«

      »Weil mijn Geneesheer sagte, das Klima sei in Java zu südlich. Er riet mir, nach Norden zu gehen, und was liegt im Norden? Doch China! Vielleicht werde ich hier wieder gesund. Früher glich ich im Gesicht der hellen Sonne; jetzt aber bin ich nur noch die reine Maansverduisterung.«

      »So müssen Sie wohl an einer abzehrenden Krankheit leiden?«

      »An einer, nur einer? Dann wäre ich ganz glücklich! O nein, ich leide an twintig, dertig, veertig, an hondert verschiedenen Krankheiten.«

      »Das ist schlimm. Wo liegen dieselben denn?«

      »Wo? Ueberall!«

      »Nun, zum Beispiel?«

      »Im ganzen Ligcham, im Angezigt, im Oogappel, in de Ooren und de Oorlapjes, im Kinnebak, in de Keel und Gorgel, im Elleboog und in de Vingers, im Maag und zwischen den Ribben, in den Beenen und den Voetzoolen, in de Long und de Lever, in de Gal und de ganze Romp. Ich schwebe stündlich zwischen Leven und Dood, und nur Essen und Trinken kann mij retten. Ich bin ein elendes Schepsel und würde gern honderdduizend Gulden geben, wenn ich einen Offizier van der Gezondheit wüßte, der mich retten kann!«

      Er zählte seine Leiden in so traurigem Tone auf, und seine Gestalt stand so in Widerspruch mit diesen Klagen, daß es großer Selbstbeherrschung bedurfte, nicht zu lachen. Gottfried machte sein mitleidigstes Gesicht und fragte in teilnehmendem Tone:

      »Glauben Sie etwa, daß die chinesischen Aerzte die Kunst besitzen, Sie herzustellen?«

      »Vielleicht. Es ist mijn letzter Versuch, den ich mache. Ich habe gesprochen mit Doktors aus Duitschland, aus Nederland, aus Frankrijk, aus Oostenrijk, aus Spanje, aus Zweden, aus Oostindie, aber keiner hat mij helfen konnt. Jetzt will ich es mit China versuchen. Es soll da Leute geben, welche wahre Wunder wirken.«

      »Ich hätte zu anderen mehr Vertrauen. Sie sind jedenfalls nur mit Pfuschern zusammengekommen. Hat man Ihnen Arzneien verschrieben?«

      »Alle möglichen Boomen und Heesters, alle Bladen und Bloems, die es nur geben kann.«

      »Das war verkehrt. Ein einsichtsvoller Arzt würde das unterlassen haben.«

      »Warum?«

      »Weil Ihre Krankheit durch solche Mittel nur verschlimmert wird.«

      »Wie können Sie das wissen?«

      »Ich? Ich bin ja Fachmann.«

      »Sie? Fachmann?«

      »Ja, Student!«

      »Student?


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