Der blaurote Methusalem. Karl May
kürzer war, während der andere auf dem Boden rasselte.
Und um die Hauptsache nicht zu vergessen, trug er in der Hand einen Fächer, hinter dem er, als er ihn jetzt entfaltete, seinen ganzen Oberkörper wenigstens zweimal verstecken konnte. Dieses notwendige Stück, welches keinem Chinesen fehlen darf, war mit einer blutigen Kriegsscene bemalt, über welcher in goldenen Zeichen eine chinesische Inschrift prangte.
Die Gewänder waren alle von guter Seide. Der Kapitän hatte kein Geld gespart.
»Nun, wie gefalle ich Ihnen?« fragte er.
»Ausgezeichnet!« antwortete Degenfeld. »Aber wo haben Sie denn diese Kleidung her?«
Die Wahrheit zu sagen, mußte Turnerstick nach chinesischen Begriffen einen höchst stattlichen Eindruck machen.
»In Singapore gekauft,« erklärte er. »Dort habe ich mir auch die Aufschrift auf den Fächer machen lassen. Es war gerade noch Zeit dazu.«
»Können Sie sie lesen?«
»Nein. Mit der chinesischen Schrift stehe ich nicht auf bestem Fuße. Bitte, lesen Sie.«
Degenfeld betrachtete sich die Zeichen genau und erklärte:
»Die Chinesen haben kein r; sie sprechen dasselbe wie l aus. Es ist darum schwer, hier die erste Silbe zu enträtseln. jedenfalls soll man anstatt Tul Tur sagen?«
»Natürlich. Es ist ja mein Name, ins Chinesische übertragen.«
»Ah, da ist der Zweifel gelöst. Die Inschrift lautet also ‚Turning-sti-King Kuo-ngan-ta-fu-tsiang‘. Stimmt es so?«
»Ich denke. Können Sie es übersetzen?«
»Ja. Es lautet: ‚Turnerstick, der große Generalmajor Excellenz‘. Sind Sie denn des Teufels, Kapitän! Ein Generalmajor wollen Sie sein, und noch dazu ein großer, das heißt doch wohl ein berühmter?«
»Warum denn nicht?« lachte der Gefragte. »So gescheit wie ein chinesischer Generalmajor bin ich allemal.«
»Aber wenn Sie nun beweisen sollen, daß Sie es wirklich sind?«
»Demjenigen, der dies von mir verlangt, werde ich es sofort beweisen, und zwar mit meinen beiden guten Fäusten. Das ist eine Legitimation, welcher sicherlich kein Chinese zu widerstehen vermag. Und was meinen Sie schließlich nun zu diesem da?«
Er lüpfte den Hut ein wenig, und sofort schlängelte sich ein allerliebster Zopf herab, welchen er bisher unter demselben verborgen hatte.
»Ein Pen-tse,« lachte der Student; »wahrhaftig ein richtiger Pen-tse, ein Zopf, wie er im Buche steht. Wie haben Sie ihn denn befestigt?«
»Er hängt an einem äußerst feinen, fast unsichtbaren Netze, welches ich über mein eigenes Haar ziehe. Sie sehen, daß ich vollständig vorbereitet bin, eine Wanderung zu den Himmelssöhnen anzutreten.«
»Wenn Sie dabei nur nicht zu viel wagen!«
»Wagen? Nicht, daß ich wüßte! Kapitän Heimdall Turnerstick weiß stets, was er thut. Denken Sie nur an meine Sprachfertigkeit, an meine Endungen und Dialekte! Was kann mir geschehen? Uebrigens bin ich geborener Deutscher und amerikanischer Staatsbürger. Was kann mir geschehen, wenn ich mich als Gentleman betrage? Nichts, gar nichts! Ich habe mir einen Titel beigelegt, damit die Herren Chinesen nicht etwa denken sollen, daß ich nur von Hollundersuppe lebe. Was können sie dagegen haben? Und wenn ich mich den Kaiser von Lappland nenne, so müssen sie es sich gefallen lassen! Also ich bin zum Aufbruche bereit. Will nur dem Steuermann noch einiges sagen. Wie steht es mit Ihnen? Haben Sie Ihre Vorbereitungen getroffen?«
»Große Vorbereitungen habe ich nicht zu treffen. Wenn Sie mit dem Steuermann fertig sind, werden wir drei uns Ihnen anschließen können. Gepäck nehmen wir ja nicht mit; also sind wir schnell bereit.«
»Nun, ganz so schnell, wie Sie denken, wird es doch nicht gehen. Da kommt das Polizeiboot, dessen Insassen wir Rede und Antwort zu stehen haben. Ein Glück, daß wir nicht aus einer verseuchten Gegend kommen und keine Kranken an Bord haben, sonst würde man uns zu einer Quarantäne zwingen, welche bis zehn Tage währen könnte. Eigentlich hätte uns dieses Boot schon weit draußen ansegeln sollen.«
Das Boot legte an, und der Polizeikommissar kam mit dem Arzte und einem Unterbeamten an Bord. Das waren Engländer, denn Hongkong ist ja englische Besitzung. Sie erstaunten nicht wenig, als Turnerstick sich ihnen als Kapitän vorstellte; aber als sie einige Redensarten mit ihm gewechselt hatten, erkannten sie, wes Geistes Kind er sei, und gaben sich Mühe, ihre amtlichen Fragen in ernster Höflichkeit an ihn zu richten. Sie fanden alles in Ordnung, und da der Steuermann alles Weitere zu besorgen hatte, so stand, als sie sich entfernt hatten, dem wackern Heimdall nichts im Wege, an das Land zu gehen.
Während der letzteren Verhandlung war es dem Besitzer eines der vielen Boote, welche sich vorhin herbeigedrängt hatten, doch gelungen, am Fallreep anzulegen und an Bord zu kommen. Er war ein alter Chinese in schmutzigem Gewande, barfuß und mit einem riesigen Binsenhute auf dem Kopfe. Hinten hing ihm ein mageres, kurzes Zöpfchen wie ein Rattenschwanz herab, und vorn balancierte eine riesige Brille auf dem mongolischen Stumpfnäschen. Als er bemerkte, daß der Kapitän ihn zornig fortweisen wollte, kam er ihm zuvor, indem er ihn in höflichem Tone und zwar in dem hier gebräuchlichen Pitchenenglisch fragte:
»Money, money! To want You money? I am money-exchanger; to be banker. I will exchange!«
Er hatte einen Teil der Unterredung Turnersticks mit den Beamten mit angehört und wußte also, daß der Kapitän trotz seiner kostbaren chinesischen Kleidung kein Eingeborener sei. Sein Anerbieten beseitigte sofort den Unwillen Turnersticks, welcher überzeugt war, daß ein wenig Kleingeld in der Tasche stets von Vorteil sei. Darum hellte sich die finstere Miene des Kapitäns auf; er zog einen langen, dicken, wohlgefüllten Lederbeutel aus der Tasche seiner weiten Hose, öffnete ihn, nahm ein Geldstück heraus und sagte – aber nicht etwa englisch, o nein, denn er wollte ja als Chinese gelten:
»Ja, ja! Ich brauching Moneteng, kleinang Moneteng. Wechslung Sie mir eineng Dollaring!«
Er hielt das Geldstück dem Wechsler entgegen. Dieser öffnete die Augen doppelt weit, starrte ihn ob dieses Chinesisch ganz betroffen an und antwortete:
»I can not to understand. I shall exchanger this dollar?«
»Ja, yes, oui! Ich habing doch deutling genung gesprocheng!«
Der Chinese schüttelte dennoch leise den Kopf; aber da er wenigstens das Yes verstanden hatte, so erkundigte er sich:
»Which money to wish You?«
Turnerstick wendete sich an den Methusalem, welcher die Szene mit stillem Vergnügen beobachtete:
»Bitte, wie heißt denn eigentlich die hiesige Scheidemünze? Ich will möglichst Kleingeld haben.«
Um die Lippen des Gefragten spielte ein nicht zu unterdrückendes Lächeln, als er antwortete:
»Die kleinste Münze ist die Sapeke, hier Li genannt. Zehn Li sind ein Fen, zehn Fen ein Tschun und zehn Tschun ein Liang.«
Turnerstick bedankte sich mit einem Kopfnicken für die Auskunft und befahl dem Wechsler:
»Gebeng Sie mir Li, lauter Li! Ich will Li, nichts als Li bekomming!«
Dabei gab er ihm den Dollar in die Hand. Der Wechsler blickte drei, vier Male zwischen dem Dollar und dem Gesichte des Kapitäns hin und zurück, öffnete den Mund noch weiter als vorher, zog die Stirn in solche Falten, daß ihm die Brille über das Näschen rutschen wollte, und meinte bedenklich:
»Li, li, li! I have li, li, li!«
Er trat an die Regeling und rief den beiden Burschen, welche in seinem Boote saßen, einige chinesische Worte zu, worauf sie einen Holzkasten heraufgeschleppt brachten, den sie vor ihn hinstellten. Er legte den Zeigefinger an die Nase, machte in halblautem Tone seine Berechnung und öffnete dann den Kasten.
»Gebeng Sie mir für zwei Dollaring, für drei Dollaring!« gebot Turnerstick, indem er noch zwei Dollars aus dem Beutel zog und sie dem Wechsler reichte. Dieser wiederholte die schon erwähnte Grimasse, griff dann in den Kasten und zog drei Schnüre hervor, an welche je 600 Li gereiht waren.
Es