Der Oelprinz. Karl May
daß sie an Ort und Stelle zu bleiben habe.
Während ihrer Abwesenheit waren alle Vorbereitungen getroffen worden, so daß jetzt sofort aufgebrochen werden konnte. Der Führer ritt voran, mit ihm die beiden Jünglinge, denen es von Interesse war, nächtlich an der Spitze dieses einsamen Zuges zu reiten. Dann folgten die Wagen, von Dick Stone und Will Parker geleitet, während Sam Hawkens mit dem Kantor hinten folgte. Er hatte sich mit Absicht diesen Begleiter auserwählt, da er glaubte, von diesem am besten über die Verhältnisse der Personen, welche diese kleine Karawane bildeten, unterrichtet werden zu können. Eigenartig, sehr eigenartig mußten diese Verhältnisse sein; das sagte er sich nach dem, was er bis jetzt davon gesehen und erfahren hatte. Der originelle musikalische Kantor; diese Frau Rosalie Ebersbach, vor welcher alle so bedeutenden Respekt zu haben schienen und die ihm, dem erfahrenen Westmanne, so absprechend entgegengetreten war; der Sohn des Indianerhäuptlings, welcher aus Deutschland kam; der junge Deutsche, welcher dessen Freund zu sein und nicht zu den andern zu gehören schien; das waren Persönlichkeiten und Verhältnisse, welche die Neugierde erwecken mußten. Der Kantor kam der Wißbegierde des Kleinen entgegen, denn kurze Zeit, nachdem die Wagen sich in Bewegung gesetzt hatten, begann er das beabsichtigte Gespräch mit der Frage:
»Unsre Frau Rosalie war mit bei diesen Finders. Denen wird sie aber ihre Meinung gesagt haben, denn sie weiß ihre Zunge zu gebrauchen, wenn sie will. Sie hat doch jedenfalls mit ihnen gesprochen?«
»Kein Wort.«
»Das sollte mich wundern. Ich habe im Gegenteile geglaubt, daß sie ganz fortissimo mit ihnen verfahren würde.«
»Spricht sie denn englisch?«
»Nur einige Worte, welche sie sich unterwegs gemerkt hat.«
»Wie können Sie da denken, daß sie mit diesen Leuten reden könne, die nur englisch oder spanisch verstehen!«
»Sie konnte sich doch eben dieser Worte, welche sie gelernt hat, bedienen.«
»Zehn oder zwölf zufällig aufgeschnappte Ausdrücke reichen zu einer langen Strafpredigt nicht aus. Uebrigens hatte es den Anschein, als ob ihr, als sie die Finders sah, der Mut zu einer solchen Rede entschwunden sei.«
»Der Mut? Wieso? Diese Burschen haben doch gefesselt am Boden gelegen; da brauchte sie sich nicht vor ihnen zu fürchten.«
»Zu fürchten gerade nicht; aber trotzdem haben diese wilden Gestalten einen Eindruck auf sie gemacht, durch welchen sie zum Schweigen veranlaßt worden wäre, selbst wenn sie englisch hätte sprechen können.«
»Das glauben Sie ja nicht! Frau Rosalie fürchtet sich vor keinem Menschen, mag er noch so vornehm oder noch so verwegen aussehen. Sie hat Haare auf den Zähnen und ist gewohnt, daß man ihr den Willen thut.«
»Das habe ich freilich bemerkt. Sie alle hielten ja den Mund, als sie mir widersprach.«
»Ja, das muß man thun, wenn man nicht ein tüchtiges Graupelwetter auf sich laden will. Dabei aber ist sie seelensgut und, wenn man sie nur reden läßt, gleich wieder um den kleinen Finger zu wickeln. Widerspruch verträgt sie freilich nicht.«
»Das ist ein großer Fehler, wenn ich mich nicht irre. Wenn man eine Sache nicht versteht, muß man Lehre annehmen.«
»O, diese Frau Rosalie versteht vieles und alles!«
»Unsinn! Von den hiesigen Verhältnissen und wie man sich dabei zu verhalten hat, kann sie gar nichts wissen. Und wenn sich solche Scenen wiederholen, wie die heutige war, muß sie sehr gewärtig sein, nicht nur tüchtig zurechtgewiesen zu werden, sondern auch, wenn sie bei ihrem Willen beharrt, die ganze Gesellschaft in Schaden oder gar Gefahr zu bringen.«
»Auch das dürfen Sie nicht glauben. Selbst wenn sie etwas nicht kennt und versteht, findet sie sich außerordentlich schnell hinein. Sie haben ja auch gesehen, daß sie dann einer Ansicht mit Ihnen war. Es ist immer
besser, sie laufen zu lassen, wie sie laufen will, sie kommt doch stets am richtigen Fine an.«
»Wenn Sie so sprechen, scheinen auch Sie einen großen Respekt vor ihr zu haben, Herr Kantor.«
»Herr Kantor emeritus, wenn ich bitten darf! Es ist ja nur der Vollständigkeit wegen, weil ich meinen Abschied genommen habe und also nicht mehr im Amte bin. Ja, ich habe Respekt vor ihr, und sie verdient ihn auch. Sie ist eine tüchtige und musikalisch gebildete Frau.«
»Aha, musikalisch gebildet, hihihihi! Komponiert sie etwa auch?«
»Nein; aber sie spielt.«
»Was?«
»Ziehharmonika.«
»Alle Wetter, das ist freilich etwas andres! Ziehharmonika! Ein vorzügliches Instrument, wenn ich mich nicht irre! Ja, wenn sie diese spielt, so muß man Respekt vor ihr haben. Ich habe noch nie von einer Dame gehört, welche Ziehharmonika spielt.«
»Ich auch nicht; Frau Rosalie ist die erste. Sie hat sich manchen schönen Thaler damit verdient.«
»Ah, etwa bei einer herumziehenden Damenkapelle gewesen?«
»Nein, zum Tanze aufgespielt.«
»Oeffentlich?«
»Ja.«
»Bravo! Ich denke, Sie halten den Tanz für etwas Ordinäres?«
»Das thue ich auch; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Frau Rosalie ist nämlich eine geborene Morgenstern —«
»Das weiß ich; sie hat es mir gesagt.«
»Und heiratete in die Leiermühle bei Heimberg —«
»Verwitwete Leiermüllerin,« nickte Sam Hawkens lächelnd.
»Zur Mühle gehörte eine Schankgerechtigkeit mit kleinem Tanzsaale. Das Geschäft war vorher schlecht gegangen, bis sie sich desselben annahm. Das war wieder einmal ein in die Augen fallender Beweis, welchen Wert die edle Musika hat; sie verläßt keinen Musensohn und auch keine Musentochter. Frau Rosalie kaufte sich eine Ziehharmonika, lernte sie spielen und zog mit derselben die tanzlustige Jugend der ganzen Umgegend an sich. Da sie selbst zum Tanze aufspielte, brauchte sie keine Musikanten zu bezahlen und nahm ein schönes Geld für sich ein, da die Tour pro Person zwei Pfennige kostete; billiger machte sie es nicht, denn wen die Musen geadelt haben, der hat die Pflicht, seinen Wert aufrecht zu erhalten. Also es wurde nicht nur getanzt, sondern auch gegessen und getrunken; das Geschäft hob sich außerordentlich, und als der alte Leiermüller starb, hinterließ er sie als eine Witwe, welche auf einem vollen Geldsacke saß und sagen konnte: Kommt her und habt Respekt vor mir!«
»Und den hatte man auch?«
»Natürlich! Sie war die reichste Frau im Dorfe, verkaufte dann später die Mühle zu einem hohen Preise und wurde hierauf die Frau unsres Schmiedemeisters —«
»Welcher auch Respekt vor ihr hat!«
»Warum sollte er nicht?«
»Wie aber und aus welchem Grunde kommt sie jetzt nach Amerika?«
»Diesen vortrefflichen Gedanken habe ich ihr eingegeben.«
»Sie? Hm! Die Frau konnte in der Heimat bleiben; sie hatte ja doch keine Not daheim.«
»So meinen Sie, daß man nur aus Not auswandern soll?«
»Das nicht; aber ein Zwang, ein innerer oder äußerer Zwang, ist doch meist die Ursache.«
»War es auch hier, nämlich ein Drang, ein Stringendo nach der neuen Welt. Ich hatte ihr Bücher geborgt, und die Schmiederei ging schlecht; es gefiel ihr nicht mehr daheim. Als sie nun hörte, was der Hobble-Frank mir alles gesagt und erzählt hatte, und daß ich meine Helden hier in Amerika suchen wollte, da war sie ganz Feuer und Flamme und wollte mit.«
»Wie kamen Sie denn zu ihr, die in Heimberg wohnt, während Sie aus Klotzsche sind? Liegen diese beiden Orte nahe beisammen?«
»Nein, Heimberg liegt oben im Gebirge, Klotzsche aber nahe bei Dresden. Aber ich war doch in Heimberg Kantor, meine letzte Anstellung, und zog des besseren Klimas wegen, sobald ich emeritiert worden war, nach Klotzsche, blieb aber mit Heimberg in stetem Briefwechsel und war auch öfters dort. Trotz alledem wäre ihr der Gedanke,