Der Schatz im Silbersee. Karl May
Schluck hier!«
»Hier habt Ihr einen Dollar; holt, was Euch beliebt, dort am Board, und setzt Euch mit zu uns!«
Der Ausdruck der Verdrossenheit verschwand sofort vom Gesichte des Negers, auch war er jetzt viel beweglicher als vorher. Er brachte zwei volle Flaschen nebst einigen Gläsern und setzte sich dann neben den Cornel, welcher bereitwillig zur Seite rückte. Als das erste Glas über seine Zunge gelaufen war, goß er sich noch ein zweites voll, leerte es und fragte darauf: »Das ist eine Erquickung, Sir, die unser einer sich nicht oft gewähren kann. Aber wie kommt Ihr, auf den Gedanken, mich einzuladen. Ihr Weißen seid doch sonst nicht so zuvorkommend gegen uns Schwarze.«
»Bei mir und meinen Freunden ist ein Neger ebensoviel wert, wie ein Weißer. Ich habe bemerkt, daß Ihr beim Kessel angestellt seid. Das ist eine schwere und durstige Arbeit, und da ich mir denke, daß der Kapitän Euch nicht mit Hundertdollarnoten bezahlen wird, so sagte ich mir, daß Euch ein guter Schluck so gerade recht sein würde.«
»Da habt Ihr einen vortrefflichen Gedanken gehabt. Der Kapitän zahlt freilich schlecht; man kann es zu keinem rechten Trunke bringen, zumal er keinen Vorschuß gibt, wenigstens mir nicht, sondern erst am Schlusse der Fahrt in den Beutel greift — damn!«
»So hat er es wohl auf Euch abgesehen?«
»Ja, gerade auf mich.«
»Warum?«
»Er sagt, mein Durst sei zu groß; den andern zahlt er täglich, mir aber nicht. Da ist‘s dann kein Wunder, wenn der Durst größer und immer größer wird.«
»Nun, es soll ganz auf Euch ankommen, ob Ihr ihn heute werdet stillen können oder nicht.«
»Wieso?«
»Ich bin bereit, Euch einige Dollar zu geben, wenn Ihr mir dafür einen Gefallen thut.«
»Einige Dollar? Huzza! Dafür bekäme ich so mehrere Flaschen voll! Nur heraus mit Eurem Wunsche, Sir. Den Gefallen werde ich Euch gut und gern erweisen.«
»Die Sache ist nicht so leicht. Ich weiß nicht, ob Ihr der richtige Mann sein werdet.«
»Ich? Wenn‘s gilt, einen Brandy zu verdienen, so bin ich stets der richtige Mann.«
»Möglich. Aber es muß schlau angefangen werden.«
»Schlau? Es ist doch nicht etwa etwas, was meinem Rücken Schaden bringen kann? Der Kapitän duldet keine Unregelmäßigkeit.«
»Keine Sorge; es ist nichts derartiges. Ihr sollt nur ein wenig lauschen, ein wenig horchen.«
»Wo? Bei wem?«
»In dem Salon.«
»So? Hm?« brummte er nachdenklich. »Warum denn, Sir?«
»Weil — nun, ich will aufrichtig mit Euch sein.« — Er schob dem Neger ein volles Glas hin und fuhr in vertraulichem Tone fort: »Da ist ein großer, riesenhaft gebauter Sir, den sie Old Firehand nennen, ferner ein dunkelbärtiger Kerl, welcher Tom heißt, und endlich eine Fastnachtsmaske in einem langen Lederrocke, welche auf den Namen Tante Droll hört. Dieser Old Firehand ist ein reicher Farmer, und die beiden andern sind seine Gäste, welche er mit zu sich nimmt. Zufälligerweise wollen auch wir nach dieser Farm, um dort Arbeit zu nehmen. Es versteht sich da ganz von selbst, daß es da eine gute Gelegenheit gibt, zu erfahren, was für Leute die sind, mit denen wir es zu thun haben werden. Ich denke, sie werden von ihren Angelegenheiten sprechen, und wenn Ihr die Ohren offen haltet, kann es Euch gar nicht schwer fallen, uns zufrieden zu stellen. Ihr seht und hört, daß ich gar nichts Unrechtes und Verbotenes von Euch verlange.«
»Ganz richtig, Sir! Kein Mensch hat mir verboten, zuzuhören, wenn andre hier sprechen. Die nächsten sechs Stunden gehören mir; ich bin arbeitsfrei und kann thun, was mir beliebt.«
»Aber wie wollt Ihr es anfangen?«
»Das ist eine Frage, über welche ich soeben nachdenke.«
»Dürft Ihr in den Salon?«
»Untersagt ist es mir gerade nicht; aber ich habe nichts darin zu suchen.«
»So macht Ihr Euch einen Vorwand!«
»Aber welchen? Ich könnte etwas hineintragen, etwas herausholen. Das ist aber in so kurzer Zeit geschehen, daß ich meinen Zweck dabei nicht zu erreichen vermag.«
»Gibt es denn nicht irgend eine Arbeit, mit welcher Ihr Euch länger darin beschäftigen müßt?«
»Nein — — oder doch! Da fällt mir etwas ein. Die Fenster sind schmutzig; ich könnte sie putzen.«
»Wird das nicht auffallen?«
»Nein. Da der Salon stets besetzt ist, so kann diese Arbeit nicht zu einer Zeit vorgenommen werden, in welcher niemand da ist.«
»Aber Ihr seid es nicht, der sie zu verrichten hat.«
»Das schadet nichts. Sie ist eigentlich des Stewards Sache; diesem aber thue ich den größten Gefallen, wenn ich sie ihm abnehme.«
»Aber er kann Verdacht fassen.«
»Nein. Er weiß, daß ich kein Geld habe und doch gern einen Brandy trinke. Ich sage, daß ich Durst habe, und an seiner Stelle für ein Glas die Fenster putzen will. Da wird er kein Mißtrauen fassen. Ihr braucht keine Sorge zu haben, Sir, ich werde es gewiß ermöglichen. Also wie viele Dollar versprecht Ihr mir?«
»Ich zahle nach dem Werte der Nachricht, welche Ihr mir bringt, zum wenigsten aber drei Stück.«
»All right; es wird gemacht. Schenkt mir noch einmal ein, dann will ich gehen.«
Als er sich entfernt hatte, wurde der Cornel gefragt, was er eigentlich mit dem erteilten Auftrage bezwecke. Er antwortete: »Wir sind arme Tramps und müssen überall sehen, wo wir bleiben. Wir haben hier Passage zahlen müssen, und so will ich wenigstens den Versuch machen, zu erfahren, ob wir dieses Geld nicht auf irgend eine Weise wieder bekommen können. Für den weiten Marsch, welchen wir vorhaben, müssen wir Vorbereitungen treffen, welche viel Geld kosten, und ihr wißt, daß unsre Beutel ziemlich leer geworden sind.«
»Wir wollen sie ja aus der Eisenbahnkasse füllen!«
»Wißt ihr so genau, daß uns dieser Plan gelingen wird? Wenn wir schon hier Geld machen können, so wäre es die größte Thorheit, die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen.«
»Also, daß ich es gerade heraussage, Diebstahl hier an Bord? Das ist gefährlich. Man kann doch nicht dann augenblicklich fort, und wenn der Betreffende den Verlust entdeckt, so gibt es ganz sicher ein schauderhaftes Hallo, dem eine Durchsuchung sämtlicher Personen und aller Winkel des Schiffes folgen wird. Gerade wir werden die ersten sein, auf welche der Verdacht fällt.«
»Du bist der größte Kindskopf, der mir vorgekommen ist. So eine Sache ist gefährlich und auch nicht, ganz je nachdem, wie sie angefaßt wird. Und ich bin nicht derjenige, der sie bei der falschen Seite faßt. Wenn ihr mir in allem folgt, so muß uns alles, auch dann der letzte große Coup gelingen.«
»Der droben am Silbersee? Hm! Wenn man dir da nur nicht einen Bären aufgebunden hat.«
»Pshaw! Ich weiß, was ich weiß. Es kann mir nicht einfallen, euch jetzt schon einen ausführlichen Bericht zu geben. Wenn wir an Ort und Stelle sind, werde ich, euch unterrichten. Bis dahin müßt ihr mir vertrauen schenken und mir glauben, wenn ich euch sage, daß es da oben Reichtümer gibt, welche für uns alle lebenslang ausreichen. Jetzt wollen wir alles unnötige Geschwätz vermeiden und lieber ruhig abwarten, was der dumme Nigger uns für einen Bericht bringt.«
Er lehnte sich an die Schanzverkleidung und schloß die Augen zum Zeichen, daß er nun nichts mehr hören wolle und nichts mehr sagen werde. Auch die andern machten es sich so bequem wie möglich. Die einen gaben sich Mühe, einzuschlafen, ohne aber diesen Zweck zu erreichen, die andern flüsterten leise miteinander über den großen Plan, zu dessen Ausführung sie sich auf Leben und Tod verbunden hatten.
Der »dumme Nigger« schien seiner Aufgabe doch gewachsen zu sein. Hätte er ein unüberwindliches Hindernis