Der schwarze Mustang. Karl May

Der schwarze Mustang - Karl May


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Mir ist später auch der Gedanke gekommen, daß der alte Joseph Habakuk doch so reich gewesen und sein Neffe Nahum Samuel mit dem Gelde entwichen sein könne. Ich habe nach dem letzteren gesucht, mehrere Jahre lang, doch vergebens, wie ich Ihnen schon sagte.«

      »Ich auch, und ebenso vergebens, doch nur bis vor kurzer Zeit, denn nun habe ich seine Spur.«

      »Sei – ne – Spur? Wie – wa – wirk – lich?« rief Kasimir, indem er so schnell von seinem Sitze aufsprang, daß die Anwesenden alle aufmerksam wurden und ihre Blicke auf ihn richteten.

      »Still, ruhig!« warnte Hasael. »Man darf sich nicht so bald aufregen lassen. Ich habe aus einem ganz untrüglichen Munde gehört, daß ein gewisser Nahum Samuel Timpe, früher Büchsenmacher und nun ungeheuer reich, jetzt in Santa Fé wohnt.«

      »In Santa Fé da drüben? Da müssen wir hin, unverzüglich hin, wir beide, Sie und ich!«

      »Bin damit einverstanden, Vetter. Es war natürlich meine Absicht, ihn aufzusuchen und zur Herausgabe des Geldes nebst Zinsen zu zwingen. Daß dies schwer, sehr schwer sein wird, habe ich mir nicht verhehlt, und darum freut es mich, Sie getroffen zu haben, denn zweien muß es leichter werden. Wir treten in einer solchen Weise vor ihn hin, daß er vor Schreck seine Schandthat eingesteht und das Geld augenblicklich aufzählt. Wir sind Westmänner und drohen ihm mit dem Gesetze der Prairie. Nicht?«

      »Selbstverständlich, ganz und gar selbstverständlich!« stimmte Kasimir höchst eifrig bei. »Welch ein Glück, daß ich Sie getroffen habe, Sie – Sie – Sie? Ist es nicht eine Dummheit, Vetter, uns Sie zu nennen, da wir so nahe Verwandte und Schicksalsgenossen sind?«

      »Kommt mir auch so vor.«

      »Also Brüderschaft machen, du sagen, nicht wahr, du?«

      »Mir recht. Hier ist meine Hand; schlag ein! Wir füllen die Gläser wieder und leeren sie auf unser Wohl und auf das Gelingen unsres Vorhabens. Da, stoß an!«

      »Prosit, Vetter, oder vielmehr: Prosit, lieber Hasael!«

      »Prosit! Aber Hasael? Weißt du, man ist in den Staaten möglichst kurz, besonders mit den Namen. Man sagt Jim, Tim, Ben und Bob und spricht nicht alle Silben aus, wenn eine einzige genügt. Mein Vater sagte stets Has‘ oder vielmehr Has anstatt Hasael, und ich habe mich daran gewöhnt. Mach du es ebenso!«

      »Has? Hm! Dann müßtest du zu mir auch Kas‘ oder vielmehr Kas sagen anstatt Kasimir!«

      »Warum nicht?«

      »Klingt das nicht sehr dumm?«

      »Dumm? Unsinn! Es klingt, sage ich dir; mir gefällt es, und wie es andern klingen mag, das ist mir gleichgültig. Also nochmals prosit, lieber Kas!«

      »Prosit, lieber Has! Aufs Wohl von Kas und Has, den neuesten Erben Timpes!«

      Sie stießen still begeistert und nur leise ihre Gläser zusammen, um nicht die Aufmerksamkeit der andern Zecher auf sich zu ziehen. Dann meinte der dunkelköpfige Has:

      »Also auf nach Santa Fé! Aber das ist nicht so leicht und schnell ausgeführt, denn wir werden zu einem weiten Umwege gezwungen sein.«

      »Warum?« fragte der semmelblonde Kas.

      »Weil wir durch das Gebiet der Komantschen müßten, wenn wir den kürzesten Weg einschlagen wollten.«

      »Ich hörte doch nicht, daß diese Roten jetzt das Kriegsbeil ausgegraben haben!«

      »Ich auch nicht; aber die Canaillen sind selbst im tiefsten Frieden treulos und stets den Bleichgesichtern feind. Zudem traf ich gestern mit einem Pedlar [Krämer, Händler.] zusammen, der von ihnen kam. Du weißt, daß die Indsmen einem Pedlar niemals etwas Böses thun, weil sie ihn notwendig brauchen. Der sagte mir, daß der große Kriegshäuptling Tokvi-Kava [Schwarzer Mustang] jetzt nicht bei seinem Stamme sei, sondern sich mit einigen seiner besten Krieger entfernt habe, ohne zu sagen, wohin.«

      »Tokvi-Kava, der ›schwarze Mustang‹, der Jägerschinder? Mit den besten Kriegern? Und ohne zu sagen, wohin? Das läßt allerdings sehr stark vermuten, daß er wieder auf eine seiner Grausamkeiten sinnt. Ich fürchte mich wahrlich vor keinem Roten, aber sei man noch so mutig, besser ist es immer, einem solchen Burschen gar nicht zu begegnen. Ich schlage also vor, lieber den Umweg zu machen und eine Woche später in Santa Fe anzukommen. Unser Nahum Samuel wird uns wohl nicht grad‘ jetzt zum zweitenmal davonlaufen.«

      »Und wenn er lief, wir haben seine Spur und würden ihn nun ganz gewiß erwischen, denn —«

      Er wurde unterbrochen, denn der Engineer kam zurück und brachte noch zwei Männer mit. Kas und Has hatten im Eifer ihres Gespräches das wiederholte Pfeifen einer Lokomotive überhört. Der Arbeitszug war angekommen; der Engineer hatte ihn expediert und wurde nun bei der Rückkehr von seinem Aufseher und dem Magazinverwalter begleitet. Er nickte den beiden Westmännern grüßend zu, und dann setzten sich die drei zu dem Mestizen an den für die »Beamten und höheren Gentlemen« bestimmten Tisch. Sie ließen sich auch Grog geben, und dann erkundigte sich der Mischling:

      »Nun, Sir, sind Zeitungen angekommen?«

      »Nein,« antwortete der Engineer, »die werden morgen erst eintreffen; aber Nachrichten habe ich erhalten.«

      »Gute?«

      »Leider nicht. Wir werden von jetzt an sehr wachsam sein müssen.«

      »Warum?«

      »Es sind in der Nähe der Rückstation Spuren von Indianern gesehen worden.«

      Es war, als ob die halb unter den Lidern verborgenen Augen des Mischlings für einen Moment zornig aufleuchteten, doch klang seine Stimme ganz gelassen, als er sagte:

      »Das ist doch kein Grund, ungewöhnlich wachsam zu sein!«

      »Ich denke doch!«

      » Pshaw! Kein Stamm hat jetzt den Tomahawk des Krieges ausgegraben, und wenn es wäre, so darf man von einigen Fußstapfen nicht gleich auf Feinde schließen.«

      »Freunde lassen sich sehen. Wer sich versteckt hält, der hat keine guten Absichten; das kann ich mir sagen, obgleich ich kein Scout und Westmann bin.«

      »Eben weil Ihr keiner seid, sagt Ihr es Euch. Der erfahrene Westmann würde der Ansicht sein, daß die Roten an der Station vorübergegangen seien, weil sie keine Zeit hatten, sich zu zeigen.«

      »Keine Zeit? Die Roten haben stets und immer Zeit, bei den Weißen herumzulungern und sie anzubetteln. Wenn sie sich verstecken, ist ihre Absicht sicher keine gute. Du bist ein tüchtiger Pfadfinder und in dieser Gegend bekannt; ich habe dich engagiert, daß du von morgen an die Umgebung scharf durchstreifst.«

      Durch die geschmeidige Gestalt und über das Gesicht des Mestizen ging ein leises Zucken, als ob er zornig auffahren wollte, doch beherrschte er sich wieder und antwortete in ruhigem Tone:

      »Ich werde es thun, Sir, obgleich ich weiß, daß es nicht nötig ist. Indianerspuren haben nur zur Kriegszeit böse Bedeutung. Und noch eins: die Roten sind oft bessere und treuere Menschen als die Weißen.«

      »Diese Ansicht macht deiner allgemeinen Menschenliebe alle Ehre, aber ich könnte dir mit Beispielen, mit vielen Beispielen beweisen, daß du im Irrtum bist.«

      »Und ich mit noch mehreren, daß ich recht habe. Ist jemals ein Mensch treuer gewesen, als Winnetou zu Old Shatterhand ist?«

      »Winnetou ist eine Ausnahme. Kennst du ihn?«

      »Gesehen habe ich ihn noch nicht.«

      »Oder Old Shatterhand?«

      »Auch noch nicht; aber alle ihre Thaten kenne ich.«

      »So hast du auch von Tangua, dem Häuptling der Kiowas [Dieses Wort wird Ke-i-o-wehs ausgesprochen] gehört?«

      »Ja.«

      »Welch ein Verräter war dieser Schurke! Er warf sich damals, als Old Shatterhand noch Surveyor war, zu seinem Beschützer auf und hat ihm doch fort und fort nach dem Leben getrachtet. Er hätte ihn sicher ausgelöscht, wenn dieser berühmte Weiße nicht ein so kluger, umsichtiger und ebenso kühner wie starker Mann gewesen wäre. Wo findest du da die Treue, von der


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