Die Sklavenkarawane. Karl May
Löwenhälfte‘ ist mit Blindheit geschlagen gewesen, und wir müssen – — —«
»Still!« gebot ihm der Deutsche. »Wir haben mehr zu thun. Ich sehe vier Teilnehmer der Gum hier liegen. Das ist weniger als ich dachte. Bindet sie! Wahrscheinlich sind sie nur betäubt.«
Er trat zur Felsenecke, von welcher aus er das Feuer sehen konnte. An demselben standen die Homr, welche nicht wußten, was sie denken sollten. Er nahm an, daß sie dort bleiben würden, bis sie von irgend einer Seite Aufklärung erhielten. Darum fuhr er fort:
»Bleibt hier! Vielleicht kann ich ein Kamel oder mehrere erbeuten.«
Er rannte fort, in der Richtung, in welcher die Araber geflohen waren. Er wußte, wo sie gelagert hatten. Auch ihre Kamele waren gefesselt gewesen, und da diese Tiere nicht schnell zum Aufstehen zu bringen sind, so mußten die Flüchtigen dort jedenfalls länger verweilen, als ihnen lieb war, da sie doch anzunehmen hatten, daß man sie verfolgen werde.
Sein zweites Gewehr hatte er über dem Rücken hängen; das erste lud er im Laufen. Dabei kam er an der Stelle vorüber, wo der von der Kugel des Slowaken Getroffene lag. Dieser regte sich nicht.
Hatte er vorhin, als er vorsichtig sein mußte, über eine Viertelstunde gebraucht, um an die Gum zu kommen, so ging es jetzt schneller. In weniger als zwei Minuten war er der Stelle nahe. Er sah die Gruppe der Männer, welche sich um die Kamele bemühten. Da blieb er stehen und schoß ein-, zweimal auf sie. Jeder von ihnen hatte vor allen Dingen sein eigenes Tier von den Fesseln befreit. Das sollte gerade auch mit den fünf übrigen Kamelen geschehen, als die beiden Schüsse krachten, von denen einer der Araber verwundet wurde.
»Fort!« schrie Abu el Mot, der sich unter den Entkommenen befand. »Laßt die Bestien liegen, denn die Schejatin sind hinter uns her!«
Und als Schwarz nun auch die beiden Schüsse seines andern Gewehres abgab, war kein Halten mehr. Die um fünf Menschen und Tiere verringerte Gum flog davon, in die Nacht hinein.
Schwarz näherte sich vorsichtig den Tieren, da leicht ein Feind hinter denselben sich versteckt haben konnte. Er überzeugte sich jedoch bald, daß dies nicht der Fall war. Die fünf Sättel lagen daneben, ebenso mehrere Kirban und Dattelsäcke.
Da nicht anzunehmen war, daß die Gum zurückkehren werde, so ließ der Deutsche die Tiere samt diesen Gegenständen liegen und eilte dem Felsen wieder zu. Die Folgen des Hiebes, den er kurz zuvor erhalten hatte, waren überwunden und sein Kopf wieder leicht und frei wie vorher.
Die Dschelabi standen bei den vier Gefesselten, welche sich noch nicht regten.
»Sind noch Stricke, Riemen oder Schnüre vorhanden?« fragte Schwarz.
»Genug, Herr,« antwortete der Slowak. »Ein Dschelabi hat deren stets in seinen Taschen.«
»So binden wir jetzt auch die Homr.«
»Wenn sie es sich gefallen lassen!«
»Versuchen wir es.«
Er ging wieder an die Ecke. Die Homr standen noch immer wartend am Feuer. Sie hatten die Schüsse und das Geschrei gehört und sagten sich, daß der Überfall nicht in der gewünschten und auch erwarteten Weise verlaufen sei; aber wie die Angelegenheit stand, das vermochten sie sich nicht zu sagen, da sie nicht hatten sehen können, was geschehen war. Nur das war ihnen gewiß, daß der Deutsche und die Dschelabi nicht geschlafen, sondern sich verteidigt hatten. Wer aber war da Sieger geblieben? Die Klugheit riet ihnen, sich entfernt zu halten und das Kommende abzuwarten.
Sie konnten nicht bis zur zweiten Lagerstätte, wo das Feuer nicht mehr brannte, sehen, doch war alle ihre Aufmerksamkeit nach dieser Gegend gerichtet. Da sahen sie den verhaßten Deutschen von dort herkommen. Er hatte seine Gewehre zurückgelassen. Seine Absicht war, sich zunächst des Schechs zu bemächtigen.
»Habt ihr das Schießen gehört?« fragte er in hastiger Weise.
»Ja,« antwortete der Schech. »Wer ist es gewesen, und was hat es gegeben?«
»Weiß ich es? Ich erwachte von dem Lärm und sah, daß die Dschelabi nicht mehr da waren. Ich suchte nach ihnen und hörte Schüsse im Osten von hier. Ihr seid wach gewesen und müßt also besser als ich wissen, was sich ereignet hat.«
»Nichts wissen wir, gar nichts, Effendi! Wir glaubten die Schüsse kämen aus euren Gewehren und es sei abermals ein Löwe erschienen.«
»Dann müßte er die Dschelabi mit Haut und Haar verschlungen haben, da sie vom Lagerplatze verschwunden sind. Nein, es muß etwas andres gegeben haben. Willst du nicht einmal mit mir nachsehen?«
»Ja, sogleich, ich komme mit.«
Es war gegen alle seine Wünsche, den Deutschen noch am Leben zu sehen. Wo waren die Dschelabi, und wo waren die Männer der Gum? Er brannte vor Begierde, es zu erfahren; darum ging er so bereitwillig auf den Vorschlag des Gelehrten ein.
Die beiden entfernten sich nach der erstgenannten Felsenecke hin. Als sie um dieselbe bogen, erblickte der Schech die Dschelabi, und es entfuhr ihm die unvorsichtige Frage.
»Da sind sie ja! Wo aber ist die Gum?«
»Die Gum?« antwortete Schwarz. »Du gibst also zu, von ihr zu wissen! Für so aufrichtig habe ich dich nicht gehalten.«
»Die Gum – Effendi – die Gum ist – ist – ist – ich habe – — —« stotterte er.
»Schon gut! Bindet ihn!«
Indem er diesen Befehl gab, faßte er ihn mit beiden Händen am Halse und drückte ihm die Kehle so zusammen, daß der Homr keinen Laut ausstoßen konnte. Es wurden demselben sofort Riemen um die Hände und Füße gebunden, worauf man ihn auf die Erde legte.
Jetzt rief Schwarz den erwartungsvoll am Feuer stehenden Homr zu:
»Suef el Abalik soll schnell hierher zum Schech kommen!«
Er kannte die Namen sämtlicher Homr und war überzeugt, daß der Genannte dem Rufe folgen werde. Damit derselbe nicht durch den Schech gewarnt werden könne, kniete der kleine Slowak bei dem letzteren nieder, setzte ihm die Spitze seines Messers auf die Brust und drohte:
»Gieb einen Laut von dir, so ersteche ich dich!«
Der Bedrohte wagte kaum zu atmen, und zwar nicht infolge dieser Drohung allein, sondern weit mehr noch vor Schreck über die Behandlung, welche ihm so unerwartet widerfahren war.
Suef kam. Mit ihm wurde kein überflüssiges Wort gewechselt, sondern Schwarz nahm ihn gleich, als er um die Ecke bog, bei der Gurgel. Er wurde zu Boden geworfen und gebunden. Ebenso erging es einem dritten, den Schwarz noch herbeirief.
Nun befanden sich nur noch drei Homr am Feuer, deren schnelle Überwältigung nicht schwierig war. Zwei Dschelabi blieben bei den Gefangenen. Mit den übrigen sechs ging Schwarz nach dem Feuer, wo je zwei von ihnen, ohne ein Wort zu sagen, einen Homr ergriffen. Dieselben waren so überrascht, daß sie fast gar nicht an Gegenwehr dachten. Einige zornige Fragen ihrerseits und einige kräftige Hiebe, welche sie vor die Köpfe erhielten, dann schlangen sich die Fesseln auch um ihre Arme und Beine.
Man ließ sie am Feuer liegen und schaffte dann die übrigen Homr nebst den vier Gumleuten herbei. Diese letzteren lebten, doch thaten sie, als ob sie noch betäubt seien; aber man sah, daß sie zuweilen die Augen ein wenig öffneten, um die Männer zu betrachten, denen sie in die Hände gefallen waren.
Nun schickte Schwarz drei Dschelabi ab, um den Verwundeten oder vielleicht auch Toten zu holen, welcher von der Kugel des Slowaken getroffen wurde. Als sie ihn daher brachten, zeigte es sich, daß er schwer verwundet war. Die Kugel hatte ihm den rechten Oberschenkelknochen zerschmettert, und Schwarz machte sich daran, das Bein so gut, wie die Umstände es erlaubten, zu verbinden.
Das alles geschah, ohne daß mehr als das Allernotwendigste gesprochen wurde. Die Gefangenen zumal zogen es vor, gar kein Wort hören zu lassen, wohl zumeist aus dem Grunde, weil der Schech sich schweigend verhielt.
Indem Schwarz das Lager in der Obhut der übrigen hinterließ, begab er sich nun mit vier Krämern nach dem Lagerplatze der Gum, um die Kamele und die bei denselben liegenden Gegenstände herbeizuholen. Als dies geschehen war, wurde einer der Dschelabi als