Die Sklavenkarawane. Karl May
er es erlebt, das gleiche Urteil an ihm vollstreckt werden. Das Gericht ist beendet. Ich habe nach Recht und Gerechtigkeit gesprochen. Allah ist mit allen Gläubigen, welche seine Gesetze befolgen; die Missethäter aber wird er mit seinem Zorne vernichten!«
Er erhob sich von seinem Sitze, zum Zeichen, daß die Gerichtsverhandlung zu Ende sei, und die Offiziere thaten dasselbe. Sie entfernten sich, indem sie mit tiefen Verbeugungen Abschied nahmen, und dann erlaubte der Mudir den Dschelabi, die Homr in den Hof zu schaffen und dort Zeugen der Exekution zu sein. Als dann Schwarz sich wieder allein mit ihm befand, fragte der Beamte:
»Dir ist Gerechtigkeit geworden. Wäre das in deinem Lande ebenso schnell geschehen?«
»Das Urteil wäre allerdings später gefällt worden, da man den Fall eingehender untersucht hätte.«
»Was sollte das nützen? Man hätte sich doch jedenfalls überzeugt, daß die Homr schuldig sind?«
»Allerdings.«
»Nun, soweit bin ich viel schneller gekommen. Welche Strafe hätte sie nach euern Gesetzen getroffen?«
»Eine vieljährige Gefangenschaft.«
»Auch da bin ich kürzer. Die Schuldigen erhalten ihre Hiebe und können dann gehen.«
»Für Raubmörder ist diese Strafe außerordentlich milde, nämlich wenn sie die Schläge aushalten.«
Über das Gesicht des Mudir ging ein vielsagendes Lächeln, als er antwortete:
»Ob mein Urteil zu hart oder zu milde ist, das ist Allahs Sache. Er hat dem Verbrecher Glieder gegeben, welche es entweder aushalten oder nicht. Auch bei euch kommt es auf die Gesundheit und Stärke an, ob der Verbrecher die lange Gefangenschaft überwindet oder nicht. Mache dir keine Sorge um die Homr! Ihr Leben ist im Buche verzeichnet; ich kann es ihnen weder nehmen noch erhalten. Erlaube mir, dich zu dem Boten deines Bruders und dann in die Gemächer zu führen, welche für dich bestimmt worden sind.«
Das war dem Deutschen lieb, denn der Aufenthalt in dem Selamlük war jetzt kein angenehmer, da man dort das Brüllen der gepeitschten Araber allzu deutlich vernahm.
Nachdem sie mehrere Zimmer durchschritten hatten, welche nichts als die Wandpolster und einen Teppich enthielten, kamen sie in einen kleinen Hinterhof, in welchem ein Kiosk stand, an dessen hölzernen Wänden sich blühende und duftende Schlinggewächse empor rankten.
»In diesem Lusthause sollst du wohnen,« sagte der Mudir. »Und da ist der Knabe, welcher dir den Brief zu überbringen hat. Er soll dich zu deinem Bruder führen und wird dich auch schon hier bedienen. Er kann dein Dolmetscher sein, denn er spricht die Sprache der Niam-niam und ist auch des Arabischen mächtig.«
Neben der Thür des Gartenhauses war eine Schilfdecke ausgebreitet, von welcher sich die Gestalt des Knaben erhob, um sich gleich wieder vor den beiden demütig zur Erde zu werfen. Der junge Neger war gewiß nicht über sechzehn Jahre alt und fast unbekleidet. Die Farbe seiner Haut war ein erdiges Rotbraun, wohl ein Ergebnis des Bodens, welchen sein Volk bewohnt.
Es ist nämlich eigentümlich, daß, wie man bemerkt hat, die Färbung jener Negerstämme von der Farbe des von ihnen bewohnten Bodens abhängig ist. Die Bewohner der schwarzerdigen Tiefebenen, die Schilluk, Nuehr und Denka, zeichnen sich durch ein tiefes Schwarz der Hautfarbe aus, während die Bongo, Niam-niam und Monbuttu, welche ein rotes, eisenhaltiges Land bewohnen, eine rötliche Färbung besitzen.
Der Mudir befahl dem Neger, aufzustehen. Als er das gethan hatte, sah man, daß er von gedrungener, untersetzter und kräftiger Gestalt war. Die Muskeln seiner Beine waren kräftiger entwickelt, als man es sonst bei Negern zu beobachten pflegt. Seine Gesichtszüge näherten sich dem kaukasischen Typus. Der Mund war zwar aufgeworfen, aber klein, die Nase gerade und schmal. Die Augen waren groß und mandelförmig geschnitten; sie standen sehr weit voneinander ab und gaben dem vollen, runden Gesichte einen schwer zu beschreibenden Ausdruck kriegerischer Entschlossenheit und Vertrauen erweckender Offenheit.
Die Waffen des Knaben lagen neben ihm. Sie bestanden aus einem Bogen nebst einem mit Pfeilen gefüllten Köcher, einem Messer mit sichelartiger Klinge und einem Trumbasch oder Wurfeisen, welches als Waffe sehr gefürchtet ist. Dieses Eisen gleicht dem australischen Bumerang, ist mehrschenklig gebogen und mit scharfen Zähnen und Spitzen versehen. Die Cateja, welche in der Äneide genannt, und als eine Wurfkeule von zerschmetternder Wirkung beschrieben wird, ist jedenfalls auch eine ähnliche Waffe gewesen. – Außerdem trug der Knabe eine Art Schutzwaffe an sich, und zwar an den Armen. Diese steckten nämlich von der Hand an bis zum Ellbogen in einer Menge von Metallringen, die eng aneinander lagen und eine schützende Manschette bildeten. Eine solche Armbekleidung wird Danga-Bor genannt und ist besonders bei den Bongonegern gebräuchlich.
Ganz eigenartig, und gar nicht unschön, war das Haar des Knaben geordnet. Dasselbe war zwar wollig, aber ziemlich lang. In lauter dünne Zöpfchen und diese wieder untereinander verflochten, bildete es auf dem Kopfe eine runde Krone, in welcher ein bunt schillernder Federbusch steckte. Rund um die Stirn, ganz an die Grenze des Haarwuchses befestigt, trug er einen eigenartigen Schmuck, welcher aus den Reißzähnen von Hunden bestand, die an eine Schnur gereiht waren.
Der offene, freundlich ehrerbietige Blick, mit welchem er den Deutschen musterte, machte auf diesen einen sehr guten Eindruck.
»Wie heißest du?« fragte ihn Schwarz.
»Ich bin der Sohn des Bjiä,« antwortete der Neger in arabischer Sprache, in welcher er gefragt worden war. »Die Sandeh heißen mich Nuba; der weiße Mann aber, welcher mich hierher sendet, hat mich Ben Wafa genannt.«
»Das ist ein schöner Name, welcher dir Vertrauen erweckt. Wie heißt dieser weiße Mann?«
»Er nennt sich Schwa-za.«
»Du willst Schwarz sagen?«
»Ja,« nickte der Knabe, »aber ich kann diesen Namen nicht so aussprechen; darum sage ich Schwa-za.«
»Ich heiße ebenso, denn ich bin sein Bruder.«
»So bist du der Effendi, zu dem er mich sendet?«
»Ja.«
»Das freut mich sehr, denn du gefällst mir. Dein Auge ist gerade so mild und freundlich wie das seinige, nicht so grausam wie dasjenige der Araber, welche zu uns kommen, um Reqiq zu machen. Darum werde ich dich gerade so lieb haben wie ihn und dir ebenso treu dienen.«
Es war ihm anzusehen, daß dieser Herzenserguß ein aufrichtiger war, denn sein intelligentes Gesicht glänzte vor Freude.
»Nicht wahr, du sollst mich zu ihm bringen?« fragte Schwarz.
»Ja, Effendi.«
»Aber das ist schwer. Unser Weg führt durch Gegenden, welche den Sandeh und also auch dir feindlich gesinnt sind.«
Da ergriff der Knabe schnell des Deutschen Hand, küßte sie und rief:
»Effendi, du schimpfest uns nicht Niam-niamIst der Denkasprache entnommen und bedeutet ‚Allesfresser‘, auch ‚Menschenfresser‘, sondern nennst uns bei unsrem richtigen Namen! Ich bin ein Königsprinz und brauche keinem Menschen zu dienen. Für dich aber werde ich alles thun, was du verlangst. Nur deinem Bruder zuliebe bin ich sein Bote geworden, denn ein andrer wäre nicht klug genug gewesen, bis hierher zu gelangen; die Denka und Nuehr hätten ihn getötet oder zum Sklaven gemacht.«
»Hattest du das denn nicht auch für dich zu befürchten?«
»Nein, denn mich fängt keiner. Ich bin ein Krieger und habe unsre Männer schon oft in den Kampf geführt.«
Er sagte das mit einem ruhigen Stolze, welcher fern von Überhebung war. Der kleine, jugendliche Held mußte allerdings ein ganz tüchtiges Kerlchen sein, da er eine so weite Reise ganz allein durch feindliches Land unternommen und auch glücklich beendigt hatte.
»Wäre es nicht besser gewesen, wenn du noch einige Krieger mitgenommen hättest?« fragte Schwarz.
»Nein, denn mehrere werden leichter bemerkt, als nur einer.«
»Bist du gelaufen?«
»Nein. Ich habe mir eine kleine Flukah mit einem Segel gebaut. Mit derselben bin ich den Bahr er