Leïlet. Karl May
um seinem zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blicke voll versteckt sein sollendem und doch hervorbrechendem Hasse drohte er:
»Bei der Seligkeit aller Himmel, Effendi, sobald Du ein Wort sprichst, was ich nicht wünsche, oder nur das Geringste mehr thust, als Dir erlaubt ist, stoße ich sie nieder. Ich schwöre es bei jedem Worte des Korans und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!«
Er hatte mich also doch kennen gelernt und wußte, daß ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als die sanguinischesten Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet waren. Uebrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken, nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger desto weniger einer Ahnung entschlagen, daß sein Verhältniß mit der Kranken irgend einen dunklen Punkt habe.
Wir gingen. Er schritt voran und ich folgte.
Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Gethier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, welcher allen Anzeichen nach als eigentlicher Frauendivan benutzt wurde. All‘ die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.
Eine größere Ausdehnung schien der Harem außer einem noch anstoßenden Raume nicht zu haben, und das unentbehrliche Bad lag jedenfalls unten zur ebenen Erde.
»Nun siehe, ob Du den Dämon der Krankheit hier findest!« forderte mich Abrahim mit einem halb spöttischen, halb gläubigen Lächeln auf. »Ich will sehen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage nicht, mir nachzufolgen, bis ich wiederkomme!«
Ich war allein. Wo war sie? War sie da draußen? Ganz gewiß; seine Wort waren ja deutlich genug. Wer sie doch sehen könnte, Leïlet, die Nacht, die kranke, todesmatte! Welch‘ süßer, lieblicher, sinnbethörender Duft strömte und fluthete doch hier um mich! Waren das die sterbenden Wohlgerüche der hier gepflegten und verwelkten Blumen, oder war es der würzige Hauch ihres reinen, jungfräulichen Mundes, der sich bisher gegen die Küsse des Verhaßten gewehrt hatte? Es war mir so wunderbar, so märchensüß zu Muthe, gerade so, als käme eine jener Feen, wie sie in den Märchen leben, hereingeschwebt, um meine Kühnheit zu erproben, die dann gefeit ist und Alles vollbringen kann, ohne selbst Schaden zu leiden.
Mit Anstrengung mußte ich mich aus dieser Stimmung herausreißen und ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Ich hatte ja gewußt, daß der Heerd der Krankheit hier nicht zu suchen sei, und war nur von dem Wunsche hergeführt worden, einmal das Innere eines Harems zu sehen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie im Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlge – doch halt, halt, was ist das?
Auch hier, grad‘ so wie dort, befindet sich grad‘ über diesen Gefäßen ein Zuchloch in der Mauer, damit die Abkühlung des Wassers rasch vor sich gehe und auch den Nebengelassen mit zu Gute komme, und diese Oeffnung, sie führt —
Mit einigen raschen Schritten bin ich an der Mauer, neige das Auge an die Oeffnung und – ja, das ist sie, das ist Leïlet, die Nacht, die Nacht des Südens, wie sie dem Thore des Abendrothes entschweben müßte, wenn ihr der Schöpfer die Erlaubniß gäbe, in menschlicher Gestalt wieder auf die traumbedürftige Erde zu steigen! Das ist die Nacht, die himmlische, das ist Leïlet mit den dunklen, fast an der Erde schleifenden, sie wie ein Schleier umwallenden Locken.
Leïlet mit dem reinen, blassen, schwermuthsernsten und doch so milden, unvergleichlich schönen Angesichte, Leïlet mit Augen so offen und groß, so tief und klar, in deren Blicke sich die ganze unberührte Unschuld eines Kindes mit dem Herzensglühen des beglückenden Weibes vermählt, Leïlet mit der weichen, herrlichen Gestalt, wie sie kaum der Meißel des Künstlers dem Marmor zu entlocken vermag, Leïlet, die thauzerfließende, die weinende, an deren Wimpern die Diamanten des Schmerzes glänzen, Leïlet – doch nein, das ist nicht eine gottgewollte Incarnation jener sterngeschmückten Göttin, deren Kommen und Scheiden der Himmel mit purpurnen Flammen und goldenen Reflexen feiert, sondern das ist ein vom tiefsten Grame zerrissenes Menschenkind, welches keinen Seufzer auf der Lippe trägt, weil sein ganzes Dasein eine einzige, ungestillte und ungehörte Klage ist.
Sie hat seinen Befehlen noch nicht Gehorsam geleistet, in der Tiefe ihres Schmerzes vielleicht noch gar nicht wieder an sie gedacht und steht nun da im leichten, sich innig an die Glieder schmiegenden Gewande, während er unter allen möglichen Drohungen sich bemüht, sie zu schnellerem Anlegen der entstellenden Hüllen zu bewegen.
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