Old Surehand I. Karl May
ihrer Fährte lebewohl und werden den von mir beabsichtigten Zweck erreichen, daß wir eher als sie bei dem Saskuan-kui ankommen. Wie vorteilhaft das für uns ist, brauche ich Euch wohl nicht zu erklären.«
Da verschwand das überlegene Lächeln aus Old Wabbles Gesicht, und er sagte:
»Ja, wenn es so ist, Mr. Shatterhand, da bin ich freilich still. Habe wunder gedacht, wie klug ich bin, sehe aber ein, daß ich von Euch noch lernen kann, th‘is clear. Aber sagt, ist der Weg, den Ihr im Sinne habt, sehr beschwerlich?«
»Gar nicht. Es geht immer abwärts; die Gegend ist meist eben, zuweilen Fels, zuweilen Sand; Wasser freilich giebt es nicht; in dieser Beziehung müssen wir uns bis zum Rio Pecos gedulden.«
»An welchem aber die Comantschen liegen. Wird uns das nicht verhindern, an das Wasser zu kommen, welches wir nach einem solchen Ritte so notwendig brauchen?«
»Nein. Ich kenne die Lage des Saskuan-kui ganz genau, an dem wir sie zu suchen haben. Wir werden den Fluß an einer ganz andern Stelle erreichen und unsre Pferde ganz gefahrlos tränken können.«
»Well, so bin ich beruhigt. Es war überhaupt überflüssig, diese Bedenken zu äußern, denn wenn Ihr unser Führer seid, können wir die Ueberzeugung haben, daß alles geschieht, was zu unsrer Sicherheit geschehen kann. Auf Old Shatterhand kann man sich verlassen, und darum will ich Euch etwas sagen, was Euch große Freude, ja, große Freude machen wird.«
»Was mag das sein, Mr. Cutter?«
»Ich bin viel älter, viel, viel älter als Ihr, und darum würde es sich eigentlich ganz von selbst verstehen, daß Ihr mich als Anführer wähltet; dennoch will ich – — will ich – — will ich – —hm, ja, ich will – —«
Es schien ihm nicht leicht zu werden, den Entschluß, den er gefaßt hatte, auszusprechen; er schlang und schlang; er drückte und drückte, um die Worte herauszubringen; er bewegte die Arme und Beine; er drehte und wendete den dürren Körper, als ob alle seine Knochen locker geworden seien; es wackelte und wabbelte jedes Glied an ihm, bis er endlich hervorstieß:
»Ja, ich will darauf verzichten, und mich unter Euch stellen; Ihr sollt unser Kommandant sein, dem wir zu gehorchen haben. So etwas hat Old Wabble noch nie gethan. Was sagt Ihr dazu, he? Ihr werdet es mit Anerkennung und Dankbarkeit hinnehmen, Mr. Shatterhand; th‘is clear.«
Ja, er war der Mann, der sich niemals einem andern unterordnete; das wußte ich. Man sah es ihm auch deutlich an, welche Ueberwindung es ihm gekostet hatte, es jetzt einmal zu thun, und daß er dafür Lob von mir erwartete. Er sah mich mit großen Augen und weit geöffnetem Munde erwartungsvoll an; aber diese Erwartung ging nicht in Erfüllung, denn ich antwortete:
»Nein, das ist nicht so klar, wie Ihr denkt. Wir sind freie Westmänner und nicht Soldaten, bei denen immer eine Charge über der andern steht; von einem Kommandanten im militärischen Sinne des Wortes kann also bei uns nicht die Rede sein, sondern einer hat ganz und genau dieselben Rechte und Pflichten wie der andre.«
»Aber, Sir, Ihr könnt doch nicht verlangen, daß wir alle stets und immer eines und desselben Sinnes sind.«
»Allerdings nicht.«
»Nun, was soll denn dann geschehen, wenn wir uns streiten?«
»Streiten? Das kann bei verständigen Männern gar nicht vorkommen. Wenn Meinungsverschiedenheiten eintreten, so besprechen wir uns, Mr. Cutter.«
»Well, wir besprechen uns. Und dann?«
»Dann handeln wir nach derjenigen Ansicht, welche die richtige ist.«
»Und wenn nun die andern gerade diese Ansicht nicht für die richtige halten?«
»Dann sind sie dumm, und mit dummen Menschen pflege ich nicht zu verkehren.«
»Wie – — wa – — – waaaaas?« fragte er.
Es war ein geradezu köstliches Gesicht, welches er jetzt sehen ließ, halb das Gesicht eines listigen Fuchses und halb dasjenige eines Schafes, wenn es blöken will. Er blieb eine Zeitlang ohne Bewegung, dann wabbelte er seine Glieder schnell untereinander und fuhr fort:
»Dumm, also dumm, und mit dummen Menschen verkehrt Ihr nicht! Ihr meint also, daß nur wir es sind, welche dumm sein können?«
»Ich meine nur, daß ich mich stets hüten werde, einer guten und richtigen Ansicht entgegenzutreten.«
»Ach so! Und wenn Ihr nun die richtige habt und wir sehen das nicht ein und thun nicht, was Ihr wollt?«
»So lasse ich euch stehen oder sitzen und gehe meiner Wege.«
»Allein?«
»Jawohl, allein!«
»Aber dann kann doch das, was gethan werden Soll, nicht ausgeführt werden!«
»Doch, denn ich würde es allein ausführen. Ein vernünftiger Mann bringt ohne Hilfe und ganz allein mehr fertig, als wenn er zehn andre bei sich hat, die ihm sein gutes Werk verderben.«
»Das heißt also folgendermaßen: Old Shatterhand denkt niemals dumm; es muß also stets nach seinem Willen gehen, und wenn das nicht geschieht, so läuft er davon?«
»So ungefähr, wenn auch nicht gar so schroff.«
»Das ist aber doch ganz dasselbe, als wenn wir Euch zu unserm Kommandanten erwählten!«
»Nein, denn ihr sollt mir nicht stets und absolut zum Gehorsam verpflichtet sein, sondern ein jeder soll seine Meinung äußern dürfen. Und was Euch persönlich betrifft, Mr. Cutter, so bin ich vollständig überzeugt, daß Ihr stets auch das Richtige thun und niemals etwas Verkehrtes unternehmen werdet.«
Da ging ein heller Sonnenstrahl der Befriedigung über sein faltiges Gesicht, und er rief im Tone der Freude und der Zustimmung aus:
»Das soll ein Wort sein, Sir, ein Wort, das immer Geltung hat, th‘is clear! Wir haben keinen Kommandanten, aber wenn die andern nicht einsehen, daß Ihr recht habt, so lassen wir sie sitzen. Kommt mit mir voran; wir wollen weiter!«
Wir ritten an der Lehne des Thales empor und dann, als wir oben angekommen waren, im rechten Winkel von demselben fort. Da oben war das Terrain eben, und wir konnten unsre Pferde, die wir unten erst hatten tüchtig trinken lassen, in Galopp setzen. Old Wabble hielt sich voran den andern neben mir und wendete zuweilen seinen Blick bewundernd auf meinen Rappen, dem die jetzige schnelle Gangart sichtlich Freude machte.
Der Alte war ein ausgezeichneter Reiter und saß trotz seines hohen Alters wie ein Jüngling in dem Sattel. Sein langes, weißes Haar flog, ähnlich dem prächtigen, dunklen Schopfe Winnetous, wie eine silberne Mähne hinter ihm her. Eigentlich hatte er da unten am Bache meine Erwartungen nicht erfüllt, denn die von ihm gemachten Einwendungen waren keineswegs Beweise jenes scharfen und untrüglichen Blickes gewesen, der einem Jäger ersten Ranges eigen ist; aber ich sagte mir, daß seine »Spezialität«, um mich so auszudrücken, wohl eine andre sei. Der einstige »König der Cow-boys« war nur im freien Felde, auf der offenen Savanne thätig gewesen und hatte also nicht zu denjenigen Eigenschaften kommen können, für welche nur die dichten Wälder und schluchtenreichen Gebirge die richtigen Schulstätten sind. In allem aber, was ich als zu seinem Fache gehörig bezeichnen möchte, konnte ich mich ganz gewiß auf ihn verlassen.
Wir ritten stundenlang neben einander her, ohne daß er ein Wort sagte. Als ich über dieses Schweigen eine Bemerkung machte, antwortete er:
»Ich rede und erzähle gern, Sir; aber ich weiß, daß ich Euch damit nicht kommen darf.«
»Warum nicht?«
»Weil Ihr es mehr mit der That als mit dem Worte haltet. Jedermann hat gehört, daß Ihr tagelang mit Winnetou beisammen Seid, ohne daß ein Wort, welches nicht notwendig ist, gesprochen wird. Selbst wenn Ihr beide euch vor einer Gefahr befindet, über welche andre Westmänner lange Beratungen halten würden, verständigt ihr euch durch einen kurzen Wink oder einen einzigen Blick. Also schweige ich, damit Ihr mich nicht für einen Schwätzer haltet; th‘is clear.«
»Winnetou hat allerdings die Eigenheit, mehr in Thaten als in Worten zu reden, und ich bin grad wie er. Es wird mich freuen, wenn ich die Erfahrung mache, daß ich mich