Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2. Karl May
ihn keine Sorge! Er ist gerecht und mild und liebt mich von ganzem Herzen; er wird tun, was ihm seine Liebe gebietet.«
Sie saßen noch eine ganze Weile beieinander, versunken in Hoffnung und Glück, dann aber kehrten sie zu den anderen zurück, um sich zur Ruhe zu begeben. Amy schlief in dem Wagen, und die anderen lagen, in ihre Decken gehüllt, neben demselben.
Am anderen Morgen wurde die Reise fortgesetzt. Das fürchterliche Fahren griff Mariano bei seinem geschwächten Zustand außerordentlich an, und als sie Mexiko erreichten, war er fast noch kränker als vorher, aber Sternau beruhigte das besorgte Mädchen und sagte, daß einige Wochen der Erholung hinreichen würden, Mariano seine Kräfte und seine Gesundheit zurückzugeben.
Amy wollte, daß ihre drei Begleiter sofort mit nach dem Palast ihres Vaters fahren sollten, aber Sternau schlug dies ab.
»Wir bleiben im Hotel«, sagte er. »Ihr Vater kennt uns noch nicht persönlich, und was Sie ihm von uns erzählt haben, das reicht nicht hin, so ohne weiteres seine Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.« – »Aber Sie haben mir so große Dienste geleistet und mich sicher nach Mexiko gebracht.«
Sternau lächelte und antwortete:
»Miß Amy, wollen Sie unseren Freund Mariano so ganz ohne alle Einleitung Ihrem Vater als ihren Verlobten vorstellen?«
Sie errötete und antwortete:
»Sie mögen recht haben. Steigen Sie einstweilen im Hotel ab, aber versprechen Sie mir auch, daß Sie sich nicht zurückziehen werden, wenn mein Vater wünscht, daß Sie bei uns wohnen sollen.« – »Das verspreche ich gern, Miß. Ich bin nach Mexiko auch in der Absicht gekommen, um diesen Cortejo kennenzulernen, und das wird leichter sein, wenn ich bei Ihnen wohne. Vielleicht finden wir hier den Schlüssel zu dem Rätsel, dessen Lösung unsere Aufgabe ist.«
2. Kapitel
Die Diligence brachte zunächst die drei Männer nach dem Hotel, wo sie abstiegen, und dann Amy nach dem Palast ihres Vaters.
Dieser hatte keine Ahnung gehabt, daß seine Tochter so schnell zurückkehren werde, und war daher im höchsten Grade erstaunt sie bei sich eintreten zu sehen.
»Amy!« rief er, sich von seinem Arbeitssessel erheben. »Ist das möglich!« – »Oh, Papa, es ist sogar wirklich«, lachte sie. »Wenigstens hoffe ich, daß du mich nicht als einen Geist ansiehst!« – Aber du kannst ja gar nicht in Jamaika gewesen sein.« – »Freilich war ich dort. Ich werde dir dies beweisen, indem ich dir die Antwort des Gouverneurs überreiche.«
Sie zog ihr Portefeuille und legte ihm die Skripturen vor.
»Wahrhaftig!« meinte der Lord. »Aber wie ist das zugegangen?« – »Das hast du nur den Herren zu verdanken, die mich begleiteten, Pa.« – »Welchen Herren?« – »Nun, vor allen Dingen Herrn Sternau.« – »Herrn Sternau?« fragte er abermals verwundert – »Ja, Herrn Doktor Sternau.« – »Alle Tausend! Du meinst doch nicht etwa jenen famosen Doktor Sternau, von dem du mir erzählt hast und den du in Rodriganda trafst?« – »Gerade den meine ich.« – »Der hat dich nach Mexiko gebracht?« – »Erst nach Jamaika und dann nach Mexiko. Er ist in Begleitung zweier Herren hier. Ich werde dir das erklären, nachdem du die Antworten des Gouverneurs gelesen hast. Bis dahin habe ich Zeit gefunden, meine Reisetoilette abzulegen.«
Erst jetzt fanden Vater und Tochter Zeit, sich durch eine Umarmung zu begrüßen, dann verließ sie ihn, um sich von den Spuren der Reise zu befreien.
Nach einer Stunde befand sie sich abermals bei ihm. Sie saß an seiner Seite und erzählte, wahr und aufrichtig, wie es einer Tochter geziemt. Er hörte ihr mit sehr ernster Miene zu. Das, was er hörte, klang ja abenteuerlicher als ein Roman und machte ihm schwere Sorgen. Amy war seine einzige Tochter, er hatte weitgehende Pläne mit ihr gehabt, und nun teilte sie ihm auf einmal mit, daß sie – einen spanischen Räuber liebe.
Als sie geendigt hatte, wartete sie vergebens auf Antwort. Er erhob sich und schritt wortlos im Zimmer auf und ab. Endlich aber blieb er vor ihr stehen und sagte mit milder Stimme:
»Amy, mein Kind, ich habe immer nur Freude an dir erlebt, heute aber ist es das erste Mal, daß du mich betrübst.«
Da sprang sie empor und schlang die Arme um seinen Hals.
»Verzeih mir! Ich will dich nicht betrüben«, sagte sie, »aber Gott hat diese Liebe in mein Herz gelegt, und nun kann ich nicht anders.«
Er schob sie leise von sich und fragte:
»Und du glaubst an alles das, was du mir jetzt von diesem Mariano erzählt hast?« – »Ja, ich glaube es sicher und fest.« – »Und du liebst wirklich diesen – diesen Zögling eines Räuberhauptmanns?« – »Ich liebe ihn«, sagte sie, indem sie den Vater offen anblickte, »ich liebe ihn so, daß ich ohne ihn nie glücklich werden kann!« – »Und an mich, deinen Vater, denkst du nicht?« fragte er, beinahe traurig. – »Doch, Pa, ich denke auch an dich.« – »Und dennoch sprichst du von dieser – abenteuerlichen Liebe!«
Da trat sie einen Schritt auf ihn zu und fragte:
»Vater, du gönnst es mir, glücklich zu sein?« – »Gewiß! Und eben weil ich wünsche, daß du glücklich seist, tut es mir so weh, dein Herz in diesen Fesseln zu wissen.« – »Prüfe Mariano, Pa, prüfe ihn. Und wenn du dann noch sagst, daß er meiner unwürdig sei, so werde ich dir gehorchen und ihn nie wiedersehen.«
Es lag ein großes, kindliches Vertrauen in diesen Worten. Der Lord fühlte das, und daher klärten sich seine Züge auf.
»Ich danke dir für dieses Wort, Amy!« sagte er. »Du sollst dich in deinem Vater nicht täuschen. Gehe jetzt und ruhe von deiner Reise aus, ich werde unterdessen nachdenken, was ich tun kann, um dich glücklich zu sehen.«
Er küßte sie mit väterlicher Zärtlichkeit, und dann wandte er sich seiner Arbeit zu, aber nur scheinbar, denn als Amy ihn verlassen hatte, erhob er sich wieder von seinem Sessel und wanderte ruhelos im Zimmer auf und ab. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben.
»Es gibt nur einen, an den ich mich in dieser schlimmen Angelegenheit wenden kann«, sagte er zu sich selbst. »Das ist kein anderer als jener Sternau, der ein wahrer Held an Geist und Körper zu sein scheint. Ich kenne ihn zwar persönlich nicht, aber was ich von ihm gehört habe, das ist genug, um ihm mein volles Vertrauen zu schenken.«
Er klingelte seinem Diener und ließ sich zum Ausgehen ankleiden. Heute aber machte er von seiner Equipage keinen Gebrauch. Zwar ist es in Mexiko fast eine Schande, sich als Fußgänger auf der Straße sehen zu lassen, aber der Lord zog es dennoch vor, nach dem Hotel zu gehen, das ihm als Absteigequartier der drei Herren von seiner Tochter bezeichnet worden war.
Als er dort angekommen, erkundigte er sich bei dem Wirt nach Señor Sternau.
»Er ist in seinem Zimmer«, lautete die Antwort. »Wollen Sie ihn sprechen?« – »Ja.« – »Wen soll ich melden?« – »Einen Herrn, der ihn unter vier Augen zu sprechen verlangt.«
Sternau wunderte sich allerdings, als er so kurze Zeit nach seiner Ankunft hörte, daß ihn bereits ein Fremder zu sprechen wünsche, noch dazu unter vier Augen, doch gewährte er sofort diese Bitte. Als der Lord eintrat und nun die beiden Männer sich gegenüberstanden, maßen sie sich zunächst mit forschenden Blicken. Sternau erkannte sofort, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, und das Auge des Lords wiederum hing mit sichtbarem Wohlgefallen an der Riesengestalt und dem offenen Angesicht des Deutschen.
»Sie haben mich zu sprechen verlangt?« fragte der letztere in wohlklingendem Spanisch. – »Allerdings«, antwortete der erstere. »Vielleicht ist es Ihnen lieber, wenn wir uns der deutschen Sprache bedienen?« – »Ah, Sie sind ein Deutscher?« – »Nein, ein Engländer. Mein Name ist Lindsay.«
Sternau machte eine Gebärde der Überraschung.
»Lindsay, Sir? Sie sind vielleicht gar Lord Lindsay, der Vater von …?« – »Allerdings bin ich der, mein Herr.« – »Dann bitte ich dringend, Platz zu nehmen, Sir. Ich konnte nicht ahnen, daß ich einen so unerwarteten Besuch bei mir sehen würde.« – »Unerwartet ist dieser Besuch allerdings«, sagte Lindsay, indem er sich setzte. Aber Sie werden