Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2. Karl May
beeilte sich daher, sich zu verteidigen und entgegnete:
»Das muß ein Irrtum sein, Señor. Ich habe den Parteien stets ferngestanden.« – »So seid Ihr weder warm noch kalt, und das ist noch schlimmer. Übrigens habe ich gehört, daß Graf Rodriganda auf bloßem Wunsch hin ein ganzes Detachement Lanzenreiter erhalten hat, um sich die Hacienda del Erina zu unterwerfen. Muß er da nicht Freund des Präsidenten sein?« – »Er vielleicht, aber doch nicht ich.« – »Pah! Wie der Herr, so der Diener. Ich werde mit Euch vorsichtig sein und Euch, so lange ich nicht vom Gegenteil überzeugt bin, als Spion betrachten.« – »Señor, der bin ich nicht«, stieß Cortejo ängstlich hervor. – »Das wird sich finden. Ihr kommt mir verdächtig vor. Von Mexiko bis nach der Hacienda Vandaqua macht man keinen bloßen Freundschaftsbesuch!« – »Aber Señor, ich habe ja gar nicht gewußt, daß Sie in El Oro sind!« – »So haben Sie es erfahren wollen. Oder liegt El Oro etwa auf dem Weg von der Hazienda nach Mexiko? Weshalb dieser Umweg?«
Cortejo konnte eine Verlegenheit nicht verbergen.
»Ihr schweigt?« fuhr der Indianer fort. »Gut, ich lasse Euch einsperren, und morgen wird sich die Wahrheit finden.« – »Ich bin unschuldig!« beteuerte Cortejo. – »Das wird gut für Euch sein! Jetzt aber fort mit Euch!«
Da erhob sich unter den an der Tafel Sitzenden eine Stimme:
»Señor Juarez, erlaubt! Haltet Ihr mich für einen aufrichtigen Freund?«
Der Sprecher war ein großer, ungewöhnlich stark gebauter Mexikaner. Seine Gestalt fiel um so mehr auf, als die Bewohner Mexikos gewöhnlich von kleiner Statur sind.
»Welche Frage, Señor Verdoja!« antwortete Juarez. »Hätte ich Euch zum Kapitän meiner Leibwache gemacht, wenn ich Euch nicht traute? Was wollt Ihr mit dieser Frage?« – »Ich möchte Euch bitten, den Worten Cortejos zu glauben!« entgegnete der Große.
Cortejo hatte in seiner Befangenheit die einzelnen noch gar nicht näher gemustert und also auch diesen Mann nicht beachtet, aber bei dem tiefen Klang seiner Stimme zog der Ausdruck einer freudigen Überraschung über sein Gesicht. Er fühlte sich gerettet, denn er kannte seinen Fürsprecher.
Verdoja war zwar kein Millionär, aber doch ein ziemlich wohlhabender Grundbesitzer. Er besaß im Norden des Landes ein weitläufiges Weidegebiet und war dort der Nachbar Rodrigandas. Auch der Graf hatte dort eine Besitzung. Es befanden sich auf derselben alte Quecksilbergruben, und deshalb hätte Verdoja dieses Besitztum gern an sich gebracht, aber Graf Ferdinando hatte nicht verkaufen wollen.
»Wieso? Kennt Ihr ihn?« fragte Juarez. – »Ja«, lautete die Antwort. – »Ihr haltet ihn nicht für gefährlich?« – »Nein, im Gegenteil, er ist Euer Freund. Ich garantiere für ihn!«
Juarez musterte Cortejo nochmals aufmerksam und sagte dann:
»Wenn Ihr garantiert, so mag er gehen. Aber Ihr seid verantwortlich für alles.« – »Gern, Señor.«
Da wandte sich Juarez zu Cortejo:
»Wer sind die Männer bei Euch?« – »Es sind meine Begleiter, brave Leute, die keinem etwas tun.« – »Sie können abtreten und sich ein Lager suchen. Ihr aber mögt mit uns essen. Ich übergebe Euch an Señor Verdoja. Ihr habt gehört, daß er verantwortlich für Euch ist, und ich hoffe, daß Ihr ihn nicht in Schaden bringt«
Somit hatte sich die erst so gefährlich aussehende Angelegenheit zum Besten gewendet Man machte Cortejo Platz am Tisch, er kam neben Verdoja zu sitzen und teilte nun das Abendbrot des berühmten oder vielmehr berüchtigten Indianers Juarez, der berufen war, Präsident von Mexiko zu werden und einem österreichischen Erzherzog die Kaiserkrone vom Kopf zu stoßen.
Das Mahl war nicht fein, aber desto kräftiger. Es wurden Speisen und Getränke in Menge vertilgt und als man fertig war, konnte nicht ein einziger mehr sagen, daß er nüchtern sei. Nur Juarez allein war mäßig gewesen, wie die Indianer es gewöhnlich sind. Er hob die Tafel auf und zog sich zurück.
Dies war das Signal zum Aufbruch, und nun erst konnten Verdoja und Cortejo ungestört miteinander sprechen. Der erstere nahm den letzteren unter den Arm und verließ mit ihm das Haus.
»Ihr werdet bei mir schlafen«, sagte er. »Ich hoffe, daß es Euch nicht unangenehm ist, mein Quartier zu teilen.« – »Ich bin im Gegenteil sehr erfreut darüber«, antwortete Cortejo. »Nehmt übrigens meinen Dank für Eure Fürsprache, Señor Verdoja. Ohne dieselbe hätte ich heute nacht vielleicht nicht sehr bequem geschlafen.« – »Höchstwahrscheinlich. Ich erschrak förmlich, als ich hörte, daß Ihr auf der Hacienda Vandaqua gewesen seid, denn dieser galt ja, im Vertrauen gesagt, unser Besuch.« – »Ist‘s möglich?«
Cortejo erschrak jetzt nachträglich so, daß es ihm war, als habe er einen Schlag erhalten. Er kannte den Ruf des Indianers und bemerkte, daß sein Leben an einem Haar gehangen habe.
»Ja, es ist so«, antwortete der Hauptmann. »Ich sollte es Euch allerdings nicht sagen, denn es ist bis jetzt noch Geheimnis. Aber, was zum Teufel, habt Ihr denn auf dieser Hazienda zu tun gehabt? So viel ich weiß, ist Euch dieser Nachbar doch niemals recht gewogen gewesen.« – »Das ist anders geworden, Señor Verdoja. Er ist mein Nachbar nicht mehr!« – »Nicht? Wie geht das zu?« – »Die Hacienda del Erina gehört uns nicht mehr.« – »Wem sonst? Habt Ihr verkauft?« – »Nein. Pedro Arbellez hat sie geerbt« – »Donnerwetter! Vom Grafen Ferdinando?« – »Ja.« – »Da schlage das Wetter drein! Mir verkaufte er den Fetzen Landes, den ich haben wollte, nicht, und hier verschenkt er einen Flächenraum von zwanzig geographischen Quadratmeilen. Doch darüber sprechen wir weiter. Tretet ein, ich wohne hier.«
Sie waren an ein anderes Haus gekommen, dessen Tür bei ihrem Nahen geöffnet wurde. Die Eigentümer der Wohnung ließen sich nicht sehen. Verdoja hatte das beste Zimmer inne; sein Lager war bereitet, und auf dem Tisch war ein Mahl aufgetragen.
»Essen werden wir wohl nicht«, sagte er. »In dem Bett schlafe ich, und Ihr müßt mit meiner Hängematte zufrieden sein, die wir aufmachen werden.« – »Ich bin zufrieden; geniert Euch nicht, Señor«, meinte Cortejo.
Die Hängematte wurde befestigt, und Cortejo nahm in derselben Platz. Der Hauptmann aber setzte sich auf sein Bett, streckte dem anderen eine Zigarette hin, steckte sich selbst eine an und fragte dann.
»Wie ich hörte, ist Graf Ferdinando gestorben?« – »Allerdings.« – »Und Alfonzo ist Erbe?« – »Ja.« – »Er befindet sich in Spanien?« – »Seit einiger Zeit.« – »So übernahmt ihr die Verwaltung seiner hiesigen Ländereien allein?« – »Ja.« – »Das will ich Euch gönnen, Señor Cortejo«, lachte Verdoja zynisch. »Ihr sitzt nun im Rohr und werdet Euch Pfeifen schneiden. Könnte dabei nicht vielleicht etwas für mich abfallen, mein lieber Cortejo?« – »Ihr meint in Bezug auf das Quecksilberland?« – »Ja, natürlich.« – »Hm, darüber läßt sich jetzt vielleicht besser sprechen als früher. Aber sagt mir zunächst einmal, was Juarez auf der Hacienda Vandaqua will.« – »Er will dem Haziendero an den Kragen.« – »Alle Teufel! Warum?« – »Er ist von ihm verraten worden.« – »Inwiefern?« – »Das darf ich nicht sagen, aber so viel ist sicher, morgen um diese Zeit lebt der Haziendero nicht mehr. Juarez kennt keine Gnade und Nachsicht. Übrigens werde ich dabei Eure Hacienda del Erina zu sehen bekommen.« – »Ah! Inwiefern?« – »Weil ein Teil von uns dort Quartier nimmt.« – »Hm«, brummte Cortejo. »Und Ihr mit?« – »Ja.«
Cortejo blickte still vor sich hin. Da fragte ihn der Hauptmann, dem dies auffiel:
»Worüber denkt Ihr nach, Señor?« – »Über das Quecksilberland«, lächelte Cortejo. – »Wieso? Wollt Ihr den Grafen Alfonzo bereden, daß er es mir verkauft?« – »Nein, sondern ich will etwas tun, was Euch noch bedeutend lieber sein wird.« – »Was? Ihr macht mich neugierig.« – »Die Besitzung, die Ihr das Quecksilberland zu nennen beliebt, liegt Euch bequem?« – »Natürlich. Sie liegt ja an meiner Grenze.« – »Graf Ferdinando verkaufte sie nicht, weil er meinte, daß dort ein ungeheurer Metallreichtum liege.« – »Er irrt sich.« – »Pah! Ihr wißt ebensogut wie ich, daß er recht hat, Señor Verdoja. Wieviel bietet Ihr für das Land?« – »Wollt Ihr verkaufen?« fragte Verdoja schnell. – »Zunächst will ich wissen, wieviel Ihr bietet.« –