Winnetou 1. Karl May
im Lager vor. Lohnt ihn ab, und wenn Euch das nicht beliebt, nun, so kann ich ja gehen.«
»Oho, Sir, so schlimm ist die Sache denn doch wohl nicht!«
»Ja, so schlimm ist sie. Hier habt Ihr sein Messer und seinen Revolver. Gebt ihm diese Waffen nicht eher, als bis er sich beruhigt hat, nachdem er wieder zu sich gekommen ist. Denn ich sage Euch, ich wehre mich meiner Haut, und wenn er mir noch einmal mit einer Waffe kommt, so schieße ich ihn nieder. Ihr nennt mich ein Greenhorn, aber ich kenne doch die Gesetze der Prairie. Wer mir mit dem Messer oder der Kugel droht, den darf ich augenblicklich erschießen.«
Dies galt natürlich nicht nur Rattlern, sondern auch seinen »Westmännern«, von denen keiner ein Wort dazu sagte. Jetzt wendete sich der Häuptling Intschu tschuna an den Oberingenieur:
»Mein Ohr hat jetzt vernommen, daß du unter den hiesigen Bleichgesichtern derjenige bist, welcher den Befehl führt. Ist dies so?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»So habe ich mit dir zu reden.«
»Was?«
»Das sollst du hören. Du stehst auf deinen Füßen; aber Männer sollen sitzen, wenn sie sich beraten.«
»Willst du unser Gast sein?«
»Nein, das ist unmöglich. Wie kann ich dein Gast sein, wenn du dich bei mir auf meinem Boden, in meinem Walde, meinem Tale, meiner Prairie befindest? Die weißen Männer mögen sich setzen. Was sind das für Bleichgesichter, welche da noch kommen?«
»Sie gehören zu uns.«
»So mögen sie sich auch mit zu uns setzen.«
Sam, Dick und Will kamen nämlich jetzt von ihrem Ritte zurück. Sie als erfahrene Westleute wunderten sich nicht über die Anwesenheit der Indianer, wurden aber besorgt, als sie hörten, wer die beiden seien.
»Und wer ist der dritte?« fragte mich Sam.
»Er heißt Klekih-petra, und Rattler hat ihn Schulmeister genannt.«
»Klekih-petrah, der Schulmeister? Ach, von dem habe ich gehört, wenn ich nicht irre. Das ist ein sehr geheimnisvoller Mensch, ein Weißer, welcher schon lange bei den Apachen lebt und so eine Art von Missionär zu sein scheint, wenn er auch kein Priester ist. Freut mich, ihn zu sehen. Werde ihm einmal auf den Zahn fühlen, hihihihi.«
»Wenn er sich darauf fühlen läßt!«
»Wird mich doch nicht in die Finger beißen? Ist sonst noch etwas vorgekommen?«
»Ja.«
»Was?«
»Etwas sehr Wichtiges.«
»Dann heraus damit!«
»Ich habe das getan, wovor Ihr mich gestern warntet.«
»Weiß nicht, was Ihr meint. Habe Euch vor vielem gewarnt.«
»Grizzlybär.«
»Wie wo waaaaas? Etwa gar ein grauer Bär dagewesen?«
»Und was für einer!«
»Wo denn, wo? Ihr macht doch nur Spaß!«
»Fällt mir gar nicht ein. Da unten hinter dem Gebüsch im Walde. Hat den alten Bullen hineingeschafft.«
»Wirklich, wirklich? Alle Wetter, muß das grad dann passieren, wenn unsereiner nicht da ist! Hat es Tote gegeben?«
»Einen nämlich Rollins.«
»Und Ihr? Was habt Ihr getan? Habt Euch doch fern gehalten?«
»Ja.«
»Recht so! Möchte es aber fast nicht glauben.«
»Könnt es getrost glauben. Habe mich grad so fern von ihm gehalten, daß er mir nichts tun, ich ihm aber mein Messer viermal zwischen die Rippen stoßen konnte.«
»Seid Ihr gescheit! Habt ihn mit dem Messer angegriffen?«
»Ja. Hatte die Büchse nicht da.«
»Welch ein Kerl! Ein echtes, richtiges Greenhorn. Hat extra einen schweren Bärentöter mitgebracht, und nun der Bär kommt, schießt er mit dem Messer anstatt mit der Büchse. Sollte man so etwas für möglich halten? Wie ist es denn gekommen?«
»So, daß Rattler behauptet, ich hätte ihn nicht erlegt, sondern er.«
Ich erzählte ihm, wie sich der Vorgang abgespielt hatte, auch daß ich dann wieder mit Rattler zusammengeraten war.
»Mensch, Ihr seid wirklich ein ganz unglaublich leichtsinniger Kerl!« rief er aus. »Hat noch nie einen Grizzly gesehen und geht darauf los, als ob es sich um einen alten Pudelhund handelte! Ich muß mir das Tier ansehen, sofort ansehen. Kommt, Dick und Will! Ihr müßt doch auch sehen, was dieses Greenhorn hier abermals für dumme Streiche gemacht hat.« Er wollte fort, da aber in diesem Augenblicke Rattler wieder zu sich kam, wendete er sich zuvor an diesen:
»Hört, Mr. Rattler, ich habe Euch etwas mitzuteilen. Ihr habt abermals mit meinem jungen Freunde angebunden. Wenn Ihr dies noch einmal wagen solltet, so werde ich dafür sorgen, daß es überhaupt nicht wieder geschehen kann. Meine Geduld ist nun zu Ende. Merkt Euch das!«
Er entfernte sich mit Stone und Parker. Rattler machte ein grimmiges Gesicht, warf mir haßerfüllte Blicke zu, sagte aber nichts, doch war ihm anzusehen, daß er einer Mine glich, welche im nächsten Augenblicke platzen konnte.
Die beiden Indianer und Klekih-petra hatten sich in das Gras niedergelassen. Der Oberingenieur saß ihnen gegenüber, doch begannen sie ihre Unterhaltung noch nicht. Sie wollten die Rückkehr Sams abwarten, um zu hören, was für ein Urteil er abgeben werde. Er kam schon nach kurzer Zeit wieder und rief schon von weitem aus:
»Welch eine Dummheit ist es gewesen, auf den Grizzly zu schießen und dann zu fliehen. Wenn man ihm nicht standhalten will, so schießt man überhaupt nicht, sondern läßt ihn in Ruhe; dann tut er einem nichts. Dieser Rollins sieht gräßlich aus! Und wer soll den Bär erlegt haben?«
»Ich,« rief Rattler rasch.
»Ihr? Womit denn?«
»Mit meiner Kugel.«
»Well, das stimmt ist richtig.«
»Dachte es!«
»Ja, der Bär ist an einer Kugel gestorben.«
»Also gehört er mir. Hört ihr es, ihr Leute! Sam Hawkens hat sich für mich erklärt,« schrie Rattler triumphierend.
»Ja, für Euch. Eure Kugel ist ihm am Kopf vorbeigegangen und hat ihm ein Spitzchen vom Ohre weggenommen. Und an so einem Ohrenspitzchen stirbt so ein Grizzlybärchen natürlich auf der Stelle, hihihihi! Wenn es wirklich so ist, daß mehrere geschossen haben, so haben sie in ihrer Angst eben grad vorbeigeschossen; nur eine Kugel hat das Ohr gestreift; sonst ist keine Spur von einer Kugel vorhanden. Aber vier tüchtige Messerstiche sind da, zwei neben das Herz und zwei dann grad hinein. Wer aber hat gestochen?«
»Ich,« antwortete ich.
»Ihr allein?«
»Weiter niemand.«
»So gehört der Bär Euch. Das heißt, da wir eine Gesellschaft bilden, so ist der Pelz Euer, und das Fleisch gehört allen; aber Ihr habt zu bestimmen, wie es verteilt wird. Das ist so Brauch im wilden Westen. Was sagt Ihr nun dazu, Mr. Rattler?«
»Hol Euch der Teufel!«
Er ließ noch einige grimmige Flüche hören und ging dann zum Wagen, auf welchem das Brandyfaß lag. Ich sah, daß er sich Branntwein in den Becher laufen ließ, und wußte, daß er nun so lange trinken würde, bis er nicht mehr konnte.
Diese Angelegenheit war nun geordnet, und so forderte Bancroft den Häuptling der Apachen auf, seinen Wunsch vorzutragen.
»Es ist kein Wunsch, sondern ein Befehl, welchen ich aussprechen will,« antwortete Intschu tschuna stolz.
»Wir nehmen keine Befehle an,« versicherte der Oberingenieur ebenso stolz.
Ueber das Gesicht des Häuptlings wollte es wie Aerger gleiten; er beherrschte sich aber und sagte in ruhigem Tone:
»Mein