Winnetou 1. Karl May

Winnetou 1 - Karl May


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böses Gewissen? Wie so?«

      »Meint Ihr, daß ein Mörder kein böses Gewissen zu haben braucht?«

      »Zounds! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich ein Mörder bin?«

      »Jetzt noch nicht.«

      »Oder ein Mörder werde?«

      »Ja, denn die Beihilfe zum Morde ist grad so schlimm wie der Mord selbst.«

      »Hole Euch der Teufel! Ich werde mich hüten, Beihilfe zu einem Morde zu leisten.«

      »Zu einem einzelnen freilich nicht, aber sogar zum Massenmorde.«

      »Wie so? Ich verstehe Euch nicht.«

      »Wenn Ihr ein Gewehr fertigt, welches fünfundzwanzigmal schießt, und es in die Hände jedes beliebigen Strolches gebt, so wird drüben auf den Prairien, in den Urwäldern und den Schluchten des Gebirges sich bald ein grausiges Morden erheben; man wird die armen Indianer niederschießen wie Cojoten, und in einigen Jahren wird es keinen Indsman mehr geben. Wollt Ihr das auf Euer Gewissen laden?«

      Er starrte mich an und antwortete nicht.

      »Und,« fuhr ich fort, »wenn jedermann dieses gefährliche Gewehr für Geld bekommen kann, so werdet Ihr allerdings in kurzer Zeit tausende absetzen, aber die Mustangs und die Büffel werden ausgerottet werden und mit ihnen jede Art von Wild, dessen Fleisch die Roten zum Leben brauchen. Es werden hundert und tausend Aasjäger sich mit Eurem Stutzen bewaffnen und nach dem Westen gehen. Das Blut von Menschen und Tieren wird in Strömen fließen, und sehr bald werden die Gegenden diesseits und jenseits der Felsenberge von jedem lebenden Wesen entvölkert sein.«

      »‘sdeath!« rief er jetzt aus. »Seid Ihr wirklich erst vor kurzem aus Germany herübergekommen?«

      »Ja.«

      »Und vorher noch nie hier gewesen?«

      »Nein.«

      »Und im wilden Westen erst recht noch nicht?«

      »Nein.«

      »Also ein vollständiges Greenhorn. Und doch nimmt dieses Greenhorn den Mund so voll, als ob es der Urgroßvater aller Indianer wäre und schon seit tausend Jahren hier gelebt hätte und heute noch lebte! Männchen, bildet Euch ja nicht ein, mir warm zu machen! Und selbst wenn alles so wäre, wie Ihr sagt, so wird es mir niemals in den Sinn kommen, eine Gewehrfabrik anzulegen. Ich bin ein einsamer Mann und will einsam bleiben; ich habe keine Lust, mich mit hundert oder gar noch mehr Arbeitern herumzuärgern.«

      »Aber Ihr könntet doch, um Geld zu verdienen, Patent auf Eure Erfindung nehmen und dies verkaufen?«

      »Das wartet ruhig ab, Sir! Bis jetzt habe ich stets gehabt, was ich brauche, und ich denke, daß ich auch fernerhin und ohne Patent keine Not leiden werde. Und nun schert Euch für heut nach Hause! Ich habe keine Lust, einen Vogel piepen zu hören, der erst flügge werden muß, ehe er pfeifen oder singen kann.«

      Es fiel mir gar nicht ein, ihm diese derben Ausdrücke übel zu nehmen; er war nun einmal so, und ich wußte recht gut, wie er es meinte. Er hatte mich liebgewonnen und war ganz gewiß gewillt, mir in jeder Beziehung, so weit er es vermochte, förderlich und dienlich zu sein. Ich gab ihm die Hand und ging, nachdem er mir dieselbe kräftig gedrückt und geschüttelt hatte.

      Ich ahnte nicht, wie wichtig dieser Abend für mich werden sollte, und ebensowenig kam es mir in den Sinn, daß dieser schwere Bärentöter, den Henry ein altes Gun nannte, und der noch unfertige Henrystutzen in meinem späteren Leben eine so große Rolle spielen würden. Aber auf den nächsten Morgen freute ich mich, denn ich hatte wirklich schon viel und gut geschossen und war vollständig überzeugt, daß ich vor den Augen meines alten, sonderbaren Freundes gut bestehen würde.

      Ich fand mich pünktlich morgens sechs Uhr bei ihm ein. Er wartete schon auf mich, gab mir die Hand und sagte, indem ein ironisches Lächeln über seine alten, guten, derben Züge glitt:

      »Welcome, Sir! Ihr macht doch ein recht siegesgewisses Gesicht? Meint Ihr, daß Ihr die Mauer, von der ich gestern abend sprach, treffen würdet?«

      »Ich hoffe es.«

      »Well, so wollen wir gleich sehen. Ich nehme ein leichteres Gewehr mit, und Ihr tragt den Bärentöter; ich mag mich mit so einer Last nicht schleppen.«

      Er hing sich eine leichte, doppelläufige Rifle um, und ich nahm das »alte Gun«, welches er nicht tragen wollte. Auf seinem Schießstande angekommen, lud er beide Gewehre und tat zunächst aus der Rifle selbst zwei Schüsse. Dann kam ich an die Reihe mit dem Bärentöter. Ich kannte dieses Gewehr noch nicht und traf infolgedessen beim ersten Schusse nur grad den Rand des Schwarzen in der Scheibe; der zweite Schuß saß besser; der dritte nahm die genaue Mitte des Schwarzen, und die nächsten Kugeln gingen alle durch das Loch, welches die dritte durchgeschlagen hatte. Das Erstaunen Henrys wuchs von Schuß zu Schuß; ich mußte auch die Rifle probieren, und als dies ganz denselben Erfolg hatte, rief er schließlich aus:

      »Entweder Ihr habt den Teufel, Sir, oder Ihr seid zum Westmann rein geboren. So habe ich noch kein Greenhorn schießen sehen!«

      »Den Teufel habe ich nicht, Mr. Henry,« lachte ich. »Von einem solchen Bündnisse möchte ich nichts wissen.«

      »So ist es Eure Aufgabe und sogar Eure Pflicht, Westmann zu werden. Habt Ihr keine Lust dazu?«

      »Warum nicht!«

      »Well, werden sehen, was sich aus dem Greenhorn machen läßt. Also reiten könnt Ihr auch?«

      »Zur Not.«

      »Zur Not? Hm! Also doch nicht so gut, wie Ihr schießt?«

      »Pshaw! Was ist das Reiten weiter! Das Aufsteigen ist das Schwierigste. Wenn ich dann erst oben sitze, bringt mich wohl kein Pferd herunter.«

      Er sah mich forschend an, ob ich im Ernste oder im Scherze gesprochen hatte; ich machte ein höchst unbefangenes Gesicht, und so meinte er:

      »Denkt Ihr wirklich? Wollt Euch wohl an der Mähne anhalten? Da seid Ihr im Irrtum. Ihr habt ganz richtig gesagt: Das Hinaufkommen ist das Schwierigste, denn das muß man selber machen; das Herabkommen ist viel leichter: das besorgt der Gaul, und darum geht es viel, viel schneller.«

      »Bei mir besorgt es der Gaul aber nicht!«

      »So? Wollen sehen! Habt Ihr Lust, eine Probe zu zeigen?«

      »Gern.«

      »So kommt! Es ist erst sieben Uhr, und Ihr habt noch eine Stunde Zeit. Wir gehen zu Jim Korner, dem Pferdehändler; der hat einen Rotschimmel, der es Euch schon besorgen wird.«

      Wir kehrten in die Stadt zurück und suchten den Pferdehändler auf, bei dem es einen weiten Reithof gab, welcher rings von Stallungen umgeben war. Korner kam selbst herbei und fragte nach unserm Begehr.

      »Dieser junge Sir behauptet, daß ihn kein Pferd aus dem Sattel bringe,« antwortete Henry. »Was meint Ihr dazu, Mr. Korner? Wollt Ihr ihn einmal auf Euern Rotschimmel klettern lassen?«

      Der Händler maß mich mit prüfendem Blicke, nickte dann befriedigt vor sich hin und antwortete:

      »Das Knochengestell scheint gut und elastisch zu sein; übrigens brechen junge Menschen den Hals nicht so leicht wie ältere Leute. Wenn der Gentleman den Schimmel versuchen will, so habe ich nichts dagegen.«

      Er gab den betreffenden Befehl, und nach einiger Zeit brachten zwei Knechte das gesattelte Pferd aus dem Stall geführt. Es war höchst unruhig und strebte, sich loszureißen. Meinem alten Mr. Henry wurde Angst um mich; er bat mich, von dem Versuche abzustehen; aber erstens war mir gar nicht bange, und zweitens betrachtete ich die Angelegenheit nun als Ehrensache. Ich ließ mir eine Peitsche geben und Sporen anschnallen; dann schwang ich mich, allerdings nach einigen vergeblichen Versuchen, gegen welche das Pferd sich wehrte, in den Sattel. Kaum saß ich oben, so sprangen die Knechte eilends fort, und der Schimmel tat einen Satz mit allen Vieren in die Luft und einen zweiten zur Seite. Ich behielt den Sattel, obgleich ich noch nicht in den Bügeln war, beeilte mich aber, hineinzukommen. Kaum war dies geschehen, so begann der Gaul, zu bocken; als dies nichts fruchtete, ging er zur Wand, um mich an derselben abzustreifen; die Peitsche aber brachte ihn rasch von derselben fort.


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