Winnetou 2. Karl May
arl May
WINNETOU 2
Als Detektive
Kaum ist der erste Band von Winnetou ausgegeben worden, so gehen von den Lesern desselben schon zahlreiche Fragen nach dem weiteren Verlaufe der Ereignisse bei mir ein. Dieser wurde ein ganz anderer, als ich damals dachte.
Wir kamen nach einem wahren Parforceritte an die Mündung des Rio Boxo de Natchitoches, wo wir erwarteten, einen von Winnetou zurückgelassenen Apachen vorzufinden. Leider ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Freilich Spuren von Menschen, welche dagewesen waren, fanden wir, aber was für welche! Nämlich die Leichen der beiden Traders, welche uns Auskunft über das Dorf der Kiowas gegeben hatten. Sie waren erschossen worden, und zwar von Santer, wie ich später durch Winnetou erfuhr.
Santers Kanoefahrt war so rasch vor sich gegangen, daß er die Mündung des genannten Flusses zugleich mit den Händlern erreicht hatte, obgleich diese eher als er das Zeltlager Tanguas verlassen hatten. Er war gezwungen gewesen, auf die Nuggets Winnetous zu verzichten, und also mittellos; da stachen ihm die Waren der Traders in die Augen, und um sich derselben zu bemächtigen, erschoß er die zwei ahnungslosen Männer, höchst wahrscheinlich aus dem Hinterhalte. Hierauf machte er sich mit ihren Mauleseln aus dem Staube. Dies las Winnetou aus den Spuren, welche er bei seiner Ankunft an der betreffenden Stelle vorfand.
Der Mörder hatte sich nichts Leichtes vorgenommen, denn der Transport so vieler Packtiere über die Savanne ist für einen einzelnen Menschen mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Dazu kam, daß er zur größten Eile gezwungen war, weil er die Verfolger hinter sich wußte.
Unglücklicherweise trat ein mehrtägiger Regen ein, welcher alle Spuren verwischte, so daß Winnetou sich nicht mehr auf sein Auge, sondern nur auf Kombinationen verlassen konnte. Höchst wahrscheinlich hatte Santer, um seinen Raub zu verwerten, eine der nächstliegenden Niederlassungen aufgesucht, und so blieb dem Apachen nichts anderes übrig, als diese Ansiedelungen nacheinander abzureiten.
Erst nach einer Reihe von verlorenen Tagen fand er auf Gaters Faktorei die verschwundene Spur wieder. Santer war dagewesen, hatte alles verkauft und sich ein gutes Pferd erworben, um auf der damaligen Red River-Straße nach dem Osten zu gehen. Winnetou verabschiedete alle seine Apachen, die ihm nun nur hinderlich sein konnten, schickte sie in ihre Heimat zurück und nahm die weitere Verfolgung nun allein auf. Er hatte genug Goldkörner bei sich, besaß also die nötigen Mittel, im Osten längere Zeit existieren zu können.
Da er uns infolgedessen am Natchitoches keine Weisung hinterlassen hatte, wußten wir nicht, wo er sich befand, konnten ihm also nicht folgen und wendeten uns nach dem Arkansas hinüber, um auf dem geradesten Landwege nach St. Louis zu kommen. Es tat mir außerordentlich leid, den Freund jetzt nicht wiedersehen zu können, doch dies zu ändern, lag ja nicht in meiner Macht.
Es war eines Abends, als wir nach langer Reise in St. Louis ankamen. Ganz selbstverständlich suchte ich sofort meinen alten Mr. Henry auf. Als ich in seine Werkstatt trat, saß er bei der Lampe an der Drehbank und überhörte das Geräusch, welches ich beim Öffnen der Tür verursacht hatte.
»Good evening, Mr. Henry!« grüßte ich, als ob ich erst gestern zum letztenmal bei ihm gewesen sei. »Seid Ihr mit dem neuen Stutzen bald im Geschick?«
Bei diesen Worten setzte ich mich auf die Ecke der Bank, grad so, wie ich es früher oft getan hatte. Er fuhr von seinem Sitze auf, starrte mich eine Weile wie abwesend an und schrie dann vor Freude förmlich auf.
»Ihr – Ihr – Ihr seid es? Ihr seid da? Der Hauslehrer – der – der Surveyor – der – der – der verteufelte Old Shatterhand!«
Dann warf er seine Arme um mich, zog mich an sich und küßte mich wiederholt hüben und drüben auf die Wangen, daß es nur so klatschte.
»Old Shatterhand! Woher kennt Ihr diesen Namen?« fragte ich, als der Ausdruck seiner Freude ruhiger geworden war.
»Woher? Das fragt Ihr noch? Es wird ja überall von Euch erzählt, Ihr Schwerenöter! Seid ein Westmann geworden, wie er im Buche steht! Mr. White, der Ingenieur von der nächsten Sektion, war der erste, welcher Nachricht brachte; war voll des Lobes über Euch; das muß ich sagen. Die Krone hat Euch Winnetou aufgesetzt.«
»Wieso?«
»Hat mir alles erzählt – alles!«
»Was? Wie? War er denn da?«
»Natürlich war er da – natürlich!«
»Wann denn, wann?«
»Vor drei Tagen. Ihr hattet ihm von mir erzählt, von mir und dem alten Bärentöter, und da konnte er nicht hier sein, ohne mich zu besuchen. Hat mir wohl gesagt, was für ein Westmann Ihr geworden seid. Büffelbulle, Grizzlybär und so weiter, und so weiter! Habt sogar die Würde eines Häuptlings erhalten!«
In diesem Tone ging es noch lange Zeit fort, und es half nichts, daß ich ihn verschiedene Male unterbrach. Er umarmte mich wieder und immer wieder und freute sich riesenhaft darüber, daß er es gewesen war, der meinem Lebenswege die Richtung nach dem wilden Westen gegeben hatte.
Winnetou hatte Santers Spur nicht wieder verloren und war ihr in Eilmärschen bis nach St. Louis gefolgt, von wo aus sie nach New Orleans gezeigt hatte. Diese seine Eile war der Grund, daß ich später als er nach St. Louis gekommen war. Er hatte bei Henry hinterlassen, daß ich ihm nach New Orleans folgen solle, falls ich Lust dazu verspüre, und ich war sofort entschlossen, dies zu tun.
Natürlich mußte ich vorher meinen geschäftlichen Obliegenheiten nachkommen, was am nächsten Morgen geschah.
Da saß ich schon zeitig mit Hawkens, Stone und Parker hinter jener Glastür, wo man mich ohne mein Wissen examiniert hatte. Mein alter Henry hatte es nicht unterlassen können, mitzugehen. Da gab es denn zu erzählen, zu berichten, zu erklären, und es stellte sich heraus, daß unter allen Sektionen die meinige die interessantesten und gefährlichsten Erlebnisse gehabt hatte. Freilich war ich als der einzige Surveyor übrig geblieben.
Sam gab sich alle Mühe, eine Extragratifikation für mich herauszuschlagen, doch vergeblich; wir bekamen unser Geld sofort, aber keinen einzigen Dollar mehr, und ich gestehe aufrichtig, daß ich die mit solcher Mühe angefertigten und geretteten Zeichnungen und Notizen nicht ohne das Gefühl ärgerlicher Enttäuschung ablieferte. Die Herren hatten fünf Surveyors angestellt, bezahlten aber nur einen und steckten das Honorar der vier übrigen in ihre Taschen, obgleich sie das volle Resultat unserer Gesamtarbeit in die Hände bekamen – eigentlich freilich aber das Resultat nur meiner Überanstrengung.
Sam ließ deshalb eine geharnischte Rede los, erreichte aber dadurch weiter nichts, als daß er ausgelacht und mit Dick und Will zur Türe hinauskomplimentiert wurde. Ich ging natürlich mit und schüttelte den Staub von den Füßen. Übrigens war die Summe, welche ich erhalten hatte, für meine Verhältnisse eine bedeutende.
Also ich wollte Winnetou nach, welcher mir die Adresse eines Hotels in New Orleans bei Mr. Henry zurückgelassen hatte. Aus Höflichkeit oder auch Anhänglichkeit fragte ich Sam und seine beiden Gefährten, ob sie mitwollten; sie hatten aber die Absicht, sich in St. Louis erst einmal gehörig auszuruhen, was ich ihnen nicht übel nehmen konnte. Ich kaufte Wäsche u. s. w., auch einen neuen Anzug, den ich mit meinem indianischen vertauschte, und dampfte nach dem Süden ab. Die wenigen Habseligkeiten, welche ich nicht mitnehmen wollte, darunter auch den schweren Bärentöter, übergab ich Henry, der sie mir heilig aufzuheben versprach. Den Rotschimmel ließ ich natürlich auch zurück; ich brauchte ihn nicht mehr. Wir alle waren der Ansicht, daß meine Abwesenheit nur eine kurze sein werde.
Es sollte aber anders kommen. Wir befanden uns, was ich noch gar nicht erwähnt habe, weil es auf die bisher erzählten Ereignisse keinen Einfluß gehabt hatte, mitten im Bürgerkriege. Zufälligerweise war grad jetzt der Mississippi offen, denn der berühmte Admiral Farragut hatte ihn wieder in die Gewalt der Nordstaaten gebracht; dennoch aber wurde die Fahrt des Steamers, auf dem ich mich befand, durch allerlei Maßregelungen, die freilich wohl notwendig waren, sehr verzögert, und als ich in New Orleans ankam und in dem betreffenden Hotel nach Winnetou fragte, wurde mir der Bescheid, daß er gestern fort sei und für mich die Weisung zurückgelassen habe, daß er nach Vicksburg hinter Santer her sei, mir aber der Unsicherheit wegen nicht raten könne, ihm zu folgen, und später bei Mr. Henry in St. Louis sagen werde, wo er zu finden sei.
Was nun tun? Es drängte mich,