Winnetou 3. Karl May
sein Tier den andern gefolgt war, doch schienen sämtliche Pferde entsetzlich müde gewesen zu sein, denn alle waren von Zeit zu Zeit gestolpert, und ihr Gang war so schleppend gewesen, daß sie von Schritt zu Schritt mit den Schärfen ihrer Hufe leicht über den Sand gestrichen waren.
Dies machte die Spuren außerordentlich kenntlich, so daß ich ihnen ohne alle Mühe schnell zu folgen vermochte. Ich sage ›schnell‹, und es ging auch schnell, obgleich ich heute noch nicht zu sagen vermag, ob der grausige Trunk oder die Besorgnis um Bernard Marshal mir so plötzlich diese unerwarteten Kräfte verlieh.
So war ich wohl eine Meile weit vorangekommen, als ich einige vereinzelt stehende Kaktusstauden bemerkte, die so vollständig abgedorrt waren, daß sie beinahe eine gelbe Farbe angenommen hatten. Nach und nach standen sie in einzelnen Gruppen, welche allmählich immer häufiger wurden, bis sie endlich eine unabsehbare und geschlossene Strecke bildeten, welche sich weit bis über die Linie des Horizontes hinüberzog.
Natürlich ging die von mir verfolgte Fährte nicht in die gefährlichen Gewächse hinein; sie führte um dieselben herum, und ich folgte ihr, doch nicht lange, denn plötzlich kam mir ein Gedanke, der mich sofort mit neuen Kräften erfüllte.
Wenn in den glühenden Niederungen der Halbinsel Florida die jedes Wasser verzehrende Hitze so groß wird, daß Mensch und Tier verschmachten will, und dennoch die Erde bleibt wie ›flüssiges Blei und der Himmel wie glühendes Erz‹, ohne die kleinste Wolke sehen zu lassen, so stecken die verschmachtenden Leute das Schilf und alles sonstige ausgedorrte Gesträuch in Brand, und siehe da, der Regen kommt. Ich selbst hatte dies zweimal beobachtet, und wer einigermaßen mit den Gesetzen, Kräften und Erscheinungen der Natur vertraut ist, kann sich den Vorgang ganz gewiß erklären, ohne eine wissenschaftliche Erörterung zu verlangen.
Hieran dachte ich in diesem Augenblick; kaum war‘s gedacht, kniete ich auch bereits bei den Pflanzen, um mir mit dem Messer die nötigen Zündfasern abzuschleißen. Einige Minuten später flackerte ein lustiges Feuer empor, welches erst langsam und dann immer schneller weiter um sich griff, bis ich endlich vor der Fronte eines Glutmeeres stand, dessen Grenzen nicht abzusehen waren.
Ich hatte bereits mehrere Prairiebrände erlebt, keiner aber war mit diesem donnernden Getöse über den Boden geschritten wie diese Kaktushölle, in welcher die einzelnen Pflanzen mit Büchsenschuß ähnlichem Knalle platzten, so daß es klang, als habe sich ein ganzes Armeekorps zum Einzelgefechte aufgelöst. Die Lohe stieg himmelan, und über ihr webte und zitterte ein Meer von glühenden Dünsten, durchschossen und durchflogen von den Kaktussplittern, welche von der Hitze wie Pfeile emporgeschnellt wurden. Der Boden zitterte merklich unter meinen Füßen, und in den Lüften hallte es dumpf wie das Getöse einer Schlacht.
Das war die beste Hilfe, welche ich – wenigstens jetzt —Bernard Marshal und den Seinen bringen konnte. Ich kehrte zurück, unbesorgt, ob ich ihre Spuren später sehen würde oder nicht. Die Hoffnung stärkte mich so, daß ich zu dem Wege kaum eine halbe Stunde gebraucht hätte; doch war es nicht nötig, denselben ganz zurückzulegen, denn bereits auf der Hälfte desselben kam mir Sam mit Bob und den beiden Pferden, welche sich wieder ein wenig fortzuschleppen vermochten, entgegen.
»Zounds, Charley, was ist denn eigentlich da vorn los? Erst dachte ich, wir hätten ein Erdbeben, jetzt aber glaube ich zum Beispiel, daß dieser höllische Sand gar noch in Brand geraten ist.«
»Der Sand nicht, Sam, aber der Kaktus, welcher dort in Menge steht.«
»Wie fängt der Feuer? Ich glaube doch nicht, daß du ihn angezündet hast.«
»Warum nicht?«
»Wahrhaftig, er ist‘s gewesen! Aber sage doch, Mensch, zu welchem Zwecke!«
»Um Regen zu bekommen.«
»Regen? Nimm es mir nicht übel, Charley, aber ich glaube, du bist zum Zeitvertreibe ein wenig übergeschnappt!«
»Weißt du nicht, daß bei manchen Wilden die Übergeschnappten für sehr gescheite Leute gelten?«
»Ich hoffe nicht, daß du behaupten willst, etwas Gescheites angefangen zu haben! Die Hitze ist ja vielmehr doppelt so groß geworden als vorher.«
»Die Hitze ist gestiegen, und mit ihr wird sich die Elektrizität entwickeln.«
»Bleibe mir zum Beispiel mit deiner Elektrizität vom Leibe! Ich kann sie nicht essen; ich kann sie nicht trinken; ich weiß überhaupt gar nicht, was für eine fremde Kreatur ich unter ihr zu verstehen habe.«
»Du wirst sie bald zu hören bekommen, denn in kurzer Zeit werden wir das schönste Gewitter haben und vielleicht auch ein wenig Donner dabei.«
»Nun halte auf! Armer Charley, du bist wirklich übergeschnappt!«
Er blickte mich so besorgt an, daß ich erkennen mußte, er spaße nicht. Ich deutete empor.
»Siehst du diese Dünste, welche sich bereits zusammenballen?«
»Alle Wetter, Charley, am Ende bist du nicht ganz so sehr verrückt, wie ich gedacht habe!«
»Sie werden eine Wolke bilden, die sich mit Heftigkeit entladen muß.«
»Charley, wenn dies wirklich so ist, dann bin ich ein Esel und du bist der klügste Kerl in den Vereinigten Staaten und auch etwas darüber hinaus.«
»Ist nicht so schlimm, Sam. Ich habe das Ding in Florida gesehen und es hier einfach nachgemacht, weil ich denke, daß uns eine Handvoll Regen nicht sehr viel schaden wird. Schau, da hast du bereits die Wolke! Sobald der Kaktus niedergebrannt ist, geht es los. Und wenn du es nicht glauben willst, so sieh nur deine Tony an, wie sie mit dem Schwanzstummel wirbelt und die Nüstern aufwirft! Auch mein Mustang riecht bereits Regen, der sich allerdings nicht viel weiter als über die Brandstrecke verbreiten wird. Kommt vorwärts, daß er uns auch richtig erwischen kann!«
Zwar liefen wir, aber wir hätten uns jetzt ebenso gut auch aufsetzen können, denn unsere Tiere zeigten sich so munter, wie es ihre Kräfte nur immer gestatteten, und drängten förmlich vorwärts. Ihr Instinkt ließ sie die ersehnte Erquickung wittern.
Meine Prophezeiung traf ein. Eine halbe Stunde später hatte sich die kleine Wolke so ausgebreitet, daß der ganze Himmel über uns bis rund um den Horizont tief schwarz erschien; dann brach es los, nicht allmählich wie in gemäßigteren Breiten, sondern plötzlich, als ob die Wolken aus festen Gefäßen beständen und umgestürzt worden seien. Es war, als trommelten zwanzig Fäuste auf unsern Schultern, und in der Zeit von nur einer Minute waren wir so vollständig durchnäßt, als wären wir in den Kleidern durch einen Fluß geschwommen. Die beiden Pferde standen erst ruhig und ließen die stürzende Flut mit freudigem Schnauben über sich ergehen; dann aber begannen sie allerlei Kapriolen zu machen, und bald konnten wir bemerken, daß ihre Kräfte vollständig zurückgekehrt waren. Wir selbst empfanden ein ganz außerordentliches Wohlbehagen, hielten unsere Decken auf, um das kostbare Naß zu sammeln, und füllten, was wir nicht tranken, in unsere Schläuche.
Am freudigsten gebärdete sich Bob, der Neger; er schlug Räder und Purzelbäume und schnitt Grimassen, die infolge seiner Physiognomie und der konträren Farbe seines Haares und seines Gesichtes ganz unbeschreiblich waren.
»Massa, Massa, oh, oh, Wasser, schön‘Wasser, gut‘Wasser, viel Wasser! Bob sein gesund, Bob sein stark, Bob wieder laufen, fahren und reiten bis nach Californ‘! Wird auch haben Wasser Massa Bern‘?«
»Wahrscheinlich, denn ich glaube nicht, daß er weit über die Kaktusstrecke hinausgekommen sein wird. Aber so trinke doch; es wird gleich aufhören, zu regnen!«
Er hob seinen breitrandigen Hut, der ihm entfallen war, von der Erde auf, hielt die untere Seite desselben empor, riß die wulstigen Lippen auseinander, daß ein Abgrund entstand, welcher von einem Ohre bis zum andern reichte, warf den Kopf nach hinten und goß sich den erquickenden Trank zwischen die klaffenden Zähne.
»Oh, ah, gut, Massa; Bob trinken noch groß viel mehr!« Er hielt den Hut wieder empor, sah sich aber getäuscht. »Ah, Regen all sein; kein Wasser mehr kommen!«
Wirklich hörte nach einem letzten Schlage des Donners, welcher ununterbrochen erschollen war, der Regen ebenso plötzlich auf, wie er eingetreten war; doch brauchten wir ihn auch