Winnetou 4. Karl May
schon über vierzig Jahre hinaus. Als sie jetzt mit den »Künstlern« sprachen, standen sie nicht wie ihre Dienstboten, sondern schon mehr wie ihre Herren vor ihnen. Das fiel mir auf. Doch schienen sie mit dem schlechten Witz, dessen Opfer ich werden sollte, einverstanden zu sein, denn sie stimmten schließlich in das Gelächter der Anderen ein. Als Howe sich mit Zweien von ihnen entfernte, um zu den Fliegenschimmeln zu gehen, rief ihnen der Dritte in heiterem Tone nach:
»Schade, daß Sebulon und Hariman nicht dabei sind! Würden sich krank lachen! Wenigstens der erstere!«
Man kann sich denken, wie diese beiden Namen auf mich wirkten! Also die zwei Enters! Denn daß diese beiden gemeint seien, verstand sich für mich sofort und ganz von selbst. Auch die Reihenfolge, in der die Namen genannt wurden, stimmte: Sebulon voran. Er paßte zu diesen Menschen viel besser als Hariman, sein Bruder, und würde sich über den beabsichtigten Streich gewiß auch mehr freuen als der letztere. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspannen, denn ich war bei dem Sattelzeug angekommen und hatte auszuwählen, was mir gefiel. Ob ich es dann auch wirklich brauchte, war im jetzigen Augenblick Nebensache, doch hegte ich schon jetzt gewisse Absichten, die sich zwar einstweilen nur auf Vermutungen stützten, sich dann aber als richtig erwiesen. Meine Wahl fiel auf einen Frauensattel und die fünf besten Reitsättel. Von den letzteren hatte ich, falls ich recht vermutete, später zwei Stück gegen zwei Packsättel umzutauschen.
Von jetzt an war es mir klar, daß diese sechs Personen weder Künstler noch sonst etwas Anständiges seien, und es tat mir fast leid, ihnen gegenüber die Rolle eines beinahe Minderwertigen gespielt zu haben, während sie es doch waren, denen es, mochten sie sein, was sie wollten, an der gewöhnlichsten Intelligenz gebrach. Denn daß ich aus einem Haufen von zwanzig Sätteln grad die fünf besten auszusuchen verstand, mußte ihnen ganz unbedingt sagen, daß ich höchstwahrscheinlich nicht der Tolpatsch sei, für den sie alle mich hielten. Sie aber waren derartig blind dafür, daß mir der eine Peon sogar seine großen Sporen brachte, um sie mir anzuschnallen. Ich ließ das ruhig geschehen.
Pappermann sattelte zunächst die drei Maultiere, sodann die Fliegenschimmel. Diese ließen es sich gefallen, duldeten aber dann nicht, daß sich ihnen jemand von der Seite her näherte. Ich mußte erfahren, ob dies nur die linke, also die Aufsteigeseite, betraf oder auch die rechte. Ich tat also, als ob ich auch von dieser her nahe an sie herantreten wolle, doch wendeten sie sich dabei stets so, daß sie mich vor sich behielten. Auch von hinten ließen sie Niemand heran. Sie flitzten da ganz lebensgefährlich mit den Hufen aus, und zwar alle drei, der eine genauso wie der andere und der dritte. Nun wußte ich genug. Mit diesen drei Hengsten war es viel leichter, über die Mauer zu kommen, als mit den Maultieren, von denen es sich erst zu zeigen hatte, ob sie Schule besaßen oder sich nur zum Lasttragen eigneten.
»Jetzt Anfang, Mr. Burton!« forderte Howe mich auf. »Es wird Zeit! Laßt uns nur erst noch nach dem Garten zurück, damit wir Euch sehen und bewundern können, wenn Ihr angesaust kommt!«
»So helft mir nur erst hinauf!« bat ich, zu einem der Maultiere tretend.
Man hob mich hinauf und eilte dann lachend dem »Garten« zu. Die Peone aber blieben im Freien, Pappermann auch. Er wich ihnen nicht von der Seite und sagte mir durch ein heimliches Nicken, daß ich mich hier auf ihn verlassen könne. Er war der umsichtige, Alles überlegende Mann geblieben, als den ich ihn vor Jahren kennengelernt hatte.
Nun setzte ich das Maultier in Bewegung. Es sah ganz so aus, als ob es aus eigenem Willen vorwärts gehe, erst langsam, dann etwas schneller. Es lief geradeaus, nach links, nach rechts, scheinbar ganz nach Belieben. Es drehte sich um, machte einen Bogen, wendete wieder, trottete weiter und versuchte sogar einen Trab. Ich rutschte hin und her. Ich schuckerte. Ich verlor zuweilen die Zügel, und ich fuhr hier und da aus den Bügeln. Das sah Alles so urgemütlich aus und war doch in Wirklichkeit ein scharfes, sehr scharfes Examen, welches ich mit dem Maultier unternahm. Es geschah kein Schritt, kein einziger, ohne meinen Willen, und ich bemerkte sehr bald, woran ich war. Das prächtige Geschöpf besaß die beste mexikanische Schulung. Als ich es leise, ganz leise zum Sprung zusammennahm, gehorchte es so genau und so schnell, daß ich kaum Zeit fand, diese Aufforderung durch Gegendruck zu widerrufen. So näherten wir uns der Gartenmauer mehr und mehr, bis wir uns nur noch vier oder fünf Schritte von ihr befanden. Drüben gab es ein höhnisches Gelächter. Man war überzeugt, daß das Maultier mit mir nur so spazierengegangen sei.
»Nun, herüber, herüber, Mr. Burton! Herüber!« rief Howe mir zu.
»Ja, soll ich denn wirklich?« fragte ich.
»Natürlich!«
»So nehmt es mir dann aber auch nicht übel!« »Fällt mir nicht ein! Also kommt!«
»Salto! Alto! Elevado!«
Während ich diese drei, beim Sprung gebräuchlichen Worte rief, schnellten wir hoch empor, über die Mauer hinüber und standen dann so unbeweglich und ruhig da drüben, als ob wir uns gar nicht von der Stelle bewegt hätten. Mein erster Blick war auf den Indsman gerichtet. Seine Augen leuchteten.
»Donnerwetter!« fluchte Howe.
Seine Kameraden ergingen sich in ähnlichen Ausrufungen. »Nun?« fragte ich ihn. »Bin ich jetzt hüben oder noch drüben?« »Hol Euch der Teufel!« schrie er mich zornig an. »Wie es scheint, könnt Ihr dennoch reiten?«
»Scheint? Dennoch? – Habe ich etwa behauptet, nicht reiten zu können?«
Ich glitt aus dem Sattel herab, führte das Maultier aus dem »Garten« in den Hof und band es dort an.
»Warum schafft Ihr das Vieh da hinaus?« wurde ich gefragt.
Ich antwortete nicht, nickte dem Herzle fröhlich zu und ging, um das nächste Maultier zu holen. Dieses tat den Sprung ganz ebenso wie das erste.
»Da habt ihr es!« schrie Howe. »Der Kerl kann reiten! Er hat gelogen!«
Ich ließ diese Beleidigung ungerügt und schaffte das Maultier ebenso in den Hof wie das vorige. Dann bat ich das Herzle:
»Bitte, laß, während ich das dritte hole, meinen Koffer herunterbringen, hierher auf unsern Tisch!«
Als ich dann an die Stelle kam, wo die Peone warteten, sagte der eine von ihnen zu mir:
»Sir, es scheint, Ihr wollt Euch einen Spaß mit uns machen?«
»Wenn dies der Fall wäre, so hätte ich nur ganz dieselbe Absicht wie Ihr!« antwortete ich.
»Nehmt Euch in acht, daß nicht etwa Ernst daraus wird!«
»Bei mir wird jeder Spaß zum Ernste. Ist das bei Euch etwa anders?«
Da trat er hart an mich heran und drohte:
»Ich warne Euch!«
»Pshaw!« machte ich wegwerfend
»Ja, ich warne Euch! Aber aus ganz anderem Grund, als Ihr denkt. Pferde sind keine dummen Maultiere. Es werden Euch entweder die Knochen zerschmettert, oder Ihr brecht den Hals!«
»Das wartet ruhig ab!«
Ich hielt es nun nicht mehr für nötig, mich zu verstellen. Ich schwang mich auf das Maultier, welches Pappermann am Zügel hielt.
»Wie wird es mit den Pferden?« fragte er mich leise.
»Ganz ebenso!« antwortete ich.
»Aber sie lassen doch niemand an sich heran!«
»Habt keine Sorge! Ich komme nicht nur hinan, sondern auch hinauf ! »
Nach diesen Worten flog ich über den Platz und über die Mauer hinüber. Als ich den Mulo in den Hof brachte, stand dieser schon fast ganz voller Menschen. Die Sache war publik geworden, und die Leute kamen herbei, ihr beizuwohnen. Dem Wirt war das lieb, weil er dadurch Gäste bekam. Auch die benachbarten Höfe und »Gärten« hatten begonnen, sich mit Zuschauern zu füllen.
Mein Koffer war da. Das Herzle war selbst mit oben gewesen. Sie sagte mir, daß vier Zeugen an unsern Fenstern stünden, drei Polizisten und ein Herr, den man ihr als Corregidor bezeichnet habe.
»Das heißt so viel wie Bürgermeister. Die Leute mexikanischer Abstammung pflegen sich dieses spanischen Ausdrucks zu bedienen«,