Das Naturforscherschiff. Sophie Worishoffer

Das Naturforscherschiff - Sophie  Worishoffer


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dienstbar machen und die »Hammonia« mit verdoppelter Eile nach den Inseln im Guinea-Busen befördern.«

      Holm versuchte es, dem Kapitän näher zu treten, wurde aber sogleich, nachdem er den schützenden Halt losgelassen, unsanft auf den Fußboden gesetzt und unter das Sofa gerollt. »Ein Zyklonenritt, nicht wahr?« fragte er von dort her.

      Jetzt lachten alle. »Ein Zyklonenritt!« wiederholte der Kapitän. »Woher wissen denn Sie eingefleischte Landratte, der Sie nicht einmal »Seebeine« besitzen, was das Ding bedeuten will?«

      Holm hatte sich mittlerweile wieder aufgerichtet. »Belehren Sie uns,« sagte er artig. »Sie haben die Sache praktisch kennen gelernt, ich habe sie studiert; einer kann also das Wissen des anderen ergänzen.«

      »Demnächst, mein Freund. Jetzt kommen Sie mit mir an Deck, immer hübsch im Schutz eines niet- und nagelfesten Gegenstandes, und sehen Sie sich das Schauspiel im weiteren Umkreise an. Noch ein Viertelstündchen, dann hat es ausgetobt, der Himmel wird wieder im Sonnenglanz leuchten und nur ein starker, regelmäßiger Wind, dessen kreisförmige Richtung uns jetzt nicht mehr schaden kann, das Schiff wie im Fluge vor sich her treiben. Folgen Sie mir, meine Herren!«

      Die ganze kleine Gesellschaft, mit Ölzeug und Südwester versehen, klomm an Deck. Man konnte es wirklich nur klimmen nennen, da jeder Anprall des Sturmes einen lebhaften Widerstand erforderte und kein Schritt ohne die Führung des quergespannten Seiles möglich war. Welch ein Anblick bot sich dem Auge! Erschütternd furchtbar und doch wieder großartiger als alle Schöpfungen der Kunst, ja selbst der entflammtesten Phantasie. Am Himmel alle Farben, vom glühenden Purpur bis zum weißen, elektrischen Licht, vom tiefsten Schwarz der Wetterwolke bis zum grün und gelb schillernden, rotumrandeten Zackenblitz, – unten im Meer die Schaummasse zu Bergen getürmt, von Klüften und Tälern durchschnitten, rollend und grollend, wie ein Raubtier aufspringend gegen die Eisenwände des Dampfers, gekrönt mit tausend weißen Perlenbogen und in seiner tieferen Mitte schwarz wie das Wasser des Höllenflusses dahingleitend, – so bot das Gesamtbild fortwährend neue Formen, so schien jedes einzelne das schönste und erhabenste im großen Ganzen.

      Und doch war noch ein Schauspiel, seltener und fesselnder als alle vorigen, den Zuschauern vorbehalten. Aus einer dichten Wolke fiel in nächster Nähe eine riesige, purpurrote Feuerkugel so hoch herab, daß ihr Lauf bis zu der Meeresoberfläche deutlich verfolgt werden konnte. Je näher dem Ziele, desto mehr verstärkte sich die Schnelligkeit des Falles, desto heller wurde der Purpur, bis endlich auch dessen letzter Schimmer in Weiß überging, und die Kugelform allmählich unter der Gestalt eines Ovals verschwand. Als die Erscheinung fast neben dem Schiff das Meer berührte, spritzte sie auseinander wie geschmolzenes Blei, und eine Dampfsäule, schnell verziehend, bezeichnete das plötzliche Erglühen des getroffenen Wassers.

      Der Kapitän nickte, als beantwortete er seine eigenen Gedanken. »Nun noch ein halbes Stündchen Gewitter ohne Sturm oder Regen, dann haben wir Ruhe. Gott sei den Schiffen gnädig, die jetzt im Mittelpunkt kämpfen.«

      Es geschah wie er vorausgesagt. Der Aufruhr der Wogen legte sich, an Deck konnte einige Ordnung wieder hergestellt werden, das Feuer im Maschinenraum erlosch, und das Schiff flog vor dem Wind wie ein Vogel über die geglättete Fläche dahin. Immer noch zuckten Blitze, immer noch ging die See hoch, aber dennoch war alle Gefahr vorüber, und nun versammelte sich die Reisegesellschaft bei hellem Sonnenschein um eine Tasse Kaffee, die zwar stehend getrunken werden mußte, aber trotzdem nach der gehabten Aufregung vortrefflich mundete. »Solche Zyklonen, – auch Orkane, Taifune oder Hurrikane genannt – sind Wirbelwinde,« erläuterte der Kapitän. »Ganz dasselbe, was wir alle am Lande so oft gesehen haben, wenn vor einem Gewitter plötzlich die Luftmassen sich um ihre eigene Mitte drehen und irgend einen leichten, zufällig dort befindlichen Gegenstand aufheben oder weitertreiben. Der innerste hohle Raum der Wettersäule ist natürlich windstill, da aber die Bewegung in großer Eile fortschreitet, so ist eben diese Stelle die gefährlichste von allen, weil sich der stärkste Anprall darüber hinwälzt. Ein Schiff im Zentrum des Orkans ist meistens verloren, die Benutzung des äußersten Sturmrandes dagegen jetzt schon an Punkten eines häufigen Vorkommens desselben zu einer Art Verkehrseinrichtung geworden. Wer die Sache praktisch kennt und daneben zu denken versteht, kann auch dem Orkan rechtzeitig aus dem Wege gehen, d.h. seinen äußeren Rand erreichen.«

      »Wie Sie soeben getan, nicht wahr, Herr Kapitän?«

      »O weh – da bin ich unvorsätzlich mit dem Klingelbeutel gegangen. Aber wirklich ist dies nicht der erste Wirbelsturm, den Witt und ich mit einander bekämpfen. – Hole den Alten herunter, Franz, wir wollen unsere Rettung durch einen guten Trunk feiern; sag auch dem zweiten Steuermann, daß er ein paar Flaschen Sekt herausgibt und den Leuten eine tüchtige Extraration Grog zukommen läßt.«

      Der Knabe sprang davon, um seinen Auftrag auszurichten; als aber die Gläser an einander klangen, da wurde doch die allgemeine Stimmung eine sehr ernste. Zwei Matrosen hatte der Sturm in den Wellen begraben, zwei trauernde Familien zuhause in Hamburg waren ihrer Söhne und Brüder beraubt; das trat erst jetzt, nun die Schrecken vorüber, mehr in den Vordergrund und verscheuchte die Heiterkeit. Auch vom Matrosenraum her erklang kein Singen und Lachen, wie es sonst bei Gelegenheit jeder Extraration von der immer gutgelaunten Schar angestimmt wird, der Kapitän hielt eine Ansprache, der noch Doktor Bolten einige ernste Worte beifügte, und dann wurde das sämtliche Eigentum der beiden Ertrunkenen fest versiegelt in die Kajütte gebracht, um mit der rückständigen Heuer an das nächste Hamburgische Konsulat abgeliefert zu werden. An diesem Tage kam keine rechte Unterhaltung mehr in Fluß, auch zum Arbeiten gelangte man nicht. In allen Ecken und Winkeln des Schiffes lagen ja die beweglichen Gegenstände über einander geschichtet; da mußte neu geordnet und aufgeräumt werden; das Verdeck glich einem Schlachtfelde. Die Fleisch- und Wasserfässer waren hinweggespült oder ihres Inhaltes beraubt worden, so daß sich der Kapitän Glück wünschte, mit beschleunigter Fahrt die Insel Fernando Po erreichen zu können.

      Fernando Po läßt überall vulkanische Natur erkennen. Schon von weitem sahen die Reisenden den Pik gleichen Namens, welcher prachtvoll bewaldet in der Höhe von 3500 Fuß das Meer überragte; sowohl der Kapitän als auch Holm waren aber der Ansicht, daß ein Ersteigen dieses Berges wie überhaupt ein Aufenthalt von längerer Dauer ganz unmöglich sei. Die fünf Inseln im Guineabusen sind eben die ungesundesten Punkte des tropischen Klimas, weshalb auch Spanien die Insel Fernando Po als Deportationsort braucht. Das große Gefängnis sah wie ein dunkler Punkt aus der heiteren Umgebung hervor, mehrere Kirchen und Kapellen wurden bemerkbar, aber dennoch wohnen fast gar keine Europäer dort, weil die bösartigsten Hautkrankheiten fortwährend herrschen.

      Ein Tierleben kennen die Inseln, soweit es Vierfüßler betrifft, fast gar nicht. Nur einige Affen leben auf den Bäumen, Schaltiere am Strande und außerdem verschiedene Vogelarten. Der Spaziergang war daher von keiner Gefahr bedroht, zumal die Eingebornen, die Aniyas, wie sie sich nennen, ein sehr scheuer, friedfertiger und verarmter Menschenschlag sind. Es lebt auf den zerstreuten Inseln nur eine verhältnismäßig sehr geringe Bevölkerung.

      Aber schön wie im Paradiese war die Umgebung. Rauschende Wasserfälle stürzten sich über Felszacken herab, prachtvoll blühende tropische Pflanzen aller Art bedeckten die Ufer, und Höhlen und Gänge, tiefe Schluchten und schwindelnde Berghöhen entzückten das Auge. Die Knaben füllten ihre Botanisierkapseln mit den Blüten und Blättern großer Prachtlilien, des Papyrus, der Kommelinen, Datteln und der Killingia, sie sammelten ungestört Moose und Flechten, die duftigsten Kräuter, die verschiedensten Waldbeeren von schönem Purpur oder Hellrosa, – nur Menschen begegneten ihnen nicht.

      »Gibt es denn hier keine Dörfer?« fragte Bolten den finster blickenden spanischen Führer. »Wird kein Feldbau betrieben?«

      »Nichts!« war die Antwort. »In diesem Klima arbeitet niemand.«

      »Ein trauriges Paradies!« setzte Holm hinzu. »Aber horch, ich glaube, es kommt jemand durch den Wald.«

      »Das ist wohl möglich. Die Aniyas streifen überall herum und suchen Beeren.«

      Wirklich erschien auch in diesem Augenblick die Gestalt eines Greises, der mit dem Weidenkorb am Arm Schwämme sammelte. Auf einen langen Stab gestützt, bot der Alte einen ebenso seltsamen als bedauernswerten Anblick. Ganz nackt, ohne jegliche Spur von Bekleidung, trug er auf dem Kopf ein korbartiges


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