Das Naturforscherschiff. Sophie Worishoffer
Teil hat sie!« nickte der Doktor. »Die wütenden Schwanzschläge verraten es.«
»Aber wo ist Hans?« rief in diesem Augenblick der junge Naturforscher. »Mein Himmel, er wird doch nicht« —
»Hier!« antwortete die Stimme des jüngeren Knaben. »Hier!«
Und Hans trat aus dem Gebüsch hervor, in jedem Arm ein spielendes, braunfleckiges Kätzchen, das er fest an die Brust drückte. »Du darfst sie nicht töten, Vetter Karl.« rief er, »ich habe sie gefunden und kann es nicht sehen, daß ihnen ein Leides geschieht!«
Der junge Gelehrte lachte. »Bewahre,« rief er, »Hans, wohin denkst du? Die sollen mit hoffentlich noch manchem anderen Tropenbewohner als Erinnerung an die wissenschaftliche Reise des Naturforscherschiffes den Hamburger Zoologischen Garten verherrlichen helfen. Wir nehmen alles hier Erbeutete, lebende oder tote Schätze, mit nach Lagos und schicken es von da durch den nächsten Postdampfer nach Hause. Papa wird sich freuen, wenn für die großen Kosten dieses Unternehmens schon so bald Erfolge einlaufen.«
Die beiden niedlichen Kätzchen gingen von Hand zu Hand. Sie waren noch sehr jung, konnten nicht essen und nicht so recht laufen, daher verursachte es wenig Schwierigkeit, sie fortzubringen. In dem Lendentuch des einen Negers, der es hier im Urwalde mit der üblichen Sitte der Bekleidung nicht so genau nahm, wurden sie weich gebettet, und während nun die Schwarzen sich daran machten, die unterdes verendete Schlange abzuhäuten und auch die alte Zibetkatze wieder ans Tageslicht zu befördern, gingen die vier Weißen mit dem Dolmetscher über die Lichtung, dem nahe belegenen Termitendorfe zu. Als man den zerstreut liegenden Pyramiden bis auf wenige Schritte gegenüberstand, erhoben sich aus dem Gebüsch mehrere kleine, zwerghafte Gestalten von gelbgrauer Farbe, nur einen bis anderthalb Meter hoch, kränklich aussehend und vollkommen unbekleidet, von erschreckender Häßlichkeit. Sie streckten mit einer Art von Bettlergebärde und kläglich wimmerndem Tone den Schwarzen sowohl wie den Weißen ihre Hände entgegen.
» Zwerge!« rief voll Erstaunen der Doktor. »Es ist also doch wahr, daß im Innern Afrikas ganze Zwergvölker leben.«
Achilles mußte nun die kleinen, schmutzigen Menschen ausfragen, und was er erfuhr, war folgendes. Die Zwerge nannten sich Obongos, sprachen von ihren Verwandten, den Akkus und Dokos, aber sie hatten, so lange sie lebten, nie ein Dorf bewohnt, einen König gehabt oder zu ihrem Lebensunterhalt durch Arbeit das Geringste beigetragen, ja sie waren daran gewöhnt, auf Bäumen zu schlafen und ohne alle Kleidung einherzugehen. Ihre Nahrung bestand aus Wurzeln, Beeren und Heuschrecken, die roh in zerquetschtem Zustande verzehrt wurden.
»Ob es viele von ihnen gebe?« fragte begierig der Doktor durch den Mund des Dolmetschers.
Sie schüttelten die Köpfe, und ihre trübseligen Mienen wurden immer trübseliger. Die Sonne versank unzählige Male, bevor sie in den Wäldern einen einzigen ihrer Brüder antrafen.
Man schenkte ihnen von den mitgebrachten Cakes und Fleisch und sah dann die kleinen Gestalten wie in den Boden hinein verschwinden. Diese ganze Art stand offenbar auf der niedrigsten Stufe menschlicher Entwicklung.
Jetzt waren auch die Termitenbauten erreicht. Schwarze, spitze Hütten, an den Außenseiten vielfach höckerig und wie mit Stufen, zahllosen Einschnitten und Erhöhungen versehen, so zeigten sie sich den Beschauern, die vergeblich versuchten, mittels ihrer Messer Stücke dieser Wände loszubrechen. Das Gemäuer war von fester Tonerde, und erst als Franz einen schweren Stein aufhob und ihn gegen die höchste Spitze warf, fiel ein schwarzer Klumpen zu Boden. Inwendig zeigten sich solche Gänge oder Rinnen, wie man sie als die Zerstörungswege der Maden im Käse kennt, natürlich nur bedeutend breiter.
Die Beute wurde der anderen zugefügt, und dann wanderte man dem Saume des Waldes wieder zu. Die schillernde Schlangenhaut sowohl als auch der Balg der Zibetkatze lagen schon zum Trocknen auf dem Rasen und waren nach Holms zufriedener Bestätigung wie vom besten Kürschner abgezogen worden. Das Fell des Raubtieres hatte eine schöne graue Grundfarbe mit launenhaft und unregelmäßig darüber hergestreuten schwarzen Flecken und Streifen; es zeigte die starke, schwarze Rückenmähne, den spitzen Kopf und den schlanken Körperbau der Gattung und maß von der Schnauze bis zur Schwanzspitze etwas mehr als einen Meter. Holm sagte, daß man eine afrikanische, eine amerikanische und eine asiatische Zibetkatze kenne, ebenso eine sehr selten gefundene europäische, und daß diese Tiere den in der Medizin bekannten Zibet lieferten. Die Nubier und Abessinier zähmen sie und drücken ihr wöchentlich zweimal den in einer Blase am Bauch befindlichen Zibet heraus, – in der Freiheit tut es das Tier selbst.
Mit Schlangenhaut, Balg und Kätzchen beladen, wanderte die Jagdgesellschaft zum Dorf zurück, nicht ohne jenseits des Baches nochmals den braunen Heerwurm ziehen zu sehen. Gottlob ließ er die Negerhütten weit links liegen.
Als man ankam, war die Sonne fast versunken, und um das Dorf herum lagerte eigentümliche Stille. Alle Feuer schienen erloschen, alle Bastvorhänge waren geschlossen und auf den Straßen niemand zu sehen, obgleich noch die letzten Sonnenstrahlen den Waldrand umsäumten. »Wie kommt das?« fragte Holm.
Die Neger taten sehr geheimnisvoll. »Ilogo!« flüsterten sie und beeilten sich, so rasch als möglich die Hängematten der Weißen an den Bäumen zu befestigen. Dann waren sie über alle Berge, und kein Rufen oder Bitten brachte sie zurück.
Die Weißen sahen einander erwartungsvoll an. Was mochte jetzt bevorstehen und was konnte das Wort »Ilogo« bedeuten?
Sie sollten es sehr bald erfahren. Immer tiefer senkte sich die Nacht, am Himmel glänzte mit hellem Schein der Vollmond und weiß und silbern lag auf den Hütten das milde Licht. Aus der Wohnung des Königs hervor trat in diesem Augenblick ein Mann, dessen schwarzer Körper vom Kopf bis zu den Füßen mit abwechselnd weißen und roten runden Flecken übermalt war. Die Arme gekreuzt, den Kopf zurückgebeugt und die Blicke zum Himmel erhoben, so begann der schwarze Monarch langsam die Dorfstraße hinabzutanzen. Kein Laut begleitete dies sonderbare Vornehmen, tiefe Totenstille lag auf der ganzen Umgebung, und selbst unsere Freunde unterhielten sich nur flüsternd. Was da der arme, unwissende Neger tat, das war zwar für den ersten Anblick komisch genug, aber trotzdem schimmerte immer hindurch eine Ahnung von höheren Gewalten, der er diesen seltsamen Ausdruck verlieh.
»Alle Naturerscheinungen finden unter diesen Heidenvölkern göttliche Verehrung,« belehrte der Doktor. »Die für böse gehaltenen werden gefürchtet, und die guten denkt man sich gewissermaßen wie Heilige. Gott selbst heißt: »Mawu«, der Himmel »Osi«, die Sternschnuppen »Nyikpla«, der Blitz »Nebroso«, der Donner »Agtui«, die Erde »Anyigba«, die Luft »Thama« und endlich der Fürst der Finsternis »Abosam«. – Ilogo wird also wohl der Mond sein; ich finde diese Art von Naturkultus zum mindesten poetischer als die Anbetung von Götzenbildern. Ist er nicht eine ›Stimme von oben‹, der alte lächelnde Geselle, dessen Rund jetzt über der Villa eurer Eltern in Dockenhuden ebenso hell glänzt wie hier unter dem Äquator, Tausende von Meilen weit?«
»Oder auch tief unter grauen, nordischen Wolken versteckt ist,« sagte etwas erzwungen der junge Gelehrte, und damit war glücklich die ernst gewordene Stimmung verscheucht. Man schlief, als der tanzende König den Blicken entschwunden war, sanft von linden Lüften geschaukelt, ruhig und ungestört bis an den hellen Morgen.
Hans erkundigte sich, sobald er aufgestanden, d. h. fünf Fuß tief auf den Erdboden hinabgesprungen war, zuerst nach seinen Kätzchen. Achilles hatte sie einer säugenden Hündin in die Mutterpfoten gelegt, und hier teilten sie brüderlich mit einer Schar krabbelnder, noch blinder Hündchen, ihren Erzfeinden, die labende Milch; der jugendliche Eigentümer wußte also seine Jagdbeute vollkommen in Sicherheit und konnte sich mit Muße anderen Angelegenheiten widmen, namentlich der komischen Verzweiflung des Doktors, welcher Kaffee, Handtücher und warmes Wasser äußerst schmerzlich vermißte. Den Trank der Kolanuß erklärte er für Lehmwasser und die Maniokkugeln für Steine; erst als der grüne Wald ihn wieder umgab, und der Blick des Botanikers in ihm so viele neue Schätze entdeckte, da taute er auf. Heute sollte das Mittagsmahl aus eigenen Vorräten im Freien gehalten werden, man wollte den ganzen Tag jagen und hatte noch zu aller Vorsicht ein halbes Dutzend Neger mehr mitgenommen. Der Ausflug versprach daher eine Reihe von Genüssen, vielleicht auch von Gefahren, aber das schreckte nicht. Wer eine wissenschaftliche Weltreise mitmachte, der mußte die Furcht zu Hause lassen.
Heute