Alarm. Alfred Schirokauer

Alarm - Alfred Schirokauer


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die Schönheit ihrer Züge in sich hinein.

      Dann zog er sie wieder an sich. Sie preßte sich gegen ihn, schmiegte sich in ihn ein, er fühlte jetzt ihren von dem Pelze befreiten Körper durch das dünne Seidenkleid hindurch, fühlte ihr Blut in den Gliedern sieden, fühlte ihre Glut, ihre Hingabe, ihr sehnsüchtiges Entgegenströmen. Die jäh erfüllte jahrelange Sehnsucht, das urplötzlich befriedigte Verlangen nach ihr betäubte ihn, überflutete sein Gehirn. Mit letzter verdämmernder Kraft riß er sich von ihr, gab sie frei.

      Sein heftiger Rückzug weckte sie gewaltsam. Sie öffnete die Augen weit und blinzelte erstaunt. Dann warf sie mit einem ruckartigen Schleudern des Kopfes die aufgescheuchte Leidenschaft von sich. Mit einer fast schmerzlichen Bewegung ihrer schönen großen Hand strich sie das Haar aus der Stirn, blau-schwarzes, selbst in der halben Beleuchtung des Zimmers glitzerndes und sprühendes Haar, das sich in natürlichen Locken um den edel geformten Kopf wellte, strich es zurück aus der intelligenten Stirn, zurück hinter das kleine Ohr-, das in mattrosa Perlmutter aus dem tiefen Schwarz hervorleuchtete.

      Wieder seufzte sie mit festgeschlossenen Lippen und stieß den Atem mit einem hellen Laut durch die leicht gebogene kühne Nase, Erbe ihrer arabischen Ahnen. Die Nasenflügel zitterten. Dann ließ sie die Arme schlaff herunterfallen, eine Geste wunder Enttäuschung. Ihre Augen wanderten durch die Bibliothek, feucht schimmerndes Schwarz in zartem, bläulich-porzellanenem Schmelze, und sagte mit einer weichen, kosenden, jetzt etwas belegten Altstimme auf deutsch, ihrer Vatersprache: »So also wohnst du!«

      Er nickte fassungslos und befangen. Wie alle klugen Frauen in heiklen bestürzenden Lagen, übernahm sie die Haltung und Führung. Sie bückte sich zu dem Pelze nieder, der auf dem Teppich am Boden lag. Er sprang hinzu, raffte ihn auf, warf ihn über einen Sessel.

      Sie setzte sich. Ihr Rock raschelte rauschend in die Stille der Verlegenheit.

      »Darf ich dir etwas anbieten?« fragte er in ihren Lauten, die er als Knabe gelernt hatte. Seine Eltern waren Kinder deutscher Einwanderer in Kalifornien.

      Sie schüttelte den Kopf. »Es ist besser, deine Dienerschaft sieht mich so wenig als möglich«, sagte sie, und ihre Stimme hatte jede Schwingung der Erregung verloren. »Gib mir eine Zigarette.«

      Er reichte ihr das silberne Kästchen. Sie klemmte das Mundstück zwischen starke aufblitzende Zähne und bot dem Streichholz, das er ihr hielt, die Lippen hin. Das Licht der kleinen rotblauen Flamme beleuchtete ihr Gesicht, die schmalen ovalen Wangen, den köstlichen Mund, das selbstbewußte Kinn, den weißen Hals mit den durchschimmernden violetten Adern, die langschattigen Wimpern. Es schien ihm, als dringe in der Helle des plötzlichen Lichtes auch ihr Duft, diese Mischung von diskretem Parfüm und Ausströmung ihres Haares und ihrer Haut stärker, verwirrender auf ihn ein.

      Das Streichholz erlosch. Sie blies dünne blaugraue Strahlenschwaden durch die Nase und sah stumm aus enggezogenen, sinnlich prüfenden Augenschlitzen zu ihm hinüber. Er fühlte wieder die Verführung ihn umfangen. Begehren riß ihn zu der Frau, nach der er sechs Jahre verzehrend verlangt hatte.

      Er warf sich ihr gegenüber in einen Sessel und umkrampfte die Armlehnen, als suche er Fesseln gegen seine Wünsche und Betörung.

      »Wie kommst du hierher?« fragte er. Doch er mußte sich räuspern, die Sperrungen aus der Kehle räumen, ehe verständliche Worte kamen.

      »Wir sind hierher an die Botschaft versetzt. Der Herzog ist erster Botschaftsrat, Vertreter des Gesandten geworden.«

      Er machte eine Bewegung mit dem Kopfe, als fange er ihre Nachricht aus der Luft auf.

      Sie fuhr fort: »Gestern sind wir aus Madrid eingetroffen.«

      Er schwieg. —

      Da sprach sie weiter: »Mein Mann ist heute abend dienstlich beim Botschafter. Da habe ich die erste Gelegenheit benutzt – —«

      Sie lächelte, sah plötzlich lieb und mädchenhaft aus unter diesem Lächeln, das die Unendlichkeit ihrer Liebe bloßstellte.

      »Ich danke dir«, sagte er verstehend, rückte den Stuhl dicht an sie heran, daß ihre Glieder sich berührten, und reichte ihr die Hand. Sie umspannte sie fest. Und da flammte sie auf.

      »Du«, flüsterte sie, »John, sei ehrlich zu mir. Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Endlos. Wenn du mich nicht mehr liebst, sag es offen. Ich habe mich verändert, ich weiß. Ich bin alt und häßlich geworden unter dieser zerreibenden Sehnsucht nach dir. Wenn man eine Frau mit neunzehn zuletzt gesehen hat – —«

      Jetzt lächelte er. Sein gerades scharfes Gesicht, das herbe Gesicht eines großen Konzernmenschen, quer und kantig, war mit einem Male jung und entspannt. Als habe eine Hand darüber gewischt, alle Runen und Runzeln getilgt, tauchte während dieses kurzen Lächelns ein hübsches schalkhaftes Jungengesicht unter der Maske des großen ernsten Chefs einer Weltfirma hervor.

      »Du bist schöner geworden und lockender«, bekannte er. Dann erloschen die Züge des Sportjungen, und im Sessel saß wieder der erstarrte Lenker der gewaltigsten Waffenfabrik und Schiffswerft dieser Erde.

      Es war, als sei wieder der Vorhang gefallen über das kurze Aufflackern einer erstickten Innigkeit und Nähe.

      Doch sie zwang sich mutig vorwärts. Sie wollte zu ihm hindurchdringen.

      »Du hast es weit gebracht«, raunte sie und versuchte abermals ihr zauberbelebtes Lächeln.

      Er machte eine schroffe, abweisende Bewegung mit der Hand.

      »Es ist alles nur Verzweiflung«, preßte er hervor.

      Sie bog sich im Sessel noch dichter an ihn heran.

      »Verzweiflung? Worüber?«

      »Um dich!«

      Die Worte flammten auf, wie ein lauter Aufschrei, obwohl er kaum flüsterte. Sie schlugen Angelita in den Stuhl zurück. Sie lag gegen die Lehne mit geschlossenen, zuckenden Lidern. Die Zigarette in ihrer Hand qualmte mit einem dünnen blauen Rauchstreifen, der kerzengrade zur Höhe stieg. Ihre Lippen bewegten sich lautlos.

      Da fügte er leise hinzu: »Mein Leben war nur Sehnsucht nach dir, meine Arbeit Betäubung.«

      Sie hatte ihre Rechte von ihm losgerissen. Jetzt tastete sie wieder nach ihm, umklammerte ihn und schwieg. Die Zigarette verbrannte ihre Finger. Sie warf den glimmenden Stummel in die Schale.

      Dann kamen die Worte leise, singend fast:

      »Ich wußte, daß du mich nicht mehr hassest. Ich fühlte es. Schon lange, lange. Ich habe diese Versetzung nach London betrieben. Ich ging an meiner Sehnsucht zugrunde.«

      Er beugte sich über ihre Hand und preßte lange seine Lippen auf die duftende heiße Haut.

      »Ich habe dich nie gehaßt«, bekannte er.

      »Doch«, beharrte sie, den Kopf gegen die hohe Lehne des Stuhles zurückgeschmiegt. »Damals in Tokio hast du mich gehaßt. Wäre ich nicht feige gewesen, hätte ich dich getötet. Nein, es war nicht Feigheit. Es war auch nicht Haß. Es war alles nur Liebe, diese Liebe zu dir, die alles birgt, was an mir lebt und atmet.«

      3

      In Tokio hatten sie sich kennengelernt.

      Rutland führte damals das kümmerliche Dasein eines Gelegenheitsdolmetschers, suchte seine englischen, deutschen, spanischen und japanischen Sprachkenntnisse an den Mann zu bringen. Diesen Mann traf er nach vielen Wochen des Elends in der düsteren Halle des Imperial-Hotels, dieses bedrückend wüsten, planlosen Zyklopenbaues.

      Es war Septimus Egan, der Japanvertreter von Killick & Ewarts. Der Dolmetscher mit den tragischen Augen, den weißen Schläfen und dem Gesicht eines Dreißigjährigen gefiel ihm. Besser noch gefiel ihm sein intelligentes Japanisch.

      »Mann, wo haben Sie das her?« fragte Egan perplex.

      »Ich habe es gelernt«, erwiderte Rutland lakonisch und so abschließend, daß der große Vertreter der Weltfirma keinen weiteren Aufschluß zu fordern wagte. Er verhandelte just wegen der Lieferung dreier Schlachtkreuzer an die japanische Marine. Die Aufträge gingen durch viele Instanzen, langsam, schwerfällig, mit unendlichem Zeitverlust und aufreibender Saumseligkeit, wie jeder


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