Die Ahnen. Gustav Freytag
einen Händler halten. Ihm zur Seite trabte ein Jüngling in gleicher Tracht und Ausrüstung, der auch auf dem Rücken ein Bündel trug und in der Hand einen Baumzweig, mit dem er sein Rößlein antrieb. Daß der Führer die Reisenden nicht als gewaltige Leute achtete, war durch sein Benehmen deutlich, denn er trug sein Haupt hoch, so oft er auf eine Frage des älteren Mannes kurze Antwort gab, und er sah nur zuweilen, wenn der Weg steil aufwärts ging, oder die beiden weit zurückblieben, mit düsterm Blick hinter sich und wandte die Augen schnell wieder ab, wie von unholden Gesellen. Durch Sand und über Steinblöcke zog sich der rauhe Pfad zwischen alten Kieferstämmen von einer Erdwelle zur anderen; auf dem braunen Grunde wuchs wenig anderes als Wolfsmilch, Heidekraut und dunkle Waldbeeren. Es war still im Walde, nur die Krähen schrien über den Wipfeln, die heiße Luft war mit Harzgeruch erfüllt und kein Windeshauch kühlte die erhitzten Wangen. Als der Weg einmal steil aufwärts ging, sprang der Jüngling ab, pflückte am Wege einen Strauß Beeren und bot ihn dem Reiter. Dieser dankte mit einem freundlichen Blick und begann in lateinischer Sprache: »Siehst du ein Ende des Waldes? Unsere Rosse ermüden, die Sonne neigt zur Rast.«
»Stamm hinter Stamm, mein Vater, und kein Lichtstrahl vor uns im Holze.«
»Du bist an die rauhen Pfade nicht gewöhnt, Gottfried,« fuhr der Ältere bedauernd fort, »ungern nahm ich dich in das wilde Land und ich bin unzufrieden, daß ich deiner Bitte nachgab.«
»Ich aber bin glücklich, mein Vater,« versetzte der Jüngling mit frohem Lächeln, »daß ich dich begleiten darf als dein unwürdiger Diener.«
»Die Jugend freut sich stets der Wanderschaft«, sprach der Reiter. »Sieh unsern Führer, ihn kümmert die Tagesglut wenig, er ist ein kraftvoller Wildling, der des Pfropfreises harrt.«
»Unfreundlich hält er sich gegen uns, mein Vater.«
»Ist er auch unwirsch, warum sollte er unehrlich sein? Er hat der Frau Hildegard und mir selbst in die Hand gelobt, uns sicher über die Berge zu führen und er sieht nicht aus wie ein Schächer. Doch wäre er‘s auch, einer ist stärker in der Wildnis als er.« Er neigte das Haupt. »Merke, er hat gefunden, was ihm die Reise stört.«
Die Haltung des Führers war verwandelt, hochaufgerichtet saß er im Sattel mit gehobenem Speer wie zum Ansprung bereit.
Der Fremde ritt zu dem Führer: »Dein Name ist Ingram, wie ich vernahm.«
»Ingraban der Thüring bin ich,« versetzte der Reiter, stolz die Worte des anderen bestätigend, »und dies ist der Rabe, mein Roß«; er rührte an den Hals des edlen Tieres, das von Farbe schwarz war, wie sein geflügelter Namensbruder, und unter der Hand des Reiters wiehernd das Haupt erhob.
»Ich erkenne, wohlbekannt sind dir die Reisepfade auch fern von deiner Heimat.«
»Oft ritt ich als Bote meiner Landgenossen zu dem Frankengrafen über den Main.«
»So ist dir auch Frau Hildegard, die Grafenwitwe, von früher her zugetan.«
»Ich stritt in der Schar ihres Eheherrn, als ihn die Wenden erlegten. Eine gute Frau ist Hildegard, da sie meinen kranken Knecht in Pflege nahm.«
»Am Lager des Kranken fand ich dich, und ich bin froh, daß ich solch sicheren Führer gewann. Was hemmt dir jetzt die Reise?«
Die Hand des Führers wies auf eine Spur im Sande. – »Hier lief eine Herde wilder Rosse«, sagte der Fremde, auf die Spur blickend.
»Reiter waren es, mehr als drei, und feindselig wird ihr Gruß, wenn sie uns treffen«, antwortete der Führer.
»Woher weißt du, daß es Feinde sind?«
»Hofft in deinem Lande ein Wanderer in der Wildnis auf ehrlichen Gruß?« fragte der Führer zurück. »Die hier gezogen sind, waren Krieger, welche mit fremder Zunge reden, von dem Wendenvolk an der Saale, das man die Sorben nennt; weit schweifen sie auf ihren Pferden nach Jagdbeute und Herdenvieh. Dort liegt ihr Zeichen«, er berührte mit dem Speer einen kurzen Rohrpfeil mit Steinspitze. »Sie haben unseren Weg gekreuzt nach dem letzten Regen.«
»Und hoffst du uns verborgen vor den Fremden über die Berge zu führen?«
»Habt ihr den Mut, so habe ich den Willen. Manchen Stieg über die Waldhügel weiß ich, den ihre Haufen meiden; doch rate ich, haltet euch schweigsam und nahe an meinem Roß.«
Vorsichtiger ritten die Fremden dicht hinter dem Führer.
Der Saumpfad senkte sich in ein stilles Waldtal, führte durch sumpfigen Grund und das Bett eines Baches und stieg auf der anderen Seite wieder in den Wald. Zwischen hohen Buchenstämmen zogen sie behaglicher dahin auf grünem Moosgrunde, welchen die schrägen Sonnenstrahlen vergoldeten. Und wieder senkte sich der Pfad in ein weites Tal. Am Waldesrand hielt der Führer an. »Dies ist das Idistal,« sagte er, das Haupt zum Gruße neigend, »und dort rinnt der Idisbach nach dem Main.« Durch hohes Wiesengras leitete er zu einer Furt des Baches, von da trabten sie eine Hügelreihe entlang nordwärts. Einsam und menschenleer lag das blühende Tal. Einigemal kamen die Reisenden über altes Ackerland, noch waren die Beetfurchen sichtbar, aber Schlehdorn und stachliger Ginster standen dicht wie eine Hecke darauf, und die Pferde hatten Mühe durchzudringen. Der Fremde sah mit Teilnahme auf die zerstörte Kultur. »Hier haben einst fleißige Hände gebaut«, sagte er bedauernd. »Seit Menschengedenken liegt die Stätte wüst«, antwortete der Führer gleichgültig. Weiter oben wies er auf eine Erdhöhe: »Auch dort stand ein Hof, aber die Wenden haben ihn verbrannt, da ich ein Knabe war. Das wilde Kraut schießt seit zwanzig Sommern in die Höhe. Sorgst du um gebrochene Höfe, so magst du hier viele finden. Über dem Bach haben vorzeiten die Avaren gelagert, braunhäutige Männer mit schrägen Augen, sie tragen, wie die Alten erzählen, geflochtene Zöpfe um das Haupt und sind ein mächtiges Ostvolk, aber grausame Mordbrenner. Dort drüben lag, wie die Sage meldet, eine große Zahl Höfe an einem geweihten Wald von solchen Bäumen, die wir Ahorn nennen, jetzt stehen nur noch wenige der alten Stämme, die Avaren haben sie niedergebrannt, und wo die Höfe waren, ist Wustung. Aber das ist lange her, es wäre mühsam, den Jahrwuchs der Fichten zu zählen, welche darüber ragen. Überall, wo du hier Dornen und Kletten siehst, stand einst ein Bau, mancher ist zur Zeit der Väter, mancher im Gedächtnis Lebender zerrissen, mehre in den letzten Jahren, es dauern nur hier und da einige.«
Da der Fremde schwieg, wies der Führer auf den Himmel, über den sich das Abendrot breitete, und ritt aus dem Talpfad einen schmalen Weg bergauf. Die Rosse der Reisenden klommen mühsam nach durch dichtes Holz bis auf eine Berghöhe. Der Gipfel war ein unebener Raum, baumlos, mit niedrigem Buschwerk und wilden Blumen bewachsen. Nur eine mächtige Esche erhob sich in der Mitte aus dem niedrigen Kraut. Die Reiter sahen von drei Seiten weit über die Hügel, südwärts bis über den Main, nach Norden auf die blauen Berge der Thüringe, geradeaus in eine weite Talebene, die von hochgeschwungenen Hügeln eingefaßt war. Hinter ihnen dehnte sich eine Bergleite, von dem vorderen Gipfel durch Erdhaufen und Senkungen getrennt, welche aussahen wie ein alter Wall und Graben. Der Führer sprang vom Rosse und neigte sich tief gegen den Eschenbaum, dann trat er an den Rand des Gipfels und sah forschend in das Tal und den Saum der Wälder entlang. Und wieder wandte er sich der Esche zu und sprach ehrfürchtig: »Hier ist der Idisberg und dies ist der heilige Baum der hohen Schicksalsfrauen. Schutz vor schädlichen Gewalten hat die Stelle und darum habe ich euch hierher geführt.«
»Als ein kundiger Führer hast du dich erwiesen«, versetzte der Fremde, die gute Lagerstätte überschauend. Er stieg ab und löste selbst die Ledersäcke vom Sattel der Rosse. »Sicher weißt du auch einen Quell in der Nähe.« Der Führer ergriff die Zügel der Pferde. »Gebiete deinem Knaben, daß er die Flaschen trage und mir helfe den Zaun zu richten«, sagte er und führte die Tiere auf die Bergleite zu etwa hundert Schritt hinab, wo ein Quell aus einer bemoosten Einfassung von Stein talab rann. Dort pflöckte er die Rosse an, damit sie weideten, hob die schwere Axt und winkte dem Jüngling, daß er ihm nach dem Wald folge.
Als der Fremde sich auf dem Gipfel allein sah, umschritt er betend mit gebeugtem Haupte den Raum, in welchem die Esche stand. Darauf untersuchte er sorgfältig die Stelle, als ein Mann, der die Zeichen der Natur zu deuten wußte, und stieß mit dem Fuß unter eine knorrige Wurzel des Baumes, welche hoch über dem Boden ragte; er fand lockeren Grund, fuhr mit dem Stiel der Axt hinein und hob mit Anstrengung einen Stein heraus,