Die Ahnen. Gustav Freytag
wandelte in den Wald. Da wurden die Feinde meines Ahnen mächtig und verbrannten ihn und die Hausgenossen mit dem Hofe. Nur der Knabe entrann. Von ihm stamme ich.«
»Weißt du, Ingram, ob die Gabe in Wahrheit Glück brachte?« fragte Walburg.
»Wie darfst du zweifeln,« rief Ingram unwillig, »es ist geheime Kunde meines Geschlechtes, und ich selbst bewahre noch den Zauber, das Erbe meiner Ahnen.«
»Du trägst bei dir, was von Unholden stammt?« schrie Walburg angstvoll. »Laß mich‘s sehen, daß ich wisse, denn auch dies ist jetzt mein Recht.«
»Du stehst unter dem Kreuze,« versetzte Ingram besorgt, »und ich weiß nicht, ob du dem Zauber günstig bist und er dir. Doch will ich dir‘s heut nicht bergen.« Er riß das Kleid auf und wies eine kleine Tasche von abgestoßenem Fell, die an seinem Halse hing. »Dies Zeichen ist so echt und heilig als irgend etwas auf Erden; sieh her, du magst noch erkennen, daß es in Wahrheit vom Otterfell stammt. Mein Vater trug es zuweilen, und meine Mutter übergab es mir. Als ich nach den Kindern ritt, barg ich es im Gewande, und darum, fürchte ich, ward der Sorbe mein Herr. Nach der Heimkehr band ich es um.«
»Und an demselben Abend verlorst du den Frieden«, mahnte Walburg.
»Ich verlor ihn,« versetzte Ingram düster, »vielleicht, daß der Zauber nicht den Frieden bewahrt, denn friedlos war auch mein Ahnherr, da er ihn empfing.«
Mit geheimem Grauen erkannte Walburg, daß der Mann, den sie liebte, unter der Macht unholder Gewalten stand. Die Flamme loderte und warf rote Funken umher, der zackige Stein leuchtete und blitzte, und unten in der Tiefe wirbelte der teuflische Wurm.
»Wer wärmt hier so frech sein Gebein?« rief eine wilde Stimme vom Eingang her, »den Rauch roch ich über den ganzen Berg.«
Aus dem Felsspalt trat schwerfällig in dunklem Kleide von Fellen eine riesige Gestalt, blutbespritzt war das Gesicht und Blut träufelte von den Armen, als der Unhold sich dem Feuer näherte. Walburg fuhr entsetzt in die Höhe. »Ich sehe zwei. Bist du unsinnig, Wolfsgenoß, daß du dir ein Weib unter die Erde holst?«
»Du wähltest üble Stunde einzudringen, Bubbo,« entgegnete Ingram unwillig, »und dir steht Drohen schlecht an, wo du selbst die Hilfe anderer gebrauchst; denn ich sehe, hartem Kampf bist du entronnen.«
»Den Bär erlegte ich, mich packte die Bärin, und wir rollten zusammengeballt vom Felsen. Mein gutes Glück war, daß sie unten lag und für mich den Sturz bezahlte, ich schleppte mich mühsam hierher, wo ich dich zu finden hoffte«, versetzte Bubbo und setzte sich schwerfällig auf das Moos.
»Sieh zu, wo er wund ist, damit ich ihn verbinde«, mahnte Walburg, welcher die Not des anderen den Mut zurückgab, und sie trug den hilfreichen Korb heran.
»Bist du‘s, Walburg?« murrte Bubbo. »Der Armknochen ist gebrochen, und der Leib voll Risse, schiene den Arm mit Rinde und sprich deinen Segen, wenn du es vermagst, denn ich fürchte, meine Braunen werden über diesen Sturz frohlocken.«
Während Ingram Wasser schöpfte und aus der Höhle eilte, um Baumrinde und Moos zu holen, bereitete Walburg den Verband. »Nimmer hätte ich gedacht, daß mein Schleier einmal an deinen Wunden haften würde, Bubbo«, sagte sie gutherzig.
»Es ist nicht zum erstenmal, daß du an mir bindest«, versetzte der Waldmann so höflich als er vermochte. »Und wenn noch jemand unser Geheimnis teilen soll, so ist mir recht, daß du es bist, obgleich ich dich für ganz unklug halte, weil du aus dem Meierhofe unter diesen kalten Stein fährst.«
Als Ingram zurückkehrte, schiente Walburg mit seiner Hilfe den Arm und deckte die Fleischwunden.
»Vermagst du mir einen Trunk zu reichen, so wäre mir‘s lieb,« bat der Waldmann, »das Wasser dort unten ist rein und kalt.« Der Jungfrau grauste hinabzusteigen, sie hob eine Flasche aus dem Korbe und füllte einen kleinen Holzbecher. »Dies ist ein Trank, den Herr Winfried uns gelehrt hat, er ist heilsam gegen scharfen Schmerz. Er wird dich zuerst sorglos machen und darauf müde, und das ist jetzt für dich das beste.«
»Ich würde den Trank deines Bischofs rühmen, aber er schwindet wegen seiner Spärlichkeit auf dem Wege abwärts«, seufzte Bubbo, den Becher zurückgebend. »Doch leugne ich nicht, daß es besser ist, einen Trunk aus seinem Vorrat zu bekommen als einen Fluch.«
»Du kennst den Bischof?« rief Walburg. Ein langes Brummen war die Antwort. »Wie sollte ich ihn nicht kennen, da er sich selbst meiner rühmt. Denn im letzten Mond, als er mit Reisigen des Grafen über die Berge nach den Frankendörfern ritt, schlugen die Speerleute ihr Kreuz, da sie bei meinem Hofe vorbeikamen, doch er sprach: ›Hier halten wir an.‹« Bubbo lachte laut. »Die Reiter machten große Augen und redeten leise zu ihm, er aber versetzte: ›Hier wohnt mein Gastfreund.‹ Sie pochten lange am Tor,« fuhr er redselig fort, »obgleich ich auf der Innenseite stand. Als ich endlich öffnete, sprach der Bischof zu mir: ›Wir wollen dich nicht durch unser Einlager beschweren, nur um einen Trunk Wasser bitte ich dich und daß du mir sagst, ob ich dir in etwas nützen kann.‹ Als wir nun allein am Herde saßen, mahnte ich ihn an ein altes Versprechen, daß er mir wohl etwas von seiner Kunst mitteilen könnte. Und er sprach: ›Ich bin immer bereit, was begehrst du?‹ Ich sagte: Gold; ich will es finden oder gewinnen. Er antwortete: ›Gut, ich will dir‘s weisen.‹ Und er holte aus seinem Ledersack Pergament in einem Holzkasten, was sie ein Buch nennen, und schlug es auf. Ich erstaunte mehr als jemals in meinem Leben, denn von Gold waren die Runen, welche auf das weiße Leder geschrieben waren. Sie leuchteten mir in die Augen, daß ich erschrak, da sprach er: ›Du tust wohl, deine Mütze abzunehmen, denn die Worte, welche geschrieben stehen, sind heilig, und hier ist die Verkündigung, welche für dich gegeben ist.‹ Er wies mir die Stelle und deutete sie: ›Es war einmal ein Mann, so armselig, krank und verachtet, daß niemand mit ihm verkehren wollte, und gerade den trugen die Boten der Überirdischen in die Himmelsburg und setzten ihn auf den Ehrenplatz; den reichen und vornehmen Mann aber, der in Purpur wandelte, stießen sie hinab in das finstere Nachtreich.‹ Und der Bischof sprach: ›Merke wohl, im Christenhimmel ist den Armen, Verfolgten und Ausgestoßenen gutes Gemach bereitet, ob sie auch heimatlose Leute und Bärenführer sind, wenn sie ihre Sünden bereuen. Schwerer wird dem Reichen der Weg in den Himmelssaal als dem Armen. Darum, wenn es dir übel gedeiht bei deinen Bären, denke auf ein besseres Leben und komm zu mir, damit dir dort oben das Glück bereitet werde, das dir hier verkündet ist.‹ Gleich darauf ritt er davon, ich aber saß am Herde und merkte, daß er mir nicht übel geraten hatte. Denn auch ich begehre nach diesem Leben ein besseres Glück, als ich hier im Wintersturm bei meinen langlodigen Genossen hatte. Und mir fiel ein, wie ich dereinst im Frankenreich mehr als einen Siedler gesehen habe, der einsam bei seinem Kreuze um die Gunst des Himmelsherrn bittet. Wenn der Christengott auch dem schicksalslosen Waldmann einen Ehrensitz zuteilt, so möchte ich ihm wohl dienen, wie er‘s begehrt. Und diese Höhle, in der ich jetzt gezaust liege, könnte einmal meine Wohnung sein.«
Ingram lachte laut. »Du, Bubbo, willst unter den Christen beten?«
»Vielleicht tue ich‘s«, versetzte der Waldmann trotzig. »Ist die Christenlehre so mild gegen die Armen und Unfreien, dann mögen alle, die den Nacken hoch tragen, sich fortan wahren, denn alles arme Volk muß dem Bischof zufallen, und der Armen sind mehr als der Reichen.«
»Du aber weißt ein Schwert zu führen«, rief Ingram.
»Ich habe getötet mit jeder Waffe, Menschen und Tiere, wie mich die Not trieb,« versetzte der Riese finster, »was habe ich davon gehabt? Daß mich die Leute scheu anblicken, daß ich in Schnee und Wintersturm allein hause und daß kein Gott und kein Mann Sorge um mich trägt. Wer seit dreißig Sommern und Wintern in der Waldwüste mit den Raubtieren heult, der kümmert sich nicht mehr um die Menschengötter der Heiden. Graubärte hörte ich schwatzen und fahrende Sänger hörte ich viel singen von der Götterhalle, zu der die Helden aufsteigen, aber daß dort jemand den Bärenfänger freundlich begrüße, habe ich niemals gehört. Du bist kaum einen grünen Sommer Wolfsgenosse und hast gelernt am Opferstein zu flehen und Gutes zu hoffen. Ich aber habe zuweilen neben der Felskluft gelauert, aus welcher der Uhu fliegt, wenn er sein Wu-hu schreit, damit die Männer im Tal ihre Köpfe bergen und das sausende Gottesheer erwarten, und ich habe dem Schreier den Kopf zerschlagen und die Fänge abgeschnitten, ohne daß sein Gott mich hinderte.