Sämmtliche Werke 4: Mirgorod. Gogol Nikolai Vasilevich

Sämmtliche Werke 4: Mirgorod - Gogol Nikolai Vasilevich


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wenn ihm sein Vater nicht feierlich geschworen hätte, ihn volle zwanzig Jahre als Knecht ins Kloster zu schicken und ihm nicht angedroht hätte, er solle die Sjetsch niemals zu Gesicht bekommen, wenn er sich auf der Akademie nicht alle Wissenschaften aneignen werde. Es ist interessant, daß derselbe Taraß Bulba dies sagte, der über alle Gelehrsamkeit spottete und, wie wir gesehen haben, seinen Kindern empfahl, sich nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen! Seit dieser Zeit begann Ostap mit außerordentlichem Fleiß über dem langweiligen Buche zu brüten und wurde bald einer der besten Schüler. Das damalige Unterrichtssystem nahm nicht die geringste Rücksicht auf das wirkliche Leben; denn diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Finessen paßten gar nicht zu dem Zeitalter, wurden nie angewendet und wurden im Leben nie wieder gebraucht. Die, die sie beherrschten, konnten ihr Wissen, auch wenn es weniger scholastisch war, nirgends anbringen. Die damaligen Gelehrten waren bei ihrer Weltfremdheit, und weil es ihnen an der nötigen Erfahrung fehlte, fast noch unwissender, als die andern Menschen. Außerdem mußte ihnen auch die republikanische Verfassung der Seminare – diese ungeheuere Anzahl gesunder, kräftiger, junger Leute, Lust zu einer Tätigkeit einflößen, die gar nichts mit den Studien, die sie trieben, zu tun hatte. Oft genug erzeugten auch die schlechte Kost, die häufigen Hungerstrafen und die Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden, jungen Manne erwachen, jenen Unternehmungsgeist in ihnen, dem sie nachher in der Saporoger Sjetsch ungehemmten Lauf lassen konnten. Die hungrigen Seminaristen streiften durch die Straßen Kiews und zwangen alle zur peinlichsten Vorsicht. Die Hökerfrauen, die auf dem Markte saßen, bedeckten ihre Pasteten, Brezeln und Kürbissamen stets mit den Händen wie das Adlerweibchen seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen vorbeikommen sahen. Der Konsul, dessen Pflicht es war, die ihm untergebenen Kameraden im Zaum zu halten, hatte so riesige Taschen in seinen weiten Beinkleidern, daß er den ganzen Kramladen der etwas eingeschlafenen Handelsfrau darin hätte unterbringen können. Diese Seminaristen bildeten eine abgeschlossene Welt für sich. Zu den höheren Kreisen, die sich aus dem russischen und polnischen Adel zusammensetzten, hatten sie keinen Zutritt. Selbst der Wojewode Adam Kissel führte sie trotz des Protektorates über das Seminar, das er übernommen hatte, nicht in die gute Gesellschaft ein, und erließ den Befehl, sie recht streng zu halten. Übrigens war diese Anordnung ganz überflüssig, denn der Rektor und die geistlichen Professoren sparten weder Ruten noch Peitsche, und oft genug züchtigten die Liktoren ihre Konsuln auf ihren Befehl so fürchterlich, daß jene sich noch wochenlang die Beinkleider kratzten. Vielen machte das kaum etwas aus, und brannte es nur ein wenig stärker, als ein gut gepfefferter Schnaps; andere jedoch bekamen die ständigen Züchtigungen gründlich satt und brannten nach dem Saporog durch, wenn sie den Weg dorthin zu finden wußten und nicht wieder eingefangen wurden. Ostap Bulba blieb, obschon er die Logik und die Gottesgelahrtheit mit großem Eifer zu erlernen begonnen hatte, keineswegs von den ewigen Prügelstrafen verschont. Es ist nur zu natürlich, daß diese Behandlung schließlich den Charakter verhärten und ihm jene gewisse Festigkeit geben mußte, die den Kosaken stets eigen war. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er verführte selten andere zu frechen Unternehmungen – wie etwa zu Raubzügen in fremde Obst- und Gemüsegärten; dafür aber war er einer der ersten, die sich unter die Fahne eines kühnen, unternehmungslustigen Seminaristen stellten, und nie, und unter keinen Umständen hätte er einen Kameraden verraten: weder Peitschenhiebe noch Rutenstreiche konnten ihn dazu veranlassen. Er war gleichgültig und voller Verachtung gegen alle Leidenschaften, die nicht auf den Krieg oder ein Freß- und Saufgelage abzielten. Wenigstens dachte er fast an nichts anderes. Gleichgestellten gegenüber besaß er eine große Offenheit. Er besaß eine gewisse Güte, soweit dies in dieser Zeit und bei einem solchen Charakter möglich war. Die Tränen der armen Mutter hatten sein Herz außerordentlich bewegt, und es war allein dies Gefühl, das ihn jetzt verwirrte und ihn zwang, nachdenklich den Kopf zu senken.

      Sein jüngerer Bruder Andrij hatte lebhaftere und bestimmtere Empfindungen. Das Lernen machte ihm mehr Vergnügen, und er bedurfte dazu keiner besonderen Anstrengung, die ein schwerfälliger und harter Charakter stets dabei anwenden muß. Er war erfinderischer als sein Bruder, war öfter Anführer bei gefährlichen Unternehmungen und verstand es, dank seiner Schlauheit und Intelligenz manches Mal der Strafe zu entgehen; während sein Bruder Ostap gleichmütig und ganz von selbst seinen Rock ablegte und sich auf den Boden streckte, ohne auch nur daran zu denken, daß er um Gnade bitten könnte. Andrijs Seele dürstete gleichfalls nach Heldentaten, aber sie war auch andern Empfindungen zugänglich. Als er das achtzehnte Jahr überschritten hatte, bemächtigte sich seiner ein heftiges Bedürfnis nach Liebe. Immer häufiger tauchte das Weib vor seinen erregten Sinnen auf; während er philosophischen Disputen beiwohnte, umschwebte es ihn: jung, schwarzäugig und zart. Unablässig glaubte er ein Paar glänzende kräftige Brüste oder einen wundervollen zarten nackten Arm vor sich zu sehen; das Kleid, das die jungfräulichen und zugleich starken Glieder einhüllte, hauchte in seiner Phantasie eine unaussprechliche Wollust aus. Er verbarg diese leidenschaftlichen Wallungen seiner Seele sorgfältig vor den Kameraden; denn in jener Zeit galt es für schmachvoll und ehrlos, wenn ein Kosak an Weiber und Liebe dachte, ehe er an einer Schlacht teilgenommen hatte. Überhaupt war er in den letzten Jahren, die er im Seminar verbrachte, immer seltener Anführer einer Rotte, und irrte meist in irgend einem einsamen Winkel Kiews, zwischen Kirschgärten und kleinen Häusern umher, die verführerisch auf die Straße hinausblickten. Hin und wieder geriet er auch in das aristokratische Stadtviertel, in das jetzige „Alte Kiew“, wo die kleinrussischen und polnischen Adligen wohnten und die Häuser einen etwas bizarren Baustil hatten. Als er dort eines Tages tief in Gedanken versunken umherschlenderte, hätte ihn beinahe die Kutsche eines polnischen Pans überfahren, und der auf dem Bock sitzende Kutscher mit einem fürchterlichen Mundwerk versetzte ihm unter greulichen Flüchen einige ziemlich kräftige Peitschenhiebe. Der junge Seminarist geriet in Wut: voll unsinniger Kühnheit packten seine kräftigen Fäuste das hintere Rad, und brachten den Wagen zum Stehen. Aber der Kutscher, der eine Abrechnung befürchtete, versetzte den Pferden einen heftigen Schlag, sie zogen stark an – sodaß Andrij, der glücklicherweise seine Hand zurückgezogen hatte, umgeworfen wurde, und mit dem Gesicht mitten in den Schmutz fiel. Da vernahm er plötzlich ein helles wohlklingendes Lachen über sich. Er sah empor und erblickte am Fenster ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, wie er noch nie ein ähnliches gesehen hatte; ihre Augen waren schwarz, und ihr Antlitz schimmerte so weiß wie Schnee, den die Morgensonne bescheint. Sie lachte aus voller Kehle, und ihr Lachen verlieh ihrer blendenden Schönheit einen geradezu überwältigenden Reiz. Er stand ganz verdutzt da. Traumverloren starrte er sie an und wischte sich zerstreut den Schmutz von seinem Gesicht, jedoch so ungeschickt, daß er sich nur noch mehr entstellte. Wer war dieses schöne Mädchen? Er suchte es von den Bedienten zu erfahren, die reichgeschmückt vor dem Tore standen und einen jungen Bandura1spieler umringten. Die Knechte und Mägde brachen jedoch in ein stürmisches Gelächter aus, als sie sein schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort. Endlich hörte er, daß die Unbekannte die Tochter des für einige Zeit hier weilenden Wojewoden von Kowno sei. In der nächsten Nacht kletterte er mit einer nur den Seminaristen eigenen Frechheit über den Zaun, gelangte so in den Garten und erklomm geschwind einen Baum, dessen Zweige das Dach des Hauses berührten. Von dort schwang er sich auf das Dach und gelangte so durch den Schornstein direkt in das Schlafzimmer der Schönen, die gerade vor einer Kerze saß und ihre kostbaren Ohrringe ablegte. Als die schöne Polin plötzlich einen unbekannten Mann vor sich erblickte, erschrak sie derartig, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte, als sie jedoch bemerkte, daß der Seminarist mit gesenkten Augen vor ihr stand und vor Schüchternheit kaum zu atmen wagte, und als sie denselben Jüngling in ihm erkannte, der vor ihren Augen in den Straßenkot gefallen war, brach sie in ein erneutes übermütiges Lachen aus. Allerdings kam noch dazu, daß Andrij garnicht schrecklich aussah, sondern ein sehr hübscher Junge war. Sie lachte von ganzem Herzen und trieb allerlei Kurzweil mit ihm. Wie alle Polinnen war auch sie sehr launenhaft; aber ihre Augen, ihre wundervollen, durchdringend klaren Augen hatten jenen langen Blick, der Beständigkeit verrät. Der Seminarist rührte keinen Finger, er stand wie gefesselt da, als endlich die Tochter des Wojewoden kühn auf ihn zutrat, ihm ihr strahlendes Diadem auf den Kopf setzte, ihm die Lippen mit ihren Ohrringen behängte und ihn in ein durchsichtiges, golddurchwirktes, mit Festons verziertes Hemdchen aus Nesseltuch hüllte. Sie putzte ihn heraus und trieb tausend Dummheiten mit ihm – keck und kindlich, wie es die Art der leichtsinnigen Polinnen ist, was unsern armen Seminaristen


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<p>1</p>

Eine Art Mandoline.