Die Bekanntschaft auf der Reise. Charlotte von Ahlefeld
sie Justine so sorgsam aufbewahrt, wie ein Heiligthum der Liebe! – Die Thür öffnete sich, und Justine, die ein Geräusch vernommen hatte, kam herein, um nach mir zu sehn. Einige Verlegenheit war sichtbar in ihren Zügen, als sie mich so tief beschäftigt mit ihrem Schattenriß antraf. Doch verlohr sie sich, als ich ihre Hand ergriff, und sie theilnehmend drückte. Diese Blume, sagt' ich zu ihr, ist Ihnen gewiß sehr theuer, da sie noch jetzt Ansprüche auf Ihre Sorgfalt hat, wo der Reichthum ihres Gartens Ihnen Gelegenheit giebt, ihre Stelle schöner zu ersetzen. Schöner wohl, erwiederte sie mit einem angenehmen Lächeln, nur sanft und zart mit stiller Wehmuth vermischt – schöner wohl, aber der ganze blühende Frühling ist meinem Herzen nicht so viel werth, als diese einzige, längst verwelkte Rose, die mich an die glücklichsten Tage meines Lebens erinnert. Kein Thau, kein Regen giebt ihr ihre frische Schönheit wieder – und keine Zukunft mir meine ehemalige Heiterkeit – so kommen mir unsre Schicksale verschwistert vor, und ich liebe sie auch deshalb; – doch ist das meinige bittrer, denn der kurze Lenz ihres Daseyns ging ihr bewußtlos vorüber – aber in meiner Brust kann nur der Tod das Andenken meiner Leiden verlöschen. —
Wenn das innigste Mitgefühl sie lindern kann, Justine! sagt' ich, und wenn Sie die Erinnerung an Ihren Kummer nicht zu traurig macht, o so entdecken Sie mir, welches Mißgeschick Sie so grausam um die Freuden Ihrer Jugend betrog. Sie wissen zwar noch nicht, ob ich Ihr Vertrauen verdiene, aber ich schwöre Ihnen, daß es mir heilig ist.
Meine Geschichte ist kein Geheimniß, antwortete Justine. Die ganze Gegend kennt sie, und – das Publikum, dem ich Jahrelang zum Inhalt seiner Gespräche diente, ist eben so wohl von den kleinsten Umständen unterrichtet, als ich. Als ich jede Möglichkeit verlohr, glücklich zu seyn, da war es mir völlig gleichgültig, was die Welt von mir dachte. Ich beschloß, die Ursach meines Elends tief in meine Brust zu verschließen, damit zu dem Gram über den ich brütete, sich noch der Haß und die Verachtung der Menschen gesellten, und so in nagender Verbindung mit einander mich früher in das Grab führten, wohin ich mich sehnte. Nur als ich einsah, daß meine Rechtfertigung ein kleiner Trost für meine gekränkte, sterbende Mutter war – nur da willigte ich in ihre letzten Bitten, und stellte mein Schicksal meinen Freunden einfach und ungeschmückt im Gewande der Wahrheit dar. Wenn die Erzählung desselben Sie nicht ermüdet, so bin ich herzlich bereit, sie Ihnen zu geben. Zwar ruft sie manche harte Stunde aus dem Dunkel der Vergangenheit, aber sie führt mich auch in die schönsten Zeiten meinen Lebens zurück, und das eine entschädigt mich für das andre.
Einige Meilen von hier liegt Mühlberg – so heißt das kleine Dorf, wo ich gebohren ward. – Ihr Weg hat Sie hindurch geführt – dicht am Kirchhofe geht die Landstraße vorbey. Ein weißer Leichenstein blinkt durch die dunkeln Fliederbäume, die ihn umgeben – er bedeckt das Grab meines Vaters. Neben ihm schlummert auch meine Mutter – sie überlebte ihn nur ein Jahr.
Mein Vater war Schulmeister in Mühlberg. Sein Dienst, verbunden mit einer, für uns nicht unbeträchtlichen Einnahme, die ihm sein eignes Vermögen gewährte, reichte vollkommen hin, uns bei wenig Bedürfnissen und einer eingeschränkten ländlichen Haushaltung frohe Tage zu verschaffen. Auch trug die Güte mit der wir von der Gutsherrschaft, einer biedern adelichen Wittwe, behandelt wurden, viel dazu bei, unser einsames Leben angenehm zu machen. Sie war meine Pathe – täglich mußte ich schon als Kind bei ihr seyn, und sie suchte mit mütterlicher Treue mein Gefühl zu bilden, meinen Verstand aufzuklären, und vor allen Dingen meinem Charakter und meinen Grundsätzen jene Festigkeit zu geben, die uns allein, selbst im bittersten Schmerze, auf der Bahn der Tugend erhält.
Meine Schwester, welche sechs Jahr älter ist als ich, diente ihr als Kammerjungfer. Färber, ein junger Mensch, der die Ökonomie des Guts besorgte, verliebte sich in sie. Ihr Herz war längst sein – sie entdeckten sich der gnädigen Frau, und diese, die so gern gute Menschen glücklich sah, gab ihre Einwilligung zur Heirath und eine ansehnliche Summe, mit welcher mein Schwager ohne Schwierigkeit diese vortheilhafte Pachtung übernahm, und nun ganz in der Lage war, die er sich wünschte, um meine Schwester heirathen zu können.
Ich war damahls sechszehn Jahr. Noch – wie des gestrigen erinnere ich mich des Tags, wo ich mit Thränen von meiner Schwester schied, die ihrer Bestimmung folgte, und fröhlich mit dem Manne ihres Herzens in die Ferne zog. Zwar nur ein Raum von wenig Meilen lag zwischen uns, aber doch war er noch immer zu groß für die Liebe, mit der ich an ihr hing. Du weinst um Philippinen, sagte die gnädige Frau, als sie meinen Schmerz bemerkte. Auch ich empfinde ihren Verlust, doch der Gedanke, daß sie glücklich ist, macht mich wieder heiter, und auch Dich, mein Kind, wird er nach den ersten Tagen ihrer Abwesenheit freundlich über ihre Entfernung trösten. – Trennung ist nun einmahl das Loos des menschlichen Lebens, und wenn uns nur kein Unglück von unsern Lieben scheidet, so läßt sie sich mit leichtem Muthe ertragen. Ich sehe dem Augenblick entgegen, wo auch Du von mir ziehen wirst, und doch – so ungern ich Dich auch entbehren würde, so würde ich doch – und müßte es schon morgen seyn – Dir eben so wenig Hindernisse in den Weg legen, wie Deiner Schwester, denn der Beruf eines Mädchens ist, eine glückliche Gattin, eine gute Mutter zu seyn.
Tief prägten sich diese Worte in meine Seele, und wenn die Zukunft in der schönsten Gestalt vor mir stand, die ihr meine Fantasie zu geben vermochte, so waren immer die Vorstellungen: glückliche Gattin und Mutter, mit in die süßen Bilder verschmolzen, die ich mir von meinen kommenden Tagen entwarf.
Ich zog nun an Philippinens Stelle zu meiner Wohlthäterin, aber leider nur, um ihr durch die zärtlichste Pflege drei traurige Wochen hindurch so viel Dankbarkeit zu bezeugen, als in meinen Kräften stand. Eine schmerzliche Krankheit überfiel die edle Frau, und ihr Leben verlohr sich in eine dumpfe Bewußtlosigkeit, viel zu früh für alle die, die sie umgaben.
Mein Kummer war so groß, wie mein Verlust. Ich kehrte in das Haus meiner Eltern zurück, und obgleich der beständige Umgang mit der gnädigen Frau, und die Sorgfalt, die sie auf meine Erziehung verwandt, mir vielleicht einen höhern Grad von Bildung verliehen hatte, als ich in dem Kreise der Meinigen fand, so wurde es mir doch leicht, die Pflichten meines damaligen Standes zu erfüllen. Die herzliche Güte meiner Eltern, die ich zärtlich liebte, diente mir immer mehr und mehr zur Aufmunterung, ihnen ihr Alter leicht und bequem zu machen. So gingen zwei Jahre ruhig hin – ich lebte still und einsam, und war zufrieden. —
Einst im Sommer, an einem heißen Nachmittage, saß ich unter dem Nußbaum, der meines Vaters Wohnung beschattete, und – sah bei meiner Arbeit allmählig der Zurückkunft meiner Eltern entgegen, die zu einem Hochzeitsschmause gegangen waren. Auf einmahl hörte ich ein Geräusch von Pferden, das mir immer näher kam. Endlich bogen zwei Reiter um den Gartenzaun, um den der Weg sich krümmte, und im mäßigen Trab, doch scharf ihre Blicke auf mich geheftet, ritten sie vor mir vorüber. Der erste trug eine glänzende Uniform von Scharlach, goldene Tressen schmückten seinen Hut, und sein Pferdegeschirr, das prächtig im Sonnenschein funkelte, verrieth – wenn auch nicht einen geschmackvollen, doch einen reichen Mann. Der andre, (hier wurde die Erzählerin roth) der andre schien sein Jäger zu seyn. Einfach war sein grüner Frack, aber er bedeckte die schönste Gestalt, die ich je erblickte. Keine Tressen glänzten auf seinem Hute – nur ein hoher grüner Federbusch warf seinen schwankenden Schatten über das ausdrucksvolle, herrliche Gesicht, und milderte den Glanz der schönen schwarzen Augen, mit denen er fest auf den meinigen ruhte. Ich sah ihnen lange nach – plötzlich wandte der Erste sein Pferd, und spornte es zurück nach mir. Dürft' ich Dich wohl um ein Glas Milch bitten, mein schönes Kind! sagte er mit abgezogenem Hute. Der Tag ist schwül, und Dein freundliches Gesicht läßt mich hoffen, daß Du gastfrey seyst. Der Jäger hielt in einiger Entfernung. Er zog den Hut nicht ab, doch lag in allen seinen Mienen ein gewisses Etwas, das mich grüßte, ein Etwas, das mein Herz mit süßen Ahndungen bewegte, ob ich es gleich nicht zu nennen wußte.
Ich stand bereitwillig auf, die Bitte des Fremden zu erfüllen. In eben dem Moment war er vom Pferde, das er dem Jäger zu halten gab, und nun folgte er mir in's Haus, wo ich ihm nicht ohne einige Verlegenheit die Thür unseres Wohnzimmers öffnete. Rasch flog ich nun die Treppe in den Keller hinunter, und als ich mit der Milch wieder herauf stieg, begegnete mir fest und liebend Lorenzens Blick, (so hieß der Jäger,) der sich, den Zügel des Pferdes in der Hand, an der offenen Hausthüre lehnte.
Ach, fuhr Justine mit gerührter Stimme fort, lange Jahre, Jahre voll herzzerreissenden Kummers liegen zwischen