Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer. Andree Richard
Abessinien die angenehmste, die man sich denken kann, da in der Regel alle acht Tage ein leichter Regenschauer fällt und die Wärme der sonst heiteren Luft wegen der relativen Höhe des Landes nichts weniger als drückend ist. Welchen Gegensatz bietet dieses Klima zu demjenigen des größeren Theils von Afrika, das so viele Opfer fordert!
In dem uns zu Gebote stehenden Manuskripte Zander’s finden sich über den Wechsel der Temperatur in Abessinien von den höchsten Berggipfeln bis zu den tiefsten Thälern des Landes herab, also zwischen 14,000 und 3000 Fuß, folgende mittlere Werthe in Graden nach Réaumur angeführt. Zwischen 14,000 und 13,000 Fuß: früh und Abends im Sommer + 1 bis 3°; in den Wintermonaten zu derselben Zeit − 3 bis − 6°; des Mittags + 3 bis 4°.
Zwischen 13,000 und 12,000 Fuß: früh und Nachts 0° in den Wintermonaten; im November, Dezember, Januar, Februar − 1 bis 3°; Mittags + 5 bis 7°.
Zwischen 12,000 und 10,000 Fuß: Morgens und Nachts + 5 bis 7°; Mittags 10 bis 12°.
Zwischen 10,000 und 8000 Fuß: Morgens und Abends + 7 bis 9°; Mittags 12 bis 15°.
Zwischen 8000 und 6000 Fuß: früh und Abends + 14 bis 18°; Mittags 20 bis 23°.
Zwischen 5000 und 3000 Fuß: früh und Abends + 24 bis 28°; Mittags 30 bis 32°.
Nach v. Heuglin unterscheidet der Abessinier in seinem in klimatischer Beziehung so viele Abwechselung darbietenden Vaterlande zwei Hauptregionen oder Vegetationsgürtel, die Kola oder Kwola und die Deka, nebst einem vermittelnden Gliede für beide, Woina-Deka genannt. Hiernach läßt sich, wenn auch begreiflicherweise diese Regionen ineinander übergehen, die Flora des Landes in drei Abtheilungen zerlegen.
Die Kola. Kola heißt das Tiefland unter 5500 Fuß. Seine Vegetation zeichnet sich nach dem genannten Forscher dadurch aus, daß sie im Allgemeinen zur heißen Jahreszeit abfallendes Laub hat. Zu dieser Region gehören die Provinzen Wochni, Saragao, Ermetschoho, Walkait, Kola-Wogara, das Takazzié-, Mareb-, Hawasch-, Dschida- und Beschlothal. „Im September und Oktober herrschen in diesen Flußthälern äußerst gefährliche, meist todbringende Fieber. Zu dieser Zeit sind die Lüfte verpestet, theils durch die äußerst üppige Vegetation, welche dann abstirbt und abfault, theils durch die stagnirenden Gewässer, die nach der Regenzeit in Lachen und unzähligen Vertiefungen ohne Abfluß verdunsten müssen und in denen sich oft ungeheure Massen von zusammengeflutetem Laub, Gras und Reisig in hohen Schichten finden. Viele hundert Abessinier erliegen jährlich dieser Krankheit, die auch zugleich ansteckend ist, und oft ereignet es sich, daß der Getreidewächter, welcher dort unten krank wurde, sich in sein hoch und gesund gelegenes Heimatsdorf zurückbegiebt, wo er das Fieber den Bewohnern mittheilt, das sich nun von da über die nächsten Ortschaften weiter verbreitet. So kommt es denn manchmal vor, daß ganze Dörfer rein aussterben. Die beste Zeit in diesen tiefen Ländern fällt in die Monate Dezember, Januar, Februar; aber auch dann ist es dort nicht immer geheuer.“ (Zander’s Manuskript.)
Gern meidet der Europäer diese fieberschwangern Thäler und Niederungen, oder er eilt, wenn er sie auf seiner Reise unumgänglich berühren muß, wie z. B. das Takazziéthal, schnell hindurch, und nur wenige Forscher sind in die Kola eingedrungen, um dort längere Zeit zu weilen; so Munzinger in jene am Mareb, Rüppell in die von Eremetschoho. Letzterer brach von Gondar aus am 27. Dezember 1832 nach Norden hin auf und gelangte in einer Höhe von 8200 Fuß auf die Wasserscheide, welche die nach dem Tanasee und nach dem Atbara fließenden Gewässer trennt. Hier breitete sich vor seinen Blicken nach Nord und Nordost zu ein weites Amphitheater aus, gebildet durch wild zerrissene Berge, isolirte vulkanische Kegel und schroff aufgethürmte pyramidalische Felsmassen. Die ganze nach Norden zu gelegene Gegend erniedrigt sich allmälig und wird von mehreren beträchtlichen Gewässern durchflossen, welche sich insgesammt in einen Hauptstrom, den Angrab, vereinigen, welcher die Gefilde der Provinz Walkait durchschlängelt und sich in den Salam (Nebenfluß des Atbara) ergießt. In der Thalniederung angelangt, marschirte er über eine wellenförmige, mit schönen Baumgruppen bestandene Ebene, oft überragt von zehn Fuß hohem, schilfartigem Rohr. Hier war der Tummelplatz der wilden Thiere. Zahlreiche Herden furchtbarer Büffel, kleine Familien von Elephanten, einige menschenscheue Rhinozeros, blutdürstige Löwen und Leoparden, verschiedene Affen und Antilopen tummeln sich hier auf den großen gemeinschaftlichen Weideplätzen herum. Fast alle zehn Schritt finden sich die vertrockneten Spuren von Elephantenfußtritten, aber diese weite Thalniederung wird wegen ihrer verderblichen Luft von den Menschen gänzlich gemieden. Wenn während der Regenzeit bei abwechselnd heiterm Himmel in diesem Bereich einer üppig vegetirenden Pflanzenwelt die Feuchtigkeit von der Sonne etwas verdunstet wird, so verhindert das Rohrdickicht und die ganze Form der Gegend den Luftzug und somit die Zertheilung der Dünste, und schon derjenige, welcher nur durch die Landschaft flüchtigen Fußes dahineilt, wird vom bösartigen Fieber ergriffen. Eine Nacht daselbst zuzubringen, dazu ist in keiner Jahreszeit Jemand von den Anwohnern zu vermögen. Die in Rede stehende Kola schätzt Rüppell auf 4700 Fuß Höhe über dem Meeresspiegel.
Betrachten wir nun die einzelnen Repräsentanten der Pflanzenwelt in diesen Niederungen und den sich ihnen anschließenden bergigen Gegenden bis zur Höhe von 5500 Fuß. Aus dem heißen ungesunden Tieflande aufwärts steigend, gewahren wir große gewaltige Bäume nur in den Tiefen des Thales. Die Wände sind zwar üppig begrünt, doch nur von kleinen Bäumen bestanden; namentlich wuchert die Akazie empor und nur an den günstigsten Stellen treten andere Bäume zwischen sie hinein; im Thalgrunde dagegen erheben sich die Tamarinden mit ihren blaugrünlich schimmernden Kronen; die Kigelien mit dem herrlichen Laubgewölbe, aus welchem die großen, wurstförmigen, an langen, elastischen Stielen hängenden Früchte hervorschauen; der Baobab (Adansonia digitata), die Mimosen, welche hier zu hohen schönen Bäumen geworden sind, und viele andere herrliche Gewächse. Blumen aller Art, Gräser, Cacteen und Euphorbien, schmarotzende Loranthusarten und Parasiten ohne Zahl bemächtigen sich des von den Bäumen selbst nicht in Besitz genommenen Erdreichs und verleihen den Wänden auf große Strecken hin schmückende Farben. Je höher man im Thale aufwärts steigt, um so kräftiger und reicher erscheint die Pflanzenwelt. Von etwa 4000 Fuß über dem Meere an tritt die Sykomore, bald darauf der Oelbaum und mit ihm die prächtige Kronleuchter-Euphorbie auf. Gleich diesen tragen die Oelbäume wesentlich dazu bei, diesem Gürtel einen gewissen Charakter zu verleihen; doch kommen letztere an und für sich langweilige Pflanzen nie so zur Herrschaft, daß ihr Anblick unangenehm werden könnte. Ihr ungewisses Graugrün sticht prächtig ab von den auf große Strecken hin durch die blühende Aloë rothgelb erscheinenden Felspartien, von den Blättern und Blüten mancher Schlingpflanzen oder dem dunklen Laube anderer Bäume. Mit dem Wachholder und der Eibe bildet der Woira oder Oelbaum zwischen 5000 und 5500 Fuß den vorzüglichsten Waldbaum Abessiniens; ein ganz anderer Gesell, als sein kleiner südeuropäischer Verwandter, erreicht er eine durchschnittliche Höhe von sechzig bis achtzig Fuß und einen Durchmesser von vier Fuß. Die erbsengroßen fleischlosen Früchte werden nicht benutzt, dagegen liefert der Stamm ausgezeichnetes Zimmer- und Brennholz. Die Tamarinde (T. indica) erreicht eine majestätische Größe, wird aber von den Eingeborenen wenig beachtet; verschiedene Senna-Arten kommen vor. In den wüsten, sandigen und vulkanischen Grenzdistrikten werden die Akazien (A. eburnea, planifrons u. s. w.) und andere Kameeldornbäume von großer Wichtigkeit, da in ihrem Schatten sich Menschen und Vieh sammeln können. Einige liefern Gummi arabicum und die dornigen Zweige dienen den Kameelen als Futter.
Eine sehr eigenthümliche Erscheinung in der Kolaregion ist die papierrindige Boswellia (B. papyrifera). Sie ist ein stattlicher Baum mit großen ahornartigen Blättern und kleinen rothen Blütenbüscheln. Unmittelbar nach der Regenzeit zeigt der Stamm eine blaßgrüne glatte Rinde, die in der Trockenheit bald springt und sich in großen papierdünnen Blättern ablöst. Wo ein Einschnitt gemacht wird, entquillt in reichlicher Menge ein klebriger Milchsaft, der bald an der Luft erhärtet und klare Bernsteinfarbe annimmt.
Neben den genannten Pflanzen sind noch die Gattungen Zizyphus, Balanites, Dahlbergia, Sterculia, Salvadora, das stachelige Pterolobium und die langfrüchtige Baum-Cassia in der Kola vorzugsweise vertreten. Der graublätterige Uscher (Calotropis procera) überrascht durch seine ballonartigen, mit atlasglänzender Wolle gefüllten Früchte.
Mehrere Euphorbia-Arten kommen in außerordentlicher Größe vor. Unter denselben zeichnet sich als Charakterpflanze die schöne, armleuchterartige,