Die Liebesbriefe der Marquise. Braun Lily

Die Liebesbriefe der Marquise - Braun Lily


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daß schwangere Frauen gerade ihren Lieblingsspeisen gegenüber einen unüberwindlichen Ekel empfinden.

      Ich schreibe Ihnen das Alles, weil ich wünsche, daß nunmehr von der ganzen Sache zwischen uns keine Rede mehr ist.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an DelphineMontbéliard, am 10. Mai 1774.

      Angebetete Delphine! Je länger Ihre Antwort ausblieb, desto fieberhafter arbeitete meine Phantasie; Himmel und Hölle sah ich vor mir, und glaubte, alles ertragen zu können. Und doch würde mich die Wirklichkeit vernichtet haben, wenn ich nicht zwischen den Zeilen Ihres Briefes das Klopfen Ihres Herzens gespürt, die Tränen in Ihren Augen gesehen hätte.

      Sie lehnen meinen Besuch ab; Sie fürchten sich vor ihm; Sie wünschen, daß ich Delphine Laval nicht vergesse, und darum Delphine Montjoie nicht wiedersehe. Sie lassen mir nur die leise Hoffnung auf eine Zeit, wo irgend eine große Wendung des Schicksals die Jugendfreundin aus dem Starrkrampf erweckt. Sie sind unglücklich, Delphine, unglücklich wie ich, und Sie gestatten mir nicht, Ihnen zu helfen! Ich beneide den Grafen Chevreuse, ja ich will mich sogar bemühen, seine leichtfertigen Reden zu vergessen, weil er imstande gewesen ist, Ihnen Stunden des Frohsinns zu schaffen.

      Es gab seit dem Empfang Ihres Briefes Augenblicke, in denen der Wunsch, Ihnen helfen zu können, jedes eigennützige Gefühl erstickte. Ein solcher war es, als ich meine Mutter bat, Sie zu sich zu laden; ich hätte, Ihrem Wunsch unter allen Umständen gehorchend, Etupes helles Schlößchen ebenso wenig betreten, wie Ihre dunkle Burg.

      Noch Vieles möchte ich Ihnen sagen, denn mein Herz ist übervoll, aber ich würde kein Ende finden, wie der Strom um so weniger versiegt, je tiefer er aus dem Innern der Erde kommt.

Johann von Altenau an DelphineParis, im September 1774.

      Verehrte Frau Marquise! Die Hoffnung auf Nachricht von Ihnen, hatte ich schon aufgegeben, und ich respektierte Ihre Zurückhaltung, die bei vielen Menschen, wie bei zu Tode getroffenen Tieren, die Folge der tiefsten Schmerzen ist.

      Und nun lese ich Ihren Brief wieder und wieder, und versuche mir aus seinen leisen Untertönen, aus den Erzählungen des Herrn Gaillard und aus den Buchstaben Ihrer Schrift, die früher wie lauter kleine Kobolde lustig durcheinander tanzten, und jetzt brav und ernsthaft in gleichmäßiger Reihe vor mir stehen wie ängstliche Kinder vor dem strengen Schulmeister, ein Bild der Frau zu machen, an die ich schreibe.

      »Ich bin schon viele Wochen krank«, sagen Sie, »und liege in einem schrecklich großen Bett, das nie ganz warm wird, mitten in einem hohen, dunklen Zimmer, wie eine Tote in der Kirche. Daß es draußen Sommer ist, merke ich nicht. Ich glaube, man hat in diesem Schloß die Fenster absichtlich so gebaut, daß nur die Wintersonne hineinkann.« Und dann erzählen Sie von den Sälen, die immer leer aussehen, auch wenn man noch so viel Möbel, hineinstellt, und von dem Leben, das eben so ist, weil man es auch nur mit totem altem Kram erfüllt; – ist das die kleine Delphine, die ich kannte, oder die Marquise, die ich zu begegnen erwartete?!

      Ich soll Ihnen »Lebendiges« bringen, »damit wenigstens ein Echo von all dem Lärm und Lachen bei mir wiederklingt«. Ich werde Sie enttäuschen, Frau Marquise, denn das Paris, das ich kenne, lärmt zwar, aber es lacht nicht. Zu der Stunde, wo die großen Kurtisanen, die Duthé, die Cléophile auf der Promenade von Longchamps ihre sechsspännigen Karossen von Sèvres-Porzellan, ihre Quesacos von Damast, ihre hochgetürmten Locken, und ihr verführerisches Lächeln zur Schau stellen, begafft vom Pöbel, gefolgt von der Jeunesse dorée, versammelt sich eine täglich wachsende Zahl von Männern in den Kaffeehäusern des Palais-Royal, um die neuesten Zeitungsberichte, die neuesten Flugschriften zu lesen, den neuesten politischen oder gesellschaftlichen Skandal zu besprechen, philosophische und literarische Fragen zu diskutieren. Für viele treten diese öffentlichen Zusammenkunftsorte allmählich an Stelle der berühmten Salons, nicht nur, weil diese sich mehr und mehr auf ihre gewohnten Kreise beschränken und die alten Celebritäten den jungen Unbekannten vorziehen, sondern weil man in der Ungezwungenheit der Kleidung und der Konversation einen Reiz entdeckte, der den Salons fehlt. Bei vielen der seßhaftesten Kaffeehausbesucher ist noch ein anderer Umstand für ihre Flucht aus den Salons ausschlaggebend gewesen: ihre Einsicht in die traurige Wirkung, den der Einfluß, den man den Frauen in diesem Jahrhundert in wachsendem Maße einräumte, auf Frankreichs innere und äußere Lage ausgeübt hat.

      Von einer männlichen Kultur erwarten viele die Rettung vor dem Abgrund, dem wir zusteuern. Amüsant ist dabei, daß man sich um so mehr mit der Frau beschäftigt, je mehr man sich von ihr emanzipiert; statt der Liebeslieder an sie, schreibt man gelehrte Abhandlungen über sie, in denen ihre Kräfte und Fähigkeiten eingehender Prüfung unterzogen werden. Herr Thomas von der französischen Akademie veröffentlichte zuerst einen Essay über den Charakter, die Sitten und den Geist der Frauen.

      Mir fiel bei der Lektüre folgende Anekdote ein: Sophie Arnaud, die wegen ihrer Bonmots berühmter ist als wegen ihres asthmatischen Gesangs, bat einmal Herrn Thomas, der damals Administrator eines Pariser Departements war, um den Umbau des Schornsteins an ihrem Hause. »Ich habe mit dem Minister,« so gab er ihr schließlich Bescheid, »Ihre Angelegenheit als Bürger und als Philosoph besprochen.« »Aber mein Herr,» unterbrach sie ihn, »was nützt mich das! Als Schornsteinfeger hätten Sie davon sprechen müssen!» Ich fürchte, es ging ihm mit den Frauen wie mit den Kaminen: nicht als Bürger und Philosoph hätte er von ihnen sprechen dürfen, sondern als empfindsamer Mensch –, kurz so wie es Denis Diderot in seiner Besprechung der Schrift des Akademikers getan hat. Ich kann mir nicht versagen, Ihnen einige seiner Sätze, auch wenn ich sie aus dem Zusammenhange reißen muß, wiederzugeben. Er erzählt: »Ich sah eine anständige Frau bei der Annäherung ihres Gatten vor Entsetzen zittern; ich sah, wie sie im Bade untertauchte und doch glaubte, sich von der Erfüllung ihrer ehelichen Pflicht nie reinigen zu können. Solch ein Gefühl körperlicher Scham ist uns so gut wie unbekannt. Das höchste Glück flieht die Frauen nur zu oft sogar im Arm des Mannes, den sie lieben; während wir es an der Seite eines gefälligen Weibes finden können, das uns gleichgültig ist…« Und an andrer Stelle, wo er die Gesetze und Gebräuche schildert, die den Frauen auferlegt wurden, heißt es: »In allen Ländern hat sich die Grausamkeit der bürgerlichen Gesetzgebung mit der Grausamkeit der Natur gegen die Frauen verbunden. Wie Kinder und Blödsinnige werden sie behandelt. Es gibt, selbst bei kultivierten Völkern, keine Art von Quälerei, die sich der Mann nicht gegenüber der Frau erlauben dürfte. Wagt sie, sich zu empören, so wird ihre Handlungsweise durch allgemeine Mißachtung gestraft.«

      Selbst der Patriarch von Ferney, der es nicht verträgt, daß die Öffentlichkeit sich auch nur vier Wochen lang nicht mit ihm beschäftigt, hat sich in die Diskussionen über das Thema »Frau« eingemischt, wenigstens nimmt man an, daß ein kürzlich erschienenes geistvolles Pamphlet seiner Feder entstammt. Es fordert nichts weniger als die größtmögliche Erleichterung der Ehescheidung, die eine Sache des Staats im Interesse des Familienglücks und nicht eine Sache der Kirche sei.

      »Daß der Mann sich durch Maitressen, die Frau durch Liebhaber schadlos zu halten suchen«, schreibt er, »ist jedenfalls keine Lösung des Problems.«

      Der Verfasser einer anderen anonymen Broschüre verlangt gar als Heilmittel der totkranken Ehe, die Abschaffung der Mitgift. Danach wäre jedoch, wie mir scheint, die Korruption nur halb beseitigt: die Männer zwar würden nur aus Liebe wählen, die dann völlig besitzlosen Frauen dagegen noch mehr als bisher aus Berechnung.

      Ich habe all diese kuriosen Dinge vor Ihnen ausgebreitet, weil ich glaube, daß sie mindestens Ihre Neugier, vielleicht auch nur Ihr Lächeln hervorrufen werden. Und das wäre schon ein Fortschritt! Dabei verlor ich den Faden meines Briefes, und kann mich über meine Stilverletzung nur durch die Zuversicht trösten, daß meine Korrespondenz niemals die Bekanntschaft eines Setzers machen wird. Ich knüpfe also wieder am Anfang an, um Ihnen zunächst einmal den Rahmen des Bildes zu geben, daß ich Ihnen später, wenn Sie mich nicht etwa schweigen heißen, im einzelnen schildern werde.

      Wir befanden uns zuletzt im Kaffeehaus. Ist das Wetter schön, so ergeht sich die Menge in den späten Nachmittagsstunden in den Alleen davor. Hier zeigen sich dann auch Frauen in hübschen Polonaisen, mit Riesenmuffs oder langen Spazierstöcken. Ihre Zahl nimmt Jahr um Jahr zu; es ist Mode geworden, sich in freier Luft zu ergehen, und die Ärzte unterstützen sie nach Kräften.


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