Ferdinand Lassalle. Bernstein Eduard
Fuße stand und soeben eine Broschüre veröffentlicht hatte, deren Inhalt mit Aspirationen übereinstimmte, die in Regierungskreisen gehegt wurden, so wohnt ihnen doch eine große subjektive Wahrheit inne – Lassalle selbst glaubte an sie. Lassalle glaubte an die Partei, die in ihm ihr Haupt erblickte, wenn sie auch vorläufig bloß aus ihm bestand und selbst in seinen Ideen noch ein sehr unbestimmtes Dasein führte. Die Partei, das war er – seine Bestrebungen und seine Pläne. Jedes Wort der Anerkennung von seiten seiner Freunde oder aber, was er dafür hielt, war für ihn Bestätigung seiner Mission, und nicht selten nahm er Schmeichelei für aufrichtige Huldigung. Es ist merkwürdig, welcher Widersprüche die menschliche Natur fähig ist. Lassalle war, wie aus den Berichten seiner näheren Bekannten und aus seinen Briefen hervorgeht, mit schmeichelhaften Adjektiven äußerst freigebig, aber sie waren allenfalls Flitterwerk, wenn er sie verschleuderte, von anderen auf ihn selbst angewendet, nahm er sie dagegen leicht für echtes Gold.
So sehr war seine Partei in seiner Vorstellung mit ihm selbst verwachsen, daß, als er später wirklich an der Spitze einer Partei stand, oder wenigstens an der Spitze einer im Entstehen begriffenen Partei, er sie nur aus dem Gesichtswinkel seiner Person zu betrachten vermochte und danach behandelte. Man mißverstehe uns nicht. Es wäre absurd, etwa zu sagen, daß Lassalle den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein nur ins Leben rief, um seinem Ehrgeiz zu frönen, daß der Sozialismus ihm nur Mittel, aber nicht Zweck war. Lassalle war überzeugter Sozialist, das unterliegt gar keinem Zweifel. Aber er wäre nicht imstande gewesen, in die sozialistische Bewegung aufzugehen, ihr seine Persönlichkeit – ich sage ausdrücklich nicht sein Leben, aufzuopfern.
Soviel an dieser Stelle hierüber.
Dem griechischen Philosophen folgte ein deutscher Ritter. Kurz nachdem der Heraklit erschienen, vollendete Lassalle ein bereits in Düsseldorf entworfenes historisches Drama und ließ es, nachdem eine anonym eingereichte Bühnenbearbeitung von der Intendantur der Kgl. Schauspiele abgelehnt worden war, 1859 unter seinem Namen im Druck erscheinen.
Daß der „Franz von Sickingen” als Bühnenwerk verfehlt war, hat Lassalle später selbst eingesehen, und er hat als Hauptursache dafür den Mangel an dichterischer Phantasie bezeichnet. In der Tat macht das Drama, trotz einzelner höchst wirkungsvoller Szenen und der gedankenreichen Sprache, im ganzen einen trockenen Eindruck, die Tendenz tritt zu absichtlich auf, es ist zuviel Reflexion da, und es werden vor allem viel zuviel Reden gehalten. Auch ist die Metrik oft von einer erstaunlichen Unbeholfenheit. Brandes erzählt, daß ein Freund Lassalles, den dieser, während er am „Franz von Sickingen” arbeitete, um seinen Rat ersuchte, und der ein bewährter metrischer Künstler gewesen, Lassalle den Vorschlag gemacht habe, er solle das Stück lieber in Prosa schreiben, und man kann Brandes beistimmen, daß ein besserer Rat gar nicht gegeben werden konnte. Denn die Lassallesche Prosa hat wirklich eine Reihe großer Vorzüge, und selbst die stark entwickelte Tendenz, ins Deklamatorische zu verfallen, hätte in einem Drama wie der Sickingen nichts verschlagen. Aber Lassalle ließ sich nicht von seiner Idee abbringen, daß die Versform für das Drama unentbehrlich sei, und so stolpern nicht nur seine Ritter und Helden auf oft recht geschraubten fünffüßigen Jamben einher, selbst die aufständischen Bauern bedienen sich der Stelzen des Blankverses. Eine Ausnahme machen sie nur bei den bekannten Losungsworten:
„Loset, sagt an: Was ist das für ein Wesen?”
„Wir können vor Pfaffen und Adel nicht genesen,”
die denn auch wahrhaft erfrischend wirken.
Indes diese technischen Fragen treten für uns zurück vor der Frage nach Inhalt und Tendenz des Dramas. Lassalle wollte mit dem „Franz von Sickingen” über das historische Drama, wie es Schiller und Goethe geschaffen, einen weiteren Schritt hinaus machen. Die historischen Kämpfe sollten nicht, wie namentlich bei Schiller, nur erst den Boden liefern, auf welchem sich der tragische Konflikt bewegt, während die eigentliche dramatische Handlung sich um rein individuelle Interessen und Geschicke dreht, vielmehr sollten die kulturhistorischen Prozesse der Zeiten und Völker zum eigentlichen Subjekt der Tragödie werden, so daß sich diese nicht mehr um die Individuen als solche dreht, die vielmehr nur die Träger und Verkörperungen der kämpfenden Gegensätze sind, sondern um jene größten und gewaltigsten Geschicke der Nationen selbst – „Schicksale, welche über das Wohl und Wehe des gesamten allgemeinen Geistes entscheiden und von den dramatischen Personen mit der verzehrenden Leidenschaft, welche historische Zwecke erzeugen, zu ihrer eigenen Lebensfrage gemacht werden. „Bei alledem sei es möglich,” meint Lassalle, „den Individuen aus der Bestimmtheit der Gedanken und Zwecke heraus, denen sie sich zuteilen, eine durchaus markige und feste, selbst derbe und realistische Individualität zu geben.” (Vgl. das Vorwort zum Franz von Sickingen.) Ob und inwieweit Lassalle die so gestellte Aufgabe gelöst hat und inwieweit sie überhaupt lösbar ist, unter welchen Voraussetzungen sich die großen Kämpfe der Menschheit und der Völker so in Individuen verkörpern lassen, daß nicht das eine oder das andere, die Größe und umfassende Bedeutung jener Kämpfe oder die lebendige Persönlichkeit der Individuen dabei zu kurz kommt, ist ebenfalls eine Frage, die wir hier unerörtert lassen können. Es genügt, daß Lassalle bei der Durchführung des Dramas von jener Auffassung ausgegangen ist. Und nun zum Stoff des Dramas selbst.
Wie schon der Titel anzeigt, hat es das Unternehmen Franz von Sickingens gegen die deutschen Fürsten zum Mittelpunkt. Sickingen und sein Freund und Ratgeber Ulrich von Hutten sind die Helden des Dramas, und es ist eigentlich schwer zu sagen, wer von beiden das Interesse mehr in Anspruch nimmt, der militärische und staatsmännische oder der theoretische Repräsentant des niederen deutschen Adels. Merkwürdigerweise hat Lassalle nicht in dem ersteren, sondern in dem letzteren sich selbst zu zeichnen versucht. „Lesen Sie mein Trauerspiel,” schreibt er an Sophie von Sontzew. „Alles, was ich Ihnen hier sagen könnte, habe ich Hutten aussprechen lassen. Auch er hatte alle Verleumdungen, alle Arten von Haß, jede Feindseligkeit zu ertragen. Ich habe aus ihm den Spiegel meiner Seele gemacht, und ich konnte dies, da sein Schicksal und das meinige einander vollständig gleich und von überraschender Ähnlichkeit sind.” Es würde selbst Lassalle schwer geworden sein, diese überraschende Ähnlichkeit zu beweisen, namentlich um die Zeit, wo er diesen Brief schrieb. Er führte in Berlin ein luxuriöses Leben, verkehrte mit Angehörigen aller Kreise der besser situierten Gesellschaft und erfreute sich als Politiker nicht entfernt eines ähnlichen Hasses wie der fränkische Ritter, der Urheber der leidenschaftlichen Streitschriften wider die römische Pfaffenherrschaft. Nur in einigen Äußerlichkeiten lassen sich Analogien zwischen Lassalle und Hutten ziehen, aber in diesem Falle kann es weniger darauf ankommen, was tatsächlich war, sondern was Lassalle glaubte und wovon er sich bei seinem Werke geistig leiten ließ. Menschen mit so ausgeprägtem Selbstgefühl sind in der Regel leicht Täuschungen über sich selbst ausgesetzt. Genug, wir haben in dem Hutten des Dramas Lassalle vor uns, wie er um jene Zeit dachte, und die Reden, die er Hutten in den Mund legt, erhalten dadurch für das Verständnis des Lassalleschen Ideenkreises eine besondere Bedeutung.
Hierher gehört namentlich die Antwort Huttens auf die Bedenken des Ökolampadius gegen den geplanten Aufstand:
„Ehrwürd'ger Herr! Schlecht kennt Ihr die Geschichte.
Ihr habt ganz recht, es ist Vernunft ihr Inhalt,”
ein echt Hegelscher Satz,
„Doch ihre Form bleibt ewig – die Gewalt!”
Und dann, als Ökolampadius von der „Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert” gesprochen:
„Ehrwürd'ger Herr! Denkt besser von dem Schwert!
Ein Schwert, geschwungen für die Freiheit, ist
Das fleischgewordne Wort, von dem Ihr predigt,
Der Gott, der in der Wirklichkeit geboren.
Das Christentum, es ward durchs Schwert verbreitet,
Durchs Schwert hat Deutschland jener Karl getauft,
Den wir noch heut den Großen staunend nennen.
Es ward durchs Schwert das Heidentum gestürzt,
Durchs Schwert befreit des Welterlösers Grab!
Durchs Schwert aus Rom Tarquinius vertrieben,
Durchs