Reise in Südamerika. Zweiter Band.. Freiherr von Ernst Bibra

Reise in Südamerika. Zweiter Band. - Freiherr von Ernst Bibra


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der Pferde Steine und Geröll ab, und stürzen neben uns in die Tiefe. Aber all' das schadet nicht, man reitet vorwärts und macht aus der Noth eine Tugend, denn Umwenden geht aus moralischen und physischen Gründen nicht mehr an.

      Weniger gefährlich indessen als es aussieht sind diese Bergpfade wegen der Güte und Sicherheit der chilenischen Pferde, aber sie werden bedenklich in hohem Grade bei Begegnungen. Da nur in seltenen Fällen ein Reisender jene Vorberge der Cordillera besucht, so sind die Wege derselben meist nur von holztragenden Maulthieren und ihren Führern betreten, diese aber halten bestimmte Tageszeiten zum Hin- und Zurückgehen ein, weil für alle blos Santjago das Ziel der Reise ist. Gegenseitiges sich Entgegenkommen ist also bei diesen ein seltener Fall. Ein anderes war es mit uns, die wir gerade entgegengesetzte Richtung mit den zur Stadt ziehenden Holzverkäufern hatten, und mir wäre fast ein Unfall begegnet der üble Folgen hätte haben können.

      Schon einige Mal waren wir solchen holztragenden Maulthieren begegnet, aber stets an breiteren Stellen, wo man ausweichen konnte4. Jetzt aber ritten wir einen der schmalsten Pfade, der noch dazu sich öfters um den Fels bog, und ich war eben der letzte im Zuge, als der vor mir reitende Knecht mir zurief, rascher zu reiten. Ich gab dem Pferde die Sporen, aber schon stand ein Maulthier vor mir mit den Holzbündeln, die auf beiden Seiten des Rückens befestigt, seine Last bilden. Einige hundert Schritte rückwärts war eine breitere Stelle des Weges, auch vorn, durch die Felsenecke verborgen, mußte eine solche sein, da die Vorausreitenden den Lastthieren ausweichen konnten, aber zwischen diesen und mir stand das Maulthier und der Kopf des zweiten war bereits sichtbar. Umwenden schien mir unmöglich. Links eine steile Felsenwand, rechts ein jäher Abhang, auf dem kaum Fuß zu fassen. Mein erster Gedanke war das Maulthier vor den Kopf zu schießen, aber dann, welcher Scandal mit den nachfolgenden Treibern, und ferner wäre mir das vorwärts stürzende Thier eben so gefährlich als vorher gewesen. So blieb ich unentschlossen einige Augenblicke haltend, ausweichend so weit als möglich auf der Seite des Abhangs. Das Maulthier aber rannte vorwärts und stieß mich mit der Holzlast dergestalt an die Kniescheibe, daß ich fast sammt dem Pferde in den Abgrund geworfen worden wäre. Meine alten deutschen Jagdstiefel von starkem Rindsleder und handbreit über die Knie reichend, schützten mich in so ferne, daß ich nicht argen Schaden litt, doch hatte ich durch das verwünschte Holz eine ziemliche Contusion erhalten. Ich begriff jetzt, daß ich auf irgend eine Weise ausweichen mußte, denn schon stand das zweite Maulthier vor mir. So sprang ich denn auf der rechten Seite des Pferdes herab und suchte mich auf dem steilen Abhange festzuhalten, so gut es eben ging, und das zwar zuerst am Zügel meines Pferdes, den ich in den Händen behalten hatte. Das Maulthier aber rannte mit seinen Holzbündeln so heftig wider dasselbe, daß die zwei obersten Decken in Stücke zerrissen, der Gurt gesprengt wurde und das Pferd das Gleichgewicht verlor. Aber es stürzte nicht, sondern bäumte sich hoch auf, drehte sich auf den Hinterfüßen, fußte wieder auf dem Pfade und lief rückwärts hinter den Maulthieren her, bis an die vorher erwähnte, bereits passirte breitere Stelle des Weges, wo es, den Lastthieren ausweichend, stehen blieb. Der Zügel, an dem ich mich festgehalten hatte, war ein nach europäischer Art gefertigter, und bereits alt, er riß, und dieß war ein Glück, denn bei dem abhängigen und lockeren Standpunkte, den das Pferd hatte, wäre es ohne Zweifel durch mein Gewicht hinabgezogen worden, und auf mich gefallen. Aber das mir gehörige Zaumwerk nach der schweren und haltbaren Weise des Landes gefertigt, war dem Pferde am Kopfe etwas zu enge, und deßhalb entlehnte ich von Segeth ein anderes, dessen Zerreißen hier zu meinem Vortheile stattfand.

      Ich selbst kugelte hierauf, ohne mich irgendwie halten zu können, fünf und zwanzig oder dreißig Schritte abwärts, faßte aber dort einen Strauch und kletterte oder kroch vielmehr dann wieder den Abhang hinan. Zehn Schritte unterhalb des rettenden Strauchs fiel die Felswand senkrecht ab. – Dort, d. h. etwa 800 Fuß tiefer, fließt der liebenswürdige Mapocho zwischen zierlich zugespitzten Felsen, und hie und da zerstreut zwischen ihnen bleichen fragmentarisch die Gebeine von Menschen und Thieren, die oben ebenfalls das Gleichgewicht verloren und zufällig nicht an einem Strauche hängen geblieben sind.

      Einer der Knechte warf mir seinen Lasso zu, mit dessen Hülfe erreichte ich die Höhe und dort war meine erste Beschäftigung, eine Unzahl von Stacheln aus den Händen zu ziehen, Ueberbleibsel des rettenden Strauches. Dann wurde Sattel und Zeug wieder in Ordnung gebracht und weiter geritten.

      Bald nachdem wir jene Stelle verlassen hatten, begann der Weg sich in etwas zu verändern.

      Statt daß früher auf der einen Seite Felswand, auf der andern Abgrund war, mußten wir jetzt über einen drei Fuß breiten Felskamm reiten, dessen beide Seiten senkrecht abfielen. Natürliche Stufen von ebenfalls drei Fuß Höhe bildeten die Straße und so mußten die Pferde sprungweise anklimmen. Ich war thöricht genug, mich über die unschuldige Klippe zu ärgern und mein Pferd erhielt wohl manchen nicht nöthigen Spornstich, indem ich auf den Unsinn schalt, über Mauern zu reiten, anstatt außen herum. Ich weiß indessen nicht, ob dies überhaupt angegangen wäre.

      Oben angelangt, wo die Felswand ein kleines Plateau bildete, legte sich plötzlich unser lasttragendes Maulthier ganz ruhig auf den Boden, und war auf keine Weise zu bewegen, wieder aufzustehen. Das Thier hatte die Augen geschlossen und sein Kopf hing, sammt dem einen Packe der Last, die es trug, über dem Abgrund. Wenn Maulthiere ihren Führern erklären wollen, daß sie genug gearbeitet, und keine Lust hätten, weiter zu gehen, nehmen sie stets dieses Manöver vor, und unsere Knechte sagten, sie thäten dies immer an der gefährlichsten Stelle, wo sie keine Schläge zu erwarten haben, da eine einzige unglückliche Bewegung sie in den Abgrund stürzen kann.

      In der That wurden oben auf dem Plateau auch blos Schmeichelworte angewendet, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, aber umsonst. Es lag wie verendet und rührte kein Glied. Nun blieb nichts übrig, als dasselbe möglichst auf die Mitte des Plateaus zu ziehen, abzuladen, und so gut es ging, das andere Thier zu belasten. Ich leistete hierbei hülfreiche Hand und bedauerte, in meiner Jugend neben andern nützlichen Künsten, nicht auch die des Dach- oder Schieferdeckers erlernt zu haben, welche mir dort von bedeutendem Nutzen gewesen wäre.

      Als wir auf der andern Seite der Wand wieder auf festen, d. h. breiten und geräumigen Boden gekommen waren, bearbeiteten die Knechte das Maulthier nach Herzenslust mit ihren zusammengedrehten Lasso's, um sich für die oben an dasselbe verschwendeten Artigkeiten zu revanchiren, und das Thier wußte genau den Grund, denn es schlug schon aus, als sie sich ihm nur von weitem näherten. Aber, als ich noch oben stand bei dem widerspenstigen Thiere und auf die erstiegene Strecke abwärts blickte, sie fast für gefährlich haltend, unbedingt aber wohl zufrieden, daß sie zurückgelegt, kam in sorglosen Sätzen am äußersten Rand, und wie es schien auf einen nur mittelmäßigen Klepper reitend, ein chilenisches Weib desselben Weges. Sie hatte die Zügel auf des Pferdes Hals gelegt und liebkoste einen Säugling, den sie im Arme hielt. Ich schämte mich, als ich eine Parallele zog zwischen des Weibes Reise und meinem Bedenken.

      Es war die Wohnung jenes Weibes die letzte im Gebirge und nun begann die eigentliche hohe Cordillera, nachdem wir noch einige Stunden auf ziemlich guten Wegen scharf fortgeritten waren. Wir machten hierauf etwa gegen 1 Uhr des Mittags Halt, ließen die Pferde grasen und nahmen selbst ein kleines Mahl ein. Dort schon sammelte ich geognostische Handstücke und mehrere Insekten, worunter unter andern eine neue Art Proscopia tenuirostris, Sturm. Auch eine Menge von Scorpionen wurde gefunden und fast unter jedem Steine, den wir aufhoben, streckte uns einer seine Scheeren entgegen.

      Nach anderthalbstündiger Ruhe stiegen wir wieder zu Pferde, und setzten nach einiger Zeit über einen kleinen Fluß, worauf wir mehrere Stunden steil bergauf eilten und endlich auf einem ziemlich breiten Bergrücken ankamen.

      Der Charakter der Landschaft hatte sich allmälig bedeutend geändert. Wir hatten vorher wohl Wald und pittoreske Felsenparthieen, gefährliche Bergpfade und strömende Gewässer in wilden Schluchten, aber immer fehlte der Typus der tiefen Ruhe und Einsamkeit, der das eigentliche Hochgebirge bezeichnet. Jetzt aber war auf der Höhe der Pflanzenwuchs bereits verschwunden und nur in Schluchten tief unter uns zogen sich noch in schmalen Streifen die Vorposten der Vegetation dahin. Drohende Schneeberge hingen über uns, während wir auf kahlem nacktem Gesteine fortritten. Die Thäler wurden großartiger, und hie und da öffnete sich eine prachtvolle Fernsicht, um bald wieder durch einen schwarzen, halb mit Schnee bedeckten Bergriesen verhüllt


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Auf der Straße nach Mendoza, mehrfach besucht von Reisenden, ist es Gesetz, daß jedes Maulthier eine Glocke trägt, um sich an gefährlichen Stellen gegenseitig zu hören und vorher ausweichen zu können. Aus dem eben angegebenen Grunde, der Seltenheit des Begegnens halber, hält man es indessen an dieser Stelle des Gebirges für unnöthig, die Maulthiere mit Glocken zu versehen.