Die Hallig. Johann Christoph Biernatzki

Die Hallig - Johann Christoph Biernatzki


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Darstellung weht uns ein dichterisches Gemüt entgegen, das lebendig zu schildern, die rechten Farbentöne zu wählen, durch leicht fließenden, treffenden Ausdruck zu fesseln weiß, so daß nur hier und da etwas Schleppendes, nie etwas Ungehöriges oder die Reinheit der Sprache Trübendes stören möchte. So ist auch der äußern Form nach die „Hallig“ durchaus der Abdruck einer reinen, wolgestimmten Seele.

Heinrich Düntzer.

      I

      Der erste Blick, der auf zum Lichte schaut,

      Der erste schwanke Schritt im Staube,

      Des Mutternamens erster schwacher Laut:

      Giebt’s eine Zeit, die sie dem Herzen raube?

      An der Westküste des Herzogtums Schleswig finden sich, umflutet von den Wogen der Nordsee, mehrere Inseln, die als Ueberreste einer zusammenhängenden Landstrecke, welche dem Meere zum Raube geworden ist, den Bewohner des festen Küstenlandes daran erinnern, sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln der Fluten zu erwehren.

      Die größeren dieser Eilande sind teils durch Deiche (künstliche Seedämme), teils durch Dünen (natürliche Höhen von Meersand) vor den Wogen geschützt, die, täglich mit Flut und Ebbe kommend und gehend, immer neue Versuche zu machen scheinen, die letzten Brocken ihres großen Raubes in den gierigen Schlund des Meeres hinunterzuziehen. Bei der Ebbe geht die See so weit zurück, daß ein meilenweiter Schlickgrund bloßgelegt wird, der noch in kräuselnden Zügen das Bild der Wogen darstellt, die ihn vor wenigen Stunden überfluteten. Einzelne Rinnen und andere Senkungen werden aber auch dann nicht wasserleer, und besonders winden sich für jene Zeit sichtbar rings um die Inseln die, mit einander und dem zurückgewichenen Ocean zusammenhängenden, sogenannten Tiefen, gleichsam Schlangenarme, mit denen der eine Zeit lang an andern Gestaden kämpfende Riese die nie vergessene Beute umschlungen hält, daß sie nicht einen Augenblick der Hoffnung sich überlasse, von ihm aufgegeben zu sein. Diese Tiefen, welche dem einsamen Wanderer, der auf dem weichen, feinem Fußtritt für eine kurze Zeit überlassenen Meeresgrunde Krabben, Rochen oder einen von dem schnellen Abfluß der Wogen überraschten Seehund sucht, auch bei der hohlsten Ebbe unüberschreitbare Grenzen setzen, verhindern die Verbindung zwischen den Inseln zu Lande selbst dann, wenn sie am scheinbarsten ist. Nur einzelne kleinere Eilande erfreuen sich beim Rückgange des Meeres einer kurzen Gemeinschaft mit einander oder mit dem festen Lande, auch ohne das umständliche Mittel der Schifffahrt; aber wehe dem Wanderer, der zu viel dem trügerischen Riesen vertraute! Dieser kehrt oft mit ungewöhnlicher Schnelligkeit zurück, führet den Nebel mit sich als Bundesgenossen, und der Schlickläufer, so nennt man den, welcher die Ebbe zu größeren Wanderungen benutzt, siehet das heimische Gestade vor seinen Blicken verschwinden, er fühlt die Flut um seine Füße spielen, Entsetzen sträubt sein Haar bei diesem Spiel, er eilt mit Todesangst vorwärts, die schon ganz gefüllten Rinnen versperren seinen Weg, er wendet sich seitwärts, um sie zu umgehen, er verliert dadurch seine Richtung, läuft hin und her, ist gefangen ohne Ausweg, und mit jedem Augenblick kriecht die Flut höher an ihn hinan, sein Geschrei verhallt in der großen, weiten Wasserwüste und wird zuletzt von den ihn überrauschenden Wogen ganz erstickt, die bald seine Leiche bedecken; denn ein tiefflutendes Meer ist da, wo noch vor Kurzem die Fußstapfen des Armen sichtbar waren.

      Im Gegensatz der größeren, durch Deiche und Dünen gesicherten Inseln werden die kleineren Eilande Halligen genannt. Eine solche Hallig ist ein flaches Grasfeld, das kaum zwei bis drei Fuß höher liegt, als der Strand der gewöhnlichen Flut des Meeres, und daher, weder durch Kunst noch durch Natur beschützt, sehr oft, und besonders in den Wintermonaten sogar wol zweimal an einem Tage, von der wogenden See überschwemmt wird. Die bedeutendsten dieser Halligen sind noch keine halbe Quadratmeile groß; die kleineren, oft nur von einer Familie bewohnten, kaum ein paar tausend Fuß lang und breit; die kleinsten und unbewohnten dienen nur dazu, ein wenig kurzes und feines Heu zu gewinnen, das aber sehr oft, ehe es geborgen werden kann, von der Flut weggespült wird. Das geborgene Heu wird in Diemen zusammengehäuft, über die ein Flechtwerk von Stroh, an beiden Enden mit Steinen belastet herabhängt, wodurch sie eine solche Festigkeit gewinnen, daß nur mit eisernen Spaten das zum jedesmaligen Gebrauche Nötige abgestochen werden kann, und diese Heuberge an der Seite des Hauses oft noch eine Zuflucht geben, wenn die Mauern vor der Gewalt der Wellen niederbrechen. Auf künstlichen Erderhöhungen oder Werften stehen die einzelnen Wohnungen, die selten mehr Raum auf der sich schräge absenkenden Höhe lassen, als zu einem schmalen Gang um die Hütte erforderlich ist. Daher trifft man denn auch auf fast allen Halligen keinen Fleck Gartenland für ein wenig Gemüse, keinen einzigen Strauch mit einer erquickenden Beere, keinen Baum zu einem Ruheplatz im Schatten. Für solche Genüsse müßte die Werfte größer sein, deren Aufführung und Unterhaltung aber schon, so klein sie ist, mehr Kosten erfordert, als das einfache Gebäude, das darauf steht. Auf der Ebene sproßt der Ueberschwemmungen wegen kein fröhliches Gewächs, keine nährende Frucht. Sie ist eine Wüste, die freilich durch ihr fahles Grün, das noch dazu vielfach von schmutziggrau überschlickten Stellen unterbrochen wird, andeutet, wie das genügsame Schaf hier wol seine spärliche Nahrung finden mag, die aber keineswegs jenen frischen, duftigen Graswuchs kennt, in welchen sich behaglich die fette Kuh hinstreckt, oder über welchem das wiehernde Roß mutwillig hin und her sprengt. Suchst du sprudelnde Quellen, die einen Labetrunk geben könnten, da, wo die Sonnenstrahlen, ohne durch eine buschigte Blätterkrone gebrochen zu werden, auf das matte Grasfeld brennen? Wol findest du vom Wellenschlag zerrissene Ufer; wol tiefe Einbrüche des Meeres, die sich oft in langen Krümmungen weit in’s Land hinein erstrecken, als wollten sie es in noch kleinere Stücke zerteilen, um leichter desselben Herr zu werden; wol viele stehende Lachen, ein Nachlaß der letzten Ueberschwemmung, zur Erinnerung, daß das Land schon halb dem Ocean gehöre und ihm bald ganz zufallen werde: aber Trinkwasser? Auf der Werfte wird ein Behältnis ausgegraben und ringsum mit Grassoden ausgesetzt; dahin mag sich Regenwasser von oben her sammeln oder von den Seiten durchsickern es dient den Schafen zur Tränke und ihren Herren zur Bereitung ihres Thees, obwol es von dem mit Meersalzteilen durchdrungenen Boden den widerlichsten Geschmack angenommen hat, der es für den nicht daran Gewöhnten ungenießbar macht. Vielleicht bringt auch gar einmal ein Boot ein Tönnchen Wasser mit vom festen Lande, und in Zeiten der Dürre kann solche Zufuhr zur dringendsten Notwendigkeit werden. Eine Freude hat doch wol der Halligbewohner: das muntere Treiben eines täglichen und reichen Fischfangs? Nein, nicht einmal den schönen Anblick eines in hellen, grünlichen Wellen flutenden Meeres hat er; ein widriges, trübes Gelb in Grau ist die gewöhnliche Farbe der Gewässer um ihn her, und vor dem Aufenthalt in einer Meeresstrecke, die bei der Ebbe stundenweit ihren Schlammboden aufdeckt, hüten sich die Fische und überlassen gern dem Seehund und der häßlichen Roche allein das wenig einladende Gebiet. Und dies Meer, das die Halligen umgiebt und so oft überwogt, und das auf seinen verschiedenen Punkten nach den Namen der im Lauf der Jahrhunderte darin begrabenen Landstellen und ihrer Eigner bezeichnet wird, dies an Gaben so arme und an Raub so reiche Meer ist noch dazu fortwährend ein Räuber, der bald mit langsamer, still untergrabender Macht, bald mit wildstürmender Gewalt ein Stück Land nach dem andern von dem Eilande abbricht, so daß der Halligbewohner schon die Jahre zählen kann, wann den Hütten und den Heerden der letzte Raum genommen sein wird.

      Doch glücklich die Hallig, wenn hiemit ihr Bild vollständig gezeichnet wäre! Aber es bleibt noch eine furchtbare Seite übrig. Zur Gewohnheit sind die Ueberschwemmungen geworden, die, alles flache Land überwogend, an die Werfte hinaufsteigen und an die Mauern und Fenster der Hütten mit ihrem weißen Schaum anschlagen. Da blicken denn diese Wohnungen aus der weiten, umrollenden Wasserfülle nur noch als Strohdächer hervor, von denen man nicht glaubt, daß sie menschliche Wesen bergen, daß Greise, Männer, Frauen und Kinder unterdessen vielleicht ruhig um ihren Theetisch hersitzen und kaum einen flüchtigen Blick auf den umdrängenden Ocean werfen. Manch’ ein fremdes, aus seiner Bahn verschlagenes Schiff segelte schon in solchen Zeiten bei nächtlicher Weile über eine Hallig weg und die erstaunten Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn sie auf einmal neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die hellen Fenster einer Stube schimmern sahen, die halb von den Wellen bedeckt, keinen andern Grund als diese Wellen zu haben schien. Aber es bricht der Sturm zugleich mit der Flut auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen gegen zwanzig Fuß über ihren gewöhnlichen Stand hinauf. Die Wogen dehnen sich zu Berg und Thal, und das Meer sendet in immer neuen, langen Zügen seine volle, breite


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