Die Macht der Drei. Dominik Hans

Die Macht der Drei - Dominik Hans


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in das Kissen gelehnt, auf welches das lichtblonde Haar reich und schwer niederfiel. Die Sonnenstrahlen drangen durch das Gezweig des alten Baumes und malten auf Haar und Wangen wechselnde Reflexe. Ein reizvolles Bild. Aber alles an dieser Erscheinung war wie hingehaucht. Man konnte vor solcher Zartheit erschrecken, die bei Menschen wie bei Blumen nur den vergänglichsten Blüten eigen ist.

      Jane Harte beschäftigte sich mit einer Stickerei. Ihre schlanken Finger setzten geschickt Stich neben Stich und formten in schwerer Seide das Muster einer roten Rose. Aber ihre Gedanken waren nicht bei dieser Arbeit. Ihre Miene verriet, daß eine Sorge, ein Kummer sie drückte. Die Schatten unter den Augen sprachen von durchwachten Nächten, die Blässe ihrer Wangen steigerte noch das Ätherische ihrer ganzen Erscheinung. Mit einem Seufzer ließ sie die Arbeit sinken.

      »Heute ist eine Woche vergangen, seit Silvester zum letztenmal bei uns war.«

      »Du machst dir vielleicht unnötige Sorge, mein Kind. Ich denke, er hat eine plötzliche Reise unternehmen müssen … vergaß es in der Eile, uns zu benachrichtigen.«

      »Vergessen?«

      Ein bitterer Zug zuckte um Janes Mund.

      »Jane, was hast du?«

      »Laß, Mutter! Ich weiß, daß man in den Werken ebenfalls keine Erklärung für sein plötzliches Verschwinden hat. Man glaubt dort … und ich fürchte es … eine innere Stimme gibt mir die Gewißheit, daß er das Opfer eines Unglücksfalles oder vielleicht … eines Verbrechens geworden ist.«

      Sie barg ihr Gesicht in die Hände und versuchte vergeblich, die fließenden Tränen zurückzuhalten.

      »Unmöglich, Kind. Der harmlose, freundliche Mensch. Wer sollte ihm übelgesinnt sein? Außer uns verkehrte er mit niemand im Orte. Wie wäre es, wenn wir Dr. Glossin um Rat fragten. Er hat doch für diesen Nachmittag sein Kommen in Aussicht gestellt. Vielleicht kann er uns helfen.«

      Jane ließ die Hände sinken.

      »Dr. Glossin?«

      Ein Zucken ging über ihre Züge. Ihre Augen öffneten sich weit, und ein Beben lief durch den schlanken Körper.

      »Dr. Glossin … Ja … Er!«

      Beinahe überlaut kam es von ihren Lippen. Grübelnd ruhten ihre Blicke auf dem dichten Blättergewirr über ihr. Die Gedanken jagten sich hinter ihrer Stirn. Sie versucht, einen ganz momentan und instinktartig aufgetauchten Verdacht zu ergründen … Vergeblich. Sie fand keinen Zusammenhang. Der gespannte Ausdruck ihrer Züge wich dem einer Enttäuschung. Was war das, was da einen Augenblick ganz klar vor ihrer Seele stand und sich dann wieder verwirrte und verdunkelte, so daß alle Zusammenhänge verlorengingen?

      Das Einschnappen der Gartentür klang dazwischen und ließ sie auffahren.

      »Ah, Dr. Glossin!«

      Schreck und Erwartung kämpften in ihren Mienen.

      »Sie riefen mich, meine liebe Miß Jane. Da bin ich. Womit kann ich Ihnen helfen?«

      »Sie kommen zur rechten Zeit, Herr Doktor«, wandte sich Mrs. Harte an den Besucher. »Seit einer Woche ist Mr. Logg Sar verschwunden. Wir stehen vor einem Rätsel. Helfen Sie uns, es zu lösen.«

      Janes Blick hing unverwandt an dem Gesicht des Doktors. Ihre Augen blickten so fragend und angstvoll, als würde von dieser Stelle aus über ihr eigenes Leben entschieden.

      »Ja, helfen Sie uns, Herr Doktor«, schloß sie sich der Bitte der Mutter an.

      Es war klar, daß die beiden Frauen noch keine Ahnung von der Affäre in Sing-Sing hatten, und Dr. Glossin handelte danach.

      »Oh, Mr. Logg Sar ist verschwunden? Da wäre es doch wohl das einfachste, wenn man sich an die Polizei wendete. Freilich müßte man glaubhaft machen, daß der begründete Verdacht eines Verbrechens vorliegt, denn sonst … man reist viel in den Staaten, und eine achttägige Abwesenheit eines jungen unabhängigen Mannes wäre noch kein Grund, den polizeilichen Apparat in Bewegung zu setzen.«

      Dr. Glossin hatte seine Züge in der Gewalt. Jane, die ihn gespannt beobachtete, merkte keine Veränderung an ihnen, während er ruhig fortfuhr: »Ich will mich selbst mit der Polizei in Verbindung setzen, aber … aber vielleicht hat Mr. Logg Sar triftige Gründe …«

      »Herr Doktor! Was soll das heißen?«

      Jane rief es mit fliegender Hast. Sie schaute den Besucher mit großen, klaren Augen an. Doch nur auf Sekunden. Vor dem magnetischen Fluidum, welches aus den funkelnden Augen des Doktors auf sie überströmte, senkten sich ihre Augenlider schwer und furchtsam.

      »Ich bin nur gekommen, um eine Kleinigkeit, die ich bei meinem letzten Hiersein vergaß, aus dem Laboratorium zu holen. Ich muß gleich wieder abreisen.«

      Im Umdrehen suchte er nochmals den Blick Janes zu fassen, den diese beharrlich zu Boden gerichtet hielt. Einen Augenblick nur dauerte der stumme Kampf. Dann schaute das Mädchen besiegt zu dem Manne empor. Ihre Blicke versenkten sich ineinander.

      »Eine kleine halbe Stunde, dann ist mein Geschäft erledigt.«

      Der Doktor schritt dem Hauseingang zu.

      »Bring mich ins Haus, liebe Jane. Die Sonne ist hinter dem Dach verschwunden. Mir wird kühl.«

      Während Jane die herabgesunkene Decke um sie schlug, strich ihr die Mutter liebkosend über das bleiche Gesicht.

      »Mein Liebling, es wird noch alles gut werden.«

      »Möchtest du recht haben, liebe Mutter.«

      Ruhig, fast eintönig sprach Jane die Worte. Im Hause bettete sie die Kranke auf einen Diwan und wandte sich zum Flur. Leise schloß sie die Tür und stand wie mit sich selbst kämpfend einen Augenblick still. Dann schritt sie dem Laboratorium zu.

      Dr. Glossin kam ihr entgegen und führte sie zu einem bequemen Stuhl. Der suggestive Befehl war auf die Minute genau ausgeführt. Noch einmal versuchte sie es, sich zu erheben, aber es gelang ihr nicht. Eine unüberwindliche Kraft fesselte sie an ihren Sitz. Ihr Mund öffnete sich, als wolle sie rufen. Dr. Glossin streckte die Hände über Janes Haupt aus, und kein Ton kam von ihren Lippen. Ohne Kraft und Willen ließ sie ihren Kopf auf die Rückenlehne sinken. Sie war in jenem rätselhaften Zustand, in dem das körperliche Auge geschlossen ist, während die Seele Dinge wahrnimmt, die räumlich oder zeitlich in weiter Ferne liegen. Dr. Glossin zog seine Hand zurück und fragte: »Wo hat Logg Sar die Aufzeichnungen über seine Erfindung gelassen?«

      Die Züge Janes strafften sich. Sie schien etwas zu suchen und schwer oder unvollkommen zu finden. Ihre Lippen öffneten sich und formten Worte einer fremden Sprache.

      »Om mani padme hum.«

      Eintönig wiederholte sie die vier Worte. Dr. Glossin hörte sie und verstand den Sinn nicht. Mit größter Konzentration stellte er die Frage noch einmal, gab er Befehl, das Versteck der Aufzeichnungen zu nennen. Die Antwort bestand immer wieder in diesen vier Worten, die ganz mechanisch, fast maschinenmäßig wiederholt wurden, wie wenn etwa ein Phonograph den gleichen Text ein dutzendmal herunterspielt.

      Der Doktor ließ die Frage fallen und stellte eine andere.

      »Wo ist Logg Sar jetzt? Können Sie ihn sehen? Können Sie hören, was er spricht?«

      Abgebrochen und stoßweise kamen die Worte von Janes Lippen: »Ich sehe … Wolken … ein Schiff … ein Flugschiff … Logg Sar! Er trägt ein dunkles Kleid. Zwei Männer sind bei ihm … Das Schiff landet … Viel Heidekraut. Die Männer verlassen das Schiff … Das Schiff verschwindet. Logg Sar geht über die Heide … Es wird neblig. Ich sehe nichts mehr.«

      Atemlos hatte Dr. Glossin Wort für Wort aufgefangen.

      »In welchem Lande sind sie? Wo liegt das Land?«

      »Ein Land im Norden … dunkle Tannen und Heidekraut … ein Haus an einem Fluß. Die Nebel steigen … Ich sehe nichts mehr …«

      Dr. Glossin zwang sich zur Ruhe. Er wußte aus früheren Erfahrungen, daß es vergeblich war, weiterzufragen, wenn das Bild sich verschleierte. So setzte er die Nachforschung in anderer Richtung fort. Viel Hoffnung auf einen Erfolg hatte er nicht. Wenn die Vision


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