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Sie wissen nur zu gut, daß Napoleon nicht mit sich spaßen läßt, und was Ihre eigene Standhaftigkeit anbetrifft, so verzeihen Sie, wenn ich keine allzuhohe Meinung davon habe …«

      »Du bist aufrichtig.«

      »Ich bitte Eure Majestät, mich nicht mißzuverstehen. Aber Ihre angeborene Herzensgüte, Ihre Friedensliebe …«

      »Schon recht,« murmelte Jérôme, »spare deine Beredsamkeit! Ich glaube selbst, der Streich wäre als erster Schritt zur Emancipation ein wenig verwegen … Aber weißt du nichts Besseres?«

      In diesem Augenblick trat ein Kammerjäger in das Gemach und meldete in tiefster Devotion:

      »Der pariser Courier!«

      Instinctiv fuhr der König von seinem Sessel auf. Es hätte wenig gefehlt und er wäre selbst in das Vorzimmer geeilt, um die Briefschaften in Empfang zu nehmen. Er besann sich jedoch noch zur rechten Zeit und setzte sich wieder, während Pigault-Lebrun von dannen eilte, um nach einigen Secunden mit einer schweren Fuhre von Papieren zurückzukehren.

      »Da wir nichts Wichtigeres zu thun haben,« sagte Jérôme mit schlecht erkünstelter Gleichgiltigkeit, »so kannst du die Geschichte einmal durchsehen und mir das Amüsanteste vorlesen.«

      Pigault setzte sich und begann seine Musterung.

      »Depesche des Cultusministeriums …«

      »Weg damit!«

      »Das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an die königliche …«

      »Weiter, weiter!«

      »An Ihre Majestät die Königin.«

      »Von wem?«

      »Nicht zu errathen. Vermutlich eine Busenfreundin …«

      »Weiter …«

      »Ein Brief des Kaisers an Eure Majestät.«

      »Schon wieder … Was kann er wollen? Gieb her … Oder nein … Lies vor … Du weißt, ich finde mich in diesen Krähfüßen nicht zurecht …«

      Pigault-Lebrun entfaltete das Schreiben und begann wie folgt:

»Mein Bruder Jérôme Napoleon,König von Westphalen!«

      »Wie?« fragte Jérôme, »›mein Bruder‹ schreibt er? Nicht, ›mein lieber Bruder‹? Das wird mir wieder eine saubere Epistel sein! Weiter!«

      Der Bibliothekar fuhr fort.

      »Alles, was ich von Ihnen erfahre, liefert mir den Beweis, daß meine Rathschläge, meine Anordnungen, meine Befehle nicht den geringsten Eindruck auf Sie machen. Die Geschäfte sind Ihnen lästig. Die Pflicht der Repräsentation ennuyirt Sie. Mein Bruder, bedenken Sie, daß das Metier eines Königs gelernt sein will! Ein Souverän ohne die gehörige Repräsentation ist ein Unding. Sie lieben die Freuden der Tafel. Sie lieben die Frauen. Beides wird Sie zu Grunde richten. Machen Sie's wie ich: bleiben Sie eine halbe Stunde bei Tische und lassen Sie die Weiber – Weiber sein!« …

      »Diese Unverschämtheit!« stammelte der König in höchster Aufregung. »Was hat er sich darum zu kümmern, ob ich mein Leben genieße oder nicht! So was ist in der Geschichte noch nicht dagewesen! Ich möchte wissen, wozu ich König bin, wenn ich mich nicht amüsiren soll! Gieb Acht, Pigault, es ist wieder auf eine von meinen … Freundinnen abgesehen!«

      »Ach, ich glaube nicht daran … Wir gehen zu vorsichtig zu Werke … Gilt die reizende Caroline nicht allenthalben für meine Gemahlin? … Und die deutsche Gräfin, die wir aus München geholt haben, hält man sie nicht allgemein für die Frau Ihres Leibarztes …?«

      »Aber die kleine Heberti, die Tänzerin?«

      »Pah! haben wir sie nicht als Kammerfrau bei der Justizministerin untergebracht? Kein Gedanke, Sire! Niemand kann ernstlichen Verdacht geschöpft haben!«

      »Du siehst alles im rosigsten Lichte. Leider weiß ich nur zu genau, daß jeder meiner Schritte überwacht wird. Wer zählt die Spione, die mein liebenswürdiger Bruder besoldet? Nirgends sind wir sicher, nicht einmal mehr bei unseren intimen Soupers …«

      »O, Sire, Sie sind Pessimist. Im Kreise Ihrer Vertrauten findet sich kein Verräther!«

      »Ich wollte, du hättest Recht. Aber nun lies einmal weiter! Ich bin doch begierig zu hören, wo das hinausläuft.«

      Pigault-Lebrun fuhr in der Lectüre fort:

      »Der Prinz von Paderborn, den ich Ihnen zum Aumônier gegeben habe, schreibt meinem Cultusminister, Sie gingen nie darauf ein, wenn er mit Ihnen von kirchlichen Angelegenheiten sprechen wolle. Das ist nicht in der Ordnung. Man muß sich mit allem befassen, sogar mit der Religion.«

      »Es ist zu stark! Ich soll mich von dem langweiligen Tropf anschnattern lassen, blos weil mein Herr Bruder die Marotte hat, das gehöre zum Handwerk! Aber warte nur! Du sollst mich kennen lernen! – Weiter!«

      »Sie haben Ihren Kammerherrn Merfeldt nach Hannover versetzt, weil er Ihnen, wie Sie sich ausdrückten, mit seinen beständigen Predigten über die Etiquette lästig fiel. Ich möchte wissen, wie Sie Ihre Rolle als König spielen wollen, wenn Ihnen der Souffleur fehlt. Ich wünsche, daß Sie besagten Kammerherrn sofort zurückberufen, und zwar so, als thäten Sie dies aus freien Stücken!«

      »Sehr gut, sehr gut!« sagte der König erbittert. »Ich sehe wohl, daß mein Entschluß, diesem unwürdigen Zustand ein Ende zu machen, nicht zu früh kommt! – Weiter!«

      »Sie vernachlässigen die Königin. Ist sie Ihnen etwa nicht vornehm genug? – Warum berücksichtigen Sie nicht meine Wünsche? Ich erwarte unter allen Umständen, daß ich demnächst von der bevorstehenden Geburt eines Prinzen höre … Meine weiteren Anordnungen übermittle ich dem Minister Siméon. Er wird Sie davon in Kenntnis setzen. Ich verbleibe Ihr wohlgewogener Bruder

Napoleon.«

      Der König war bei den letzten Phrasen vom Fauteuil aufgesprungen. Sein Antlitz bedeckte sich mit einer brennenden Zornesröthe. Er ballte die beiden Fäuste und rang sichtlich nach Athem.

      »Pigault!« rief er. »Du weißt, ich verstehe nicht viel von Stylistik und derartigem gelehrten Krame … Aber du … Du bist ein Genie … Du kennst alle Kniffe der Redekunst … Du bist, wie man zu sagen pflegt, mit allen Hunden gehetzt …«

      »Eure Majestät haben eine zu schmeichelhafte Meinung von mir,« entgegnete der Bibliothekar mit einer artigen Verbeugung, indem er den Brief des französischen Imperators wieder zusammenfaltete.

      »Pigault!« fuhr der König fort, »du bist der Mann dazu: du mußt mir auf dieses Schandgesudel eine Antwort verfassen, die sich gewaschen hat!«

      »Aber Sire, bedenken Sie …«

      »Keine Ausrede; – ich gebe dir mein königliche Wort darauf, daß ich dich nicht verrathen werde. – Setze mir eine Epistel auf, die der Kaiser nicht hinter den Spiegel stecken wird! – Ich werde den Brief abschreiben, und dir das Original zurückerstatten. Kein sterblicher Mensch erfährt, daß du der Urheber bist!«

      »Wenn Eure Majestät mir in der That versprechen …«

      »Mein Wort darauf, Pigault, mein königliches Ehrenwort! Ich wiederhole dir's: niemand soll den wahren Zusammenhang ahnen.«

      »Gut denn, Sire. Allein ich wage nochmals einzuwenden … Der Streich könnte doch seine üblen Folgen haben!«

      »Unsinn! Ich bin Souverän und brauche mir die Ungezogenheiten eines fremden Machthabers nicht gefallen zu lassen. Ich will unabhängig sein: eine bessere Gelegenheit, diesen Entschluß zu bethätigen, finde ich nicht wieder. Also ans Werk!«

      »Morgen, Sire, wenn Sie gestatten. Zu einer so wichtigen Arbeit bedarf man der Sammlung.«

      »Wie du willst. Aber je eher, je besser. Eine prompte Antwort verdoppelt den Eindruck.«

      »Morgen früh um elf sind Sie im Besitz des Brouillons.«

      »Vortrefflich. Und nun wollen wir uns die Grillen aus dem Kopfe schlagen. Was hast du für heute Abend arrangirt?«

      »Eine glänzende Fête im Park …


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