Reden an die deutsche Nation. Johann Gottlieb Fichte

Reden an die deutsche Nation - Johann Gottlieb Fichte


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zurückzukehren zum Zöglinge der neuen Erziehung: es ist klar, daß derselbe, von seiner Liebe getrieben, viel, und da er alles in seinem Zusammenhange faßt, und das Gefaßte unmittelbar durch ein Tun übt, dieses viele richtig und unvergeßlich lernen werde. Doch ist dieses nur Nebensache. Bedeutender ist, daß durch diese Liebe sein Selbst erhöhet, und in eine ganz neue Ordnung der Dinge, in welche bisher nur wenige von Gott Begünstigte von ungefähr kamen, besonnen, und nach einer Regel eingeführt wird. Ihn treibt eine Liebe, die durchaus nicht auf irgendeinen sinnlichen Genuß ausgeht, indem dieser, als Antrieb, für ihn gänzlich schweigt, sondern auf die geistige Tätigkeit, um der Tätigkeit willen, und auf das Gesetz derselben, um des Gesetzes willen. Ob nun zwar nicht diese geistige Tätigkeit überhaupt es ist, auf welche die Sittlichkeit geht, sondern dazu noch eine besondere Richtung jener Tätigkeit kommen muß, so ist dennoch jene Liebe die allgemeine Beschaffenheit und Form des sittlichen Willens; und so ist denn diese Weise der geistigen Bildung die unmittelbare Vorbereitung zu der sittlichen; die Wurzel der Unsittlichkeit aber rottet sie, indem sie den sinnlichen Genuß durchaus niemals Antrieb werden läßt, gänzlich aus. Bisher war dieser Antrieb der erste, der da angeregt und ausgebildet wurde, weil man außerdem den Zögling gar nicht bearbeiten und einigen Einfluß auf denselben gewinnen zu können glaubte; sollte hinterher der sittliche Antrieb entwickelt werden, so kam derselbe zu spät, und fand das Herz schon eingenommen und angefüllt von einer andern Liebe. Durch die neue Erziehung soll umgekehrt die Bildung zum reinen Wollen das erste werden, damit, wenn späterhin doch die Selbstsucht innerlich erwachen, oder von außen angeregt werden sollte, diese zu spät komme, und in dem schon von etwas anderm eingenommenen Gemüte keinen Platz für sich finde.

      Wesentlich ist schon für diesen ersten, sowie für den demnächst anzugebenden zweiten Zweck, daß der Zögling von Anbeginn an ununterbrochen, und ganz unter dem Einflusse dieser Erziehung stehe, und daß er von dem Gemeinen gänzlich abgesondert, und vor aller Berührung damit verwahrt werde. Daß man um seiner Erhaltung und seines Wohlseins willen im Leben sich regen und bewegen könne, muß er gar nicht hören, und ebensowenig, daß man um deswillen lerne, oder daß das Lernen dazu etwas helfen könne. Es folgt daraus, daß die geistige Entwicklung in der oben angegebenen Weise, die einzige sein müsse, die an ihn gebracht werde, und daß er mit derselben ohne Unterlaß beschäftigt werden müsse, daß er aber keineswegs diese Weise des Unterrichts mit demjenigen, der des entgegengesetzten sinnlichen Antriebs bedarf, abwechseln dürfe.

      Ob nun aber wohl diese geistige Entwicklung die Selbstsucht nicht zum Leben kommen läßt, und die Form eines sittlichen Willens gibt, so ist dies doch darum noch nicht der sittliche Wille selbst; und falls die von uns vorgeschlagene neue Erziehung nicht weiter ginge, so würde sie höchstens treffliche Bearbeiter der Wissenschaften erziehen, deren es auch bisher gegeben hat, und deren es nur wenige bedarf, und die für unsern eigentlichen menschlichen und nationalen Zweck nicht mehr vermögen würden, als dergleichen Männer auch bisher vermocht haben; ermahnen und wieder ermahnen, und sich anstaunen und nach Gelegenheit schmähen zu lassen. Aber es ist klar, und ist auch schon oben gesagt, daß diese freie Tätigkeit des Geistes in der Absicht entwickelt worden, damit der Zögling mit derselben frei das Bild einer sittlichen Ordnung des wirklich vorhandenen Lebens entwerfe, dieses Bild mit der in ihm gleichfalls schon entwickelten Liebe fasse, und durch diese Liebe getrieben werde, dasselbe in und durch sein Leben wirklich darzustellen. Es fragt sich, wie die neue Erziehung sich den Beweis führen könne, daß sie diesen ihren eigentlichen und letzten Zweck an ihrem Zöglinge erreicht habe?

      Zuvörderst ist klar, daß die schon früher an andern Gegenständen geübte geistige Tätigkeit des Zöglings angeregt werden müsse, ein Bild von der gesellschaftlichen Ordnung der Menschen, so wie dieselbe nach dem Vernunftgesetze schlechthin sein soll, zu entwerfen. Ob dieses vom Zöglinge entworfene Bild richtig sei, ist von einer Erziehung, die nur selbst im Besitze dieses richtigen Bildes sich befindet, am leichtesten zu beurteilen; ob dasselbe durch die eigne Selbsttätigkeit des Zöglings entworfen, keineswegs aber nur leidend aufgefaßt, und der Schule gläubig nachgesagt werde, ferner ob es zur gehörigen Klarheit und Lebhaftigkeit gesteigert sei, wird die Erziehung auf dieselbe Weise beurteilen können, wie sie früher in derselben Rücksicht bei andern Gegenständen ein treffendes Urteil gefällt hat. Alles dies ist noch Sache der bloßen Erkenntnis, und verbleibt auf dem in dieser Beziehung sehr zugänglichen Gebiete derselben. Eine ganz andre aber und höhere Frage ist die, ob der Zögling also von brennender Liebe für eine solche Ordnung der Dinge ergriffen sei, daß es ihm, der Leitung der Erziehung entlassen und selbständig hingestellt, schlechterdings unmöglich sein werde, diese Ordnung nicht zu wollen, und nicht aus allen seinen Kräften für die Beförderung derselben zu arbeiten; über welche Frage ohne Zweifel nicht Worte und in Worten anzustellende Prüfungen, sondern allein der Anblick von Taten entscheiden können.

      Ich löse die durch diese letzte Betrachtung uns gestellte Aufgabe also: ohne Zweifel werden doch die Zöglinge dieser neuen Erziehung, obwohl abgesondert von der schon erwachsenen Gemeinheit, dennoch untereinander selbst in Gemeinschaft leben, und so ein abgesondertes und für sich selbst bestehendes Gemeinwesen bilden, das seine genau bestimmte, in der Natur der Dinge gegründete, und von der Vernunft durchaus geforderte Verfassung habe. Das allererste Bild einer geselligen Ordnung, zu dessen Entwerfung der Geist des Zöglings angeregt werde, sei das der Gemeinde, in der er selber lebt, also, daß er innerlich gezwungen sei, diese Ordnung Punkt für Punkt gerade also sich zu bilden, wie sie wirklich vorgezeichnet ist, und daß er dieselbe in allen ihren Teilen als durchaus notwendig aus ihren Gründen verstehe. Dies ist nun abermals bloßes Werk der Erkenntnis. In dieser gesellschaftlichen Ordnung muß nun im wirklichen Leben jeder einzelne um des Ganzen willen immerfort gar vieles unterlassen, was er, wenn er sich allein befände, unbedenklich tun könnte; und es wird zweckmäßig sein, daß in der Gesetzgebung, und in dem darauf zu bauenden Unterrichte über die Verfassung, jedem einzelnen alle die übrigen mit einer zum Ideal gesteigerten Ordnungsliebe vorgestellt werden, welche also vielleicht kein einziger wirklich hat, die aber alle haben sollten; und daß somit diese Gesetzgebung einen hohen Grad von Strenge erhalte, und der Unterlassungen gar viele auflege. Diese, als etwas das schlechthin sein muß, und auf welchem das Bestehen der Gesellschaft beruht, sind auf den Notfall sogar durch Furcht vor gegenwärtiger Strafe zu erzwingen; und muß dieses Strafgesetz schlechthin ohne Schonung oder Ausnahme vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zöglings geschieht durch diese Anwendung der Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, indem hier ja nicht zum Tun des Guten, sondern nur zur Unterlassung des in dieser Verfassung Bösen getrieben werden soll; überdies muß im Unterrichte über die Verfassung vollkommen verständlich gemacht werden, daß der, welcher der Vorstellung von der Strafe, oder wohl gar der Anfrischung dieser Vorstellung durch die Erduldung der Strafe selbst noch bedürfe, auf einer sehr niedrigen Stufe der Bildung stehe. Jedennoch ist bei allem diesen klar, daß, da man niemals wissen kann, ob da wo gehorcht wird, aus Liebe zur Ordnung oder aus Furcht vor der Strafe gehorcht werde, in diesem Umkreise der Zögling seinen guten Willen nicht äußerlich dartun, noch die Erziehung ihn ermessen könne.

      Dagegen ist der Umkreis, wo ein solches Ermessen möglich ist, der folgende. Die Verfassung muß nämlich ferner also eingerichtet sein, daß der einzelne für das Ganze nicht bloß unterlassen müsse, sondern daß er für dasselbe auch tun und handelnd leisten könne. Außer der geistigen Entwicklung im Lernen finden in diesem Gemeinwesen der Zöglinge auch noch körperliche Uebungen, und die mechanischen aber hier zum Ideale veredelten Arbeiten des Ackerbaues, und die von mancherlei Handwerken statt. Es sei Grundregel der Verfassung, daß jedem, der in irgendeinem dieser Zweige sich hervortut, zugemutet werde, die andern darin unterrichten zu helfen, und mancherlei Aufsichten und Verantwortlichkeiten zu übernehmen; jedem, der irgendeine Verbesserung findet, oder die von einem Lehrer vorgeschlagene zuerst und am klarsten begreift, dieselbe mit eigner Mühe auszuführen, ohne daß er doch darum von seinen ohnedies sich verstehenden persönlichen Aufgaben des Lernens und Arbeitens losgesprochen sei; daß jeder dieser Anmutung freiwillig genüge, und nicht aus Zwang, indem es dem Nichtwollenden auch freisteht, sie abzulehnen; daß er dafür keine Belohnung zu erwarten habe, indem in dieser Verfassung alle in Beziehung auf Arbeit und Genuß ganz gleich gesetzt sind, nicht einmal Lob, indem es die herrschende Denkart ist in der Gemeinde, daß daran jeder eben nur seine Schuldigkeit tue, sondern daß er allein genieße die Freude an seinem Tun und Wirken für das Ganze, und an dem Gelingen desselben, falls ihm dieses zuteil wird. In dieser Verfassung wird sonach aus erworbener


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