Amerikanische Wald- und Strombilder. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich
etwas Unerlaubtes und äußerst Gefährliches zu thun, mußte sie das Schlimmste fürchten lassen, wenn sie besonders in die Hände ihrer wilden Feinde fielen, die sich Patrik gar nicht anders denken konnte, wie Menschenfresser; die Eile, mit der sie alles Hierhergebrachte zurückließen, war also vollkommen zu entschuldigen. Jubelnd und lachend rannten indessen die Amerikaner, keineswegs gesonnen, ihnen weiter zu folgen, bis zu dem Gipfel des Hügels vor, von dem sie die Resurrectionisten vertrieben hatten, und Sip, der mit den wunderlichsten Sprüngen und Grimassen nebenher getanzt war, stieß eben noch, als Schluß- und Kraftakkord, und gleichsam um der Sache die letzte Politur zu geben, den markdurchschneidenden Kriegsschrei aus, der in die Ohren der beiden Flüchtlinge gellte und sie zu immer wilderer Eile antrieb.
»Gentlemen!« rief da Shark und schwenkte seinen alten Filz – »der Sieg ist gelungen – die Festung erstürmt – die Besatzung mit Zurücklassung ihrer Fahnen und Geschützstücke entflohen und ich stimme dafür, daß – «
Wie von einer Natter gestochen, fuhr er zurück, denn dicht vor ihm stand, den blitzenden Tomahawk in der Hand – die wollene Decke leicht von den Schultern geworfen, die wehenden Federn noch schwankend von der raschen Bewegung – ein wirklicher, lebendiger Häuptling – ein »scalpsüchtiger« Wilder – ein Rächer der geschändeten Grabstätte.
Die Übrigen mußten ihn, da sie ihre Aufmerksamkeit bis dahin nur den Flüchtigen zugewandt hatten, noch gar nicht bemerkt haben, und Shark blieb mehrere Secunden lang marmorgleich vor der wie aus dem Grabe herausgestiegenen Gestalt stehen, Sip aber – vom vielen Schreien ordentlich blauschwarz im Gesicht – wollte eben über den Hügel wegspringen, um wahrscheinlich im Walde selbst die Entflohenen noch mit einem »allerletzten« Male zu beglücken, als er fast gegen den Indianer stieß, der jetzt seinerseits ebenfalls staunend dastand, und nicht zu wissen schien, ob die Männer, die er im ersten Ansturm und im Dunkel der Nacht gleichfalls für Indianer gehalten, jetzt aber als Weiße erkannte, Freunde oder Feinde wären.
Sip war übrigens nicht der Mann, der einem wirklichen Indianer lange Stich gehalten hätte – denn daß es einer war, erkannte er auf den ersten Blick. Mit flüchtigem Rücksprung warf er seinen Nachbar, den entsetzten Shark, zur Seite, und floh nun, so schnell ihn seine Beine trugen, in das ihm nächste Dickicht.
Sip's Geistesgegenwart gab aber auch Shark sich selbst wieder – kaum sah dieser nämlich in der Flucht des Negers seine eigene Furcht bestätigt, als er, ohne seine Gefährten weiter mit Blick oder Wort zu warnen, dem Beispiel des Negers folgen wollte, leider aber in der ihm im Wege liegenden und in das Grab eingehauenen Hacke hängen blieb, und mit gellendem Angstruf zu Boden stürzte, da er sich in diesem Augenblick schon wenigstens für scalpirt hielt.
Weppel – auch den Kopf von Indianern voll, sah kaum die Angst der Gefährten, als er sich gar keine weitere Mühe gab, den Grund ihres Schrecks zu erforschen, sondern nur seine eigenen Gliedmaßen eben so schnell in Sicherheit zu bringen suchte, und Josy – sonst der Muthigste von Allen und einer jener kräftigen Pioniere, die oft mitten in der Wildniß ganzen Schaaren von Wilden Trotz geboten, wurde hier förmlich überrumpelt. Ein Theil der Seinen floh – Einer brach, mit dem Angstschrei auf den Lippen, vor seinen Füßen zusammen – hoch auf dem Grabe erkannte er in den dämmernden Umrissen den indianischen Krieger – was blieb ihm da anderes zu glauben übrig – als sie wären von irgend einem hier verborgenen Stamme überlistet, und er selbst – waffenlos mitten zwischen ihnen – konnte jetzt nur noch hoffen, durch schnelle verzweifelte Flucht sein eignes Leben zu retten.
Mit der Gewandtheit eines aufgescheuchten Panthers sprang er zur Seite, um einem etwa auf ihn abgeschossenen Pfeil, oder gar der tödtlichen Kugel zu entgehen, und suchte nun, wie die Übrigen, das schützende Dunkel zu erreichen.
Shark, der sich nur das Schienbein ein wenig aufgeschlagen hatte, sprang indessen ebenfalls wieder empor, und brach in wilder Verzweiflung in das Dickicht, wobei er sich wenig darum kümmerte, welcher Richtung er folgte, so er nur für den Augenblick seinen Scalp in Sicherheit brachte. In tollen Sätzen drängte er sich oft in so dicht verwachsene Dornmassen hinein, daß er nur mit zerfetzten Kleidern und blutig gerissenen Gliedern einen Ausweg finden konnte; übersprang dabei Gräben und umgestürzte Stämme, fiel in Sumpflöcher und Bäche, rannte gegen Bäume und Büsche an, und erreichte endlich das Ufer des kleinen Flusses, an dem er, rücksichtslos wohin ihn das führe, hinaufstürmte, diese Bahn mehrere hundert Schritte verfolgte, und plötzlich – großer Gott, so muß er in blinder Flucht dem Feinde gerade in den Rachen rennen – vor einer dunklen Gestalt stand, die eben im Begriff schien ihn zu erfassen.
Einen Schrei ausstoßen und seitab in den Fluß springen, wurde zum Werk eines Augenblicks, aber auch Doktor Mac Botherme, denn dies war der Gefürchtete, wartete den vermutheten Angriff nicht ab – mit Blitzesschnelle wandte er sich und da er in dem Moment auch noch das nahe Plätschern im Wasser hörte, was ihn natürlich gar nicht anders glauben ließ, als daß die Feinde beabsichtigten, ihm die Flucht abzuschneiden und deßhalb jetzt den Strom durchschwömmen, so brach er wieder zurück in den Wald, floh hier noch einige hundert Schritt gerad'aus, und warf sich dann zum Tode matt und jedem weiteren Rettungsversuch durch eigene körperliche Anstrengung entsagend, neben einer umgestürzten, halbverfaulten Eiche nieder, an deren weichen Stamm er sich dicht hinanschmiegte, um vielleicht dadurch noch der Aufmerksamkeit der Verfolger zu entgehen. Er hatte etwas Ähnliches einmal in einem Buche gelesen.
Nach allen Richtungen hin durchtobten die Flüchtigen den Wald, und auf dem bedrohten Grabe, vom düsteren Lichte der Sterne matt beschienen, stand ernst und feierlich die hochaufgerichtete Gestalt des indianischen Kriegers, und sang mit leiser, monotoner Stimme das Todtenlied des Verblichenen. —
Am nächsten Morgen war Waterton in fürchterlicher Aufregung. – Josy traf zuerst ein, und die Aussage des sonst so ruhigen und von Allen als nichts weniger als ängstlich gekannten Mannes, daß sie, die Waffenlosen, gestern Abend von Indianern überfallen worden seien, versetzte Alle in die peinlichste Bestürzung. Die Ursache wurde ebenfalls bald bekannt und ließ sie das Schlimmste fürchten.
Was sollten sie jetzt thun? einen Courier nach Vincennes senden und von dort Hülfe holen? – Auf jeden Fall hatten die schlauen Wilden das vorausgesehen und hielten den Weg besetzt. Der Bote also, hätte sich wirklich Einer zu solch gefährlicher Aufgabe gefunden, wäre rettungslos verloren gewesen. Weppels und Glassys Aussagen, die fast zusammen und bald nach Josy eintrafen, vermehrten nur noch die Bestürzung, da sie die erstgehörte Unglückskunde nicht allein betätigten, sondern sogar noch hinzufügten, daß sie den ganzen Stamm und zwar mit den Kriegsfarben bemalt gesehen hätten, – wonach Waterton also das Äußerste erwarten durfte.
Shark betrauerte man als erstes Opfer der Rache, denn Josy hatte ihn, wie er fest und bestimmt behauptete, fallen sehen, sich aber natürlich nicht weiter um ihn bekümmern können. Auch die beiden Irländer wurden noch vermißt und man konnte nicht anders glauben, als daß sie ebenfalls in die Hände der im Hinterhalt lauernden Feinde gefallen wären, welche Befürchtung sich um so mehr bestätigte, da bis Sonnenuntergang am nächsten Tage keiner der Dreie in Waterton erschien, während die Bewohner des kleinen Städtchens in wahrhaft fieberhafter Aufregung Alles hervorsuchten, was nur irgend als Waffe dienen konnte, um dem in jeder Secunde erwarteten Angriff und Überfall zu begegnen. Besonders steigerte sich gegen Tagesanbruch am zweiten Morgen ihre Angst auf das Höchste, da sämmtliche Stämme gewöhnlich in dieser Zeit aus ihrem Hinterhalt hervorbrechen. —
Aber siehe da, kein Überfall erfolgte, die Sonne stieg still und majestätisch über den rauschenden Wipfeln der Bäume empor, und ihr Strahl fiel auf kein wildes Blutvergießen, ihr freundliches Licht leuchtete keinem mörderischen Angriff – ihr heiteres Auge sah auf keine rauchenden Trümmer und zuckende Leichen hernieder.
Die Zurückhaltung der Indianer wurde räthselhaft – der Mittag verging – die Sonne neigte sich schon wieder ihrem Untergang – kein Laut ließ sich hören, kein fremdes Wesen näherte sich der Stadt. Da endlich – es fing schon an zu dämmern, – wankte mit bleichem Antlitz und zerfetzten Kleidern, zum Tode matt vor Hunger und Angst, Doktor Mac Botherme herbei, und er, der noch gestern ein Gegenstand der höchsten Entrüstung gewesen, da man nur auf seine Schultern die entsetzliche Gefahr sämmtlicher Watertonisten wälzte, erschien ihnen jetzt wie ein Erlöser, der sie von Furcht und Noth befreien konnte.
Mac