Amerikanische Wald- und Strombilder. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich
Gott sei Dank – aber werden wir auch halten?«
Die Bootsglocke beantwortete seine Frage, der Ruf des Lootsen sandte die »Deckhands« oder Matrosen nach der, hinten am Boot befestigten Schaluppe – der Deutsche und Indianer sprangen hinein und fanden sich, wenige Minuten darauf, an der Spitze einer Sandbank, welche gerade überhalb des Flusses Mündung eine kurze Strecke in den Arkansas hineinlief. Das leichte Fahrzeug, was sie hierher gebracht, war indeß zum Boot zurückgekehrt – das Zeichen wurde gegeben, puffend und schnaubend brauste der schöne Dampfer stromauf, und die beiden Männer standen allein auf der kleinen, sandigen Landzunge.
Sechingen blickte entzückt um sich her – Alles – Alles mahnte ihn daran, daß er jetzt im Begriff sei, zum ersten Mal die Amerikanische Wildniß, den Urwald zu betreten, und von wonnigen Schauern durchbebt, wandte er sich gegen den dunklen Wald. Zu seiner Linken, am andern Ufer des kleinen Flusses, thürmten sich schroffe, mit Kiefern und Eichen bedeckte Hügel empor, rechts von diesen, in der Richtung, die er einzuschlagen gedachte, lag eine dichte grüne Baum- und Laubmasse und hinter ihm wälzte sich der gewaltige Arkansas dem »Vater der Wasser«, dem Mississippi zu, während der schmale Sandstreifen, auf dem sie standen, etwa eine Meile lang bis zu dem wieder steiler werdenden Ufer hinauflief.
Noch war der Deutsche in staunender Bewunderung des Heiligthums versunken, das er kaum zu betreten wagte, als der Indianer, dessen christlicher »Robert« in den bequemeren »Bob« umgetauscht worden, das Schweigen brach und dem jungen Mann mit wenigen Worten andeutete, wie er nicht gesonnen sei, hier die ganze Nacht auf offener Sandbank halten zu bleiben.
»Wollen gehn –« sagte er, und drehte dabei den Kopf nach allen vier Himmelsgegenden, um Wolken, Sonne und Luft genau und prüfend zu betrachten – »kaum noch eine Stunde Tag, besser an einen trockenen Platz vor Abend – Feuer anmachen – groß.«
»Und welchen Weg nehmen wir jetzt?« frug Sechingen.
»Weg?« sagte der Indianer verwundert, »kein Weg von hier – lauter Wald.«
»Ha, desto besser!« rief der Deutsche, »das ist herrlich; lauter dichter, finsterer Wald, und dann das Nachtlager, – o das muß köstlich werden.«
»Will der Weiße die nächste Richtung, ganz durch den Wald gehen, oder fünf Meilen um, über die Hügel – weit oben läuft ein gebahnter Weg!« sagte Bob.
»Oh unbedingt den nächsten Weg durch den Wald, wie weit ist es wohl?«
»Funfzehn Meilen – aber viel naß,« sagte der Indianer, und zeigte mit dem Finger gerade auf den Wald.
»Ich habe große Stiefeln an,« lachte Sechingen, »und wenn Sie sich nichts daraus machen« –
»Bob kann schwimmen,« erwiederte dieser lakonisch, schritt jetzt, ohne ein Wort weiter zu verlieren und die dünnen Baumwollenholzbäumchen auseinander biegend, durch diese hinweg und betrat, von dem Deutschen gefolgt, während sie die sandige, angewaschene Landzunge hinter sich ließen, den eigentlichen dunklen Wald.
Sechingen hatte vom ersten Augenblicke an, als er festen Grund und Boden unter den Füßen fühlte, die Doppelbüchse von der Schulter genommen und zum großen Ärgerniß Bob's, der fortwährend nach ihm hinschielte, beide Hähne aufgezogen, ging auch jetzt, stets im Anschlag, vorsichtig und aufmerksam umherspähend, hinter dem Indianer her, bis dieser endlich, trotz dem ihm angeborenen stoischen Gleichmuth, das Gefühl nicht länger ertragen konnte, in dem dichten Gewirre von Schlingpflanzen eine gespannte Büchse hinter sich zu haben, und von nun an neben dem jungen Mann blieb.
Die Sonne sank indessen mehr und mehr und verschwand eben hinter den gewaltigen Bäumen, nur noch hie und da einen der höchsten Wipfel mit ihrem rosigen Schein übergießend. Im Walde herrschte tiefe Stille, die nur selten durch das Quaken eines Frosches oder das Gezirpe einer Grille unterbrochen wurde; es war ein wunderlieblicher, entzückender Frühlingsabend, dem schönen Wald von Arkansas so eigenthümlich; dennoch aber schien sich der Herr von Sechingen dieses langersehnten Genusses nicht so recht zu erfreuen, oder wenigstens keine Zeit dafür zu haben, denn bald schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn, bald in den Nacken, bald auf die andere Hand; oder nahm die Mütze ab, mit der er um sich herumschlug, und endlich blieb er gar in allem Unmuth stehen und rief aus:
»Wo kommen denn nur um Gotteswillen alle diese verwünschten Mücken her? das ist ja zum Rasendwerden.«
»Mücken?« sagte Bob, »was das? Mosquitos meint Ihr; nicht viele hier! mehr davon weiter vorne; aber lagern jetzt – gleich dunkel.«
Damit, ohne weiter eine Antwort seines Begleiters abzuwarten, warf er seine Decke und Kugeltasche ab, lehnte die Büchse an einen Baum und schlug Feuer, das er bald mit Hülfe des dürren Laubes zu einer Flamme anfachte, die, von trockenem Holz genährt, in wenigen Minuten zur hohen Gluth emporloderte.
»Hier also sollen wir bleiben?« sagte Sechingen etwas kleinlaut, indem er sich an dem Orte, auf welchem sie sich befanden, umsah, »ja – es wäre recht hübsch hier, wenn die verdammten Mücken nur nicht wären. Also das sind Mosquitos?« – fuhr er fort, als er eben wieder vier mit einem Schlage auf dem Rücken seiner Hand vernichtet hatte – »nun Gott sei Dank, es sind doch wenigstens genug von ihnen da, um sich abzulösen, wenn ein Theil satt oder müde werden sollte.«
»Fremder legt sich auf diese Seite vom Feuer, unter den Rauch – keine Mosquitos!« – bedeutete ihn Bob. Sechingen befolgte auch schnell den guten Rath, und fand sich hier, in dem weichen, gelben Laub, das mehrere Zoll hoch den Boden bedeckte, bald von seinen Quälgeistern verlassen, die durch den über ihm hinweggehenden Rauch verscheucht wurden. Bob schien sie gar nicht zu achten.
»Lieber ein Dach machen – kann regnen die Nacht,« sagte der Indianer jetzt.
»Regnen?« lachte Sechingen, »wo soll denn der Regen herkommen? es ist ja keine Wolke am Himmel?«
»Schadet Nichts,« meinte Bob – »Regenfrosch gutes Zeichen.«
»Ach nein – hier ist's herrlich,« betheuerte Jener, der, von seinen Plagegeistern für den Augenblick befreit, wieder das so lang gehegte und genährte romantisch wilde Sehnen in sich erwachen fühlte – »hier ist's so wundervoll, mit dem grünen Laubdach über uns, dem blauen sternbesäeten Himmel als Decke, und dem dunkelen, rauschenden Wald um uns her; wozu da noch ein Dach, was uns doch nur den Anblick des prachtvollen Firmamentes entziehen würde; kommen Sie hierher, Bob, legen Sie sich neben mich und erzählen Sie mir etwas aus Ihrem Leben.«
»Bob ist hungrig,« war die lakonische Antwort.
»Nun ja, da es einmal erwähnt wird,« meinte der Deutsche, »so wäre mir auch ein Bissen Warmes nicht so unerwünscht, ein Tasse Thee könnte besonders gar Nichts schaden.«
»Viel Thee im Wald,« sagte Bob.
»Thee? grüner Thee?«
»Gewiß grüner Thee – will der Weiße Thee haben?«
»Das wäre nicht so übel,« erwiederte Sechingen, »auf alle Fälle können wir es versuchen.«
Bob riß hierauf einen kleinen, neben ihm wachsenden grünen Strauch aus der Erde, wischte die Wurzel so rein als möglich mit seinem Jagdhemd ab, schnitt sie in dünne Spähne, that sie in den Blechbecher, den er an seiner wollenen Decke hängend trug, füllte diesen dann voll Wasser und setzte ihn auf die Kohlen.
»Und das wird Thee?« frug Sechingen ungläubig.
»Ahem,« war Bob's Antwort, der nur mit dem Kopfe nickte.
»Es ist aber doch sonderbar,« sagte der Deutsche nach einer wohl viertelstündigen Pause, in der er träumend zu den funkelnden Sternen hinaufgeschaut hatte, »daß wir jetzt schon über eine Stunde durch den dichtesten Wald gegangen sind, ohne eine Spur von Wild gesehen zu haben.«
»Sonderbar?« entgegnete die Rothhaut, »Bob hat drei Tage hier gejagt und keine Klaue gefunden.«
Das stimmte nun freilich nicht mit Charles Fischers Aussagen überein, doch blieb ihm für den Augenblick keine weitere Zeit zu ferneren Erörterungen, denn der Thee war fertig und wurde Sechingen dargereicht.
»Etwas Zucker und Milch wäre jetzt sehr an seinem Platz,« meinte dieser – »aber halt