Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band. Gerstäcker Friedrich
nur viel Menschen dort zusammen kamen und die Beisteuer zu ihren milden Zwecken – Kirchenbau, Missionswesen, Bibelvertheilung und Erhaltung der Geistlichen – recht reichlich ausfiel.
Jack Owens sonst so freundliches Gesicht nahm aber einen recht ernsten, finsteren Ausdruck an, als er den freien Platz betrat auf dem die Fremden versammelt waren, und unter diesen eine ziemlich große Zahl städtisch gekleideter Advokaten und Kaufleute von Little Rock, die theils Neugierde, theils wirkliche Lust zu kaufen hier heraus in den Wald getrieben, erkannte. Schweigend, und von seinem Begleiter dicht gefolgt, seine Büchse über der Schulter, seinen großen Hund hinter sich, ohne zu grüßen, ohne umzusehen, schritt er zwischen der Schaar durch und auf das Haus zu, in dessen Thür ein junges, bildhübsches vielleicht vierzehnjähriges Mädchen stand, und ihm freudig und herzlich beide Hände entgegenstreckte.
»Oh Gott segne Euch Mr. Owen« rief ihm das etwas bleich und angegriffen aussehende Kind entgegen – »wie froh, wie glücklich bin ich daß Sie endlich angekommen sind; ich hatte schon solche Angst Sie – Sie würden – «
»Doch nicht fortbleiben heute, Jenny?« lachte der Jäger, gutmüthig ihre zarten Wangen und das goldene Haar aus ihrer Stirn streichend – »nein mein Kind, wir verlassen Dich nicht, darauf darfst Du bauen; dieß ist deine Heimath und soll es bleiben und wenn wir Alle unsere Heerden verkaufen müßten, sie Dir zu erhalten – wohin es aber nicht kommen wird. Wie geht's Deiner Großmutter, Herz?«
»Schlecht Mr. Owen, recht schlecht – die vielen Menschen da draußen machen ihr Angst – sie hat stärkeres Fieber heute gehabt, und ist vor einer halben Stunde etwa nur erst eingeschlafen.«
»Hier hab' ich Dir 'was zu leben mitgebracht, Jenny« sagte der Jäger, dem Kinde lächelnd das Kinn emporhebend – »ein junger Truthahn, aber feist wie Butter; die ißt Du ja so gern. Doch dem Mann da, – ein Fremder der sich verirrt und die Nacht im Walde zugebracht hat – mußt Du etwas zu essen machen und einen Platz an Deinem Feuer gönnen bis er sich getrocknet hat, wenn er sich nicht lieber draußen in die Sonne legt. Hast Du etwas für ihn?« —
»Für Sie und ihn, Mr. Owen, der Kaffee ist fertig und steht am Feuer, ebenso das Brod, und der Speck ist in wenigen Minuten gebraten.«
»Bravo mein Herz, dann können wir gleich zulangen; ich habe überdieß schon den ganzen Morgen durch den Wald gepirscht, solch einen Vogel für Dich zu suchen, und Dir dabei gleich den Scheerenschleifer gefangen, der die Nacht irgendwo im Wald aufgebäumt war aus Furcht vor Panthern und wilden Bestien. Kommen Sie herein, Mister, wie ist gleich ihr Name? – Mowlbare – wunderliches Wort das, aber ich denke Sie halten's wohl mit dem alten Sprichwort was wir hier im Walde haben – einerlei wie man uns ruft, nur nicht zu spät zum Essen!«
Maulbeere ließ sich nicht zweimal nöthigen – seinen Karren draußen vor der Thür stehn lassend, nahm er den alten aufgeweichten Filz vom Kopf, strich sich die nassen struppigen Haare aus der Stirn, und machte Miene sich ohne Weiteres an den schon gedeckten Tisch zu setzen, auf den die Kleine eben die breitfüßige blecherne und dampfende Kaffeekanne stellte.
»Wenn Sie sich erst waschen wollen, so steht draußen der Eimer und das Becken« sagte Jack, dem es vielleicht so vorkam, als ob ein wenig Seifenwasser der Physiognomie und den Händen des Fremden eben nicht schaden könne.
»Danke« sagte aber der Scheerenschleifer in aller Ruhe – »ich bin die Nacht gerade genug gewaschen, und habe mir das Wasser verleidet – Kaffee ist mir lieber.«
»Helft Euch selber dann« sagte Jenny freundlich, dem wunderlichen Fremden einen Stuhl zum Tisch rückend – »Ihr seid herzlich willkommen zu Allem was wir haben.«
Die beiden Männer setzten sich und aßen, und eine Weile wurde weiter Nichts gehört, als das Klappern der Messer, Gabeln und Tassen, von denen noch einige aus Olnitzkis Nachlaß übrig geblieben waren und über die sich Maulbeere allerdings den Kopf zerbrach, wie solch reich vergoldetes, weit anderen Verhältnissen angehörendes Geschirr hierher seinen Weg gefunden haben konnte. Er würde freilich noch weit mehr erstaunt gewesen sein, wenn er erfahren hätte daß die nämliche allerdings henkellose und oben ausgebrochene Tasse aus der er trank, mit ihm auf ein und demselben Schiffe von Deutschland erst herübergekommen wäre. Die Lebensmittel, besonders der heiße Kaffee nahmen jedoch seine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, sich für jetzt um irgend etwas anderes zu bekümmern, und wieder und wieder mußte Jenny die Tasse füllen.
»Jenny« sagte da Jack nach langer Pause, in der seine Blicke ernst und sinnend über den kleinen Raum geschweift waren – denn das vergoldete Geschirr hatte bei ihm ganz andere Erinnerungen wach gerufen, »wenn das Haus nachher zum Verkauf angekündigt ist, wirst Du mit bieten müssen, Herz.«
»Ich, Mr. Owen?« sagte das arme Kind, wehmüthig lächelnd, »Du lieber Gott, mit was sollt ich wohl bieten; Sie wissen ja recht gut daß wir Nichts haben auf der weiten Welt.«
»Hast Du gar kein Geld, Jenny?« sagte Jack, sie halb erstaunt aber recht freundlich anschauend – »gar Nichts, nicht ein ganz klein wenig?«
»Ein ganz klein wenig, oh ja« lächelte das Mädchen gutmüthig – »einen Viertel Dollar in Silber, den mir Großmutter schon vor langer langer Zeit gegeben.«
»Nun siehst Du wohl, Schatz« lachte der Jäger, »daß Du reicher bist wie Du Dich machst? das ist vollkommen genug.«
»Ein Viertel Dollar, sagte ich Mr. Owen.«
»Jawohl, und noch dazu in Silber.«
»Aber was soll ich damit anfangen?«
»Nun die Farm und das Vieh kaufen – ganz Arkansas kannst Du freilich nicht dafür bekommen.«
Das Mädchen wandte sich langsam ab eine aufsteigende Thräne zu unterdrücken, denn der Scherz that ihr weh; Jack aber, der sie nicht kränken wollte, stand auf, ging zu ihr, legte seine Hand auf ihre Schulter und sagte freundlich —
»Es ist kein Scherz, Jenny, Du mußt gewiß mit bieten, ja noch mehr, Du mußt den Anfang machen. Fürchtest Du Dich wenn ich dabei bin?«
»Nein Mr. Owen« sagte das Mädchen herzlich – »aber ich begreife nur nicht – «
»Wirst das schon Alles noch erfahren – welche Zeit haben wir jetzt?«
»Bald elf Uhr, nach der Sonne.«
»Alle Wetter, dann ist auch nicht mehr viel zu versäumen, um elf beginnt die Auktion – wenn ich Dich rufe komm zu mir hinaus. Und Sie, Mr. Mowlbare können heut etwas Neues sehn in Arkansas, aber« – setzte er ernster und fast wie drohend hinzu – »wenn ich Ihnen zum Besten rathen soll, so bieten Sie nicht mit.«
»Danke herzlich« sagte Maulbeere verbindlich – »spüre für jetzt noch nicht die mindeste Lust mich in Arkansas niederzulassen – aber hinaus darf man doch kommen?«
»Gewiß, gewiß« lachte Jack wieder, »und werden treffliche Gesellschaft da finden;« und seine Büchse schulternd, während er dem Mädchen freundlich zunickte, verließ er rasch das Haus.
Draußen kamen indessen Fremde auf Fremde, sammelten sich um die verschiedenen Feuer, wo sie einen Bekannten trafen, oder besahen auch wohl die aus dem Nachlaß von den Nachbarn selber herbeigebrachten Pferde, die dort ausgehobbelt – d. h. mit zusammengebundenen Vorderfüßen – an hingeworfenen Maiskolben knapperten, und munter den immer und immer wieder neuankommenden Reitern entgegenwieherten.
Um den Sheriff, der von Little Rock selber herübergekommen war den Verkauf zu leiten, hatte sich dabei eine ziemliche Anzahl von »Stadtleuten« versammelt; der Platz ging jedenfalls für ein Spottgeld weg, denn der jetzige Eigenthümer Mr. Kowley, wollte ihn um jeden Preis los sein, und die Pferde allein, wackere prächtige Thiere, hatten einen guten Werth.
Jack ging wieder zwischen den Gruppen durch, ohne sie auch nur eines Blicks zu würdigen, und hie und da flüsterte man wohl leise hinter ihm her, daß das der Mann sei, der den frühern Eigenthümer dieses Platzes erschossen. Vor eine Jury damals gestellt war er aber, da es in Selbstvertheidigung geschehen, frei gesprochen worden; Olnitzki hatte zuerst nach ihm geschossen, und der Wille allein wäre genügend gewesen, selbst ohne die, noch damals nicht geheilte Narbe von dessen Kugel. Die Leute von Little Rock hielten sich