Pfarre und Schule. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich
nicht, vereiteltete jedes entschiedene und planmäßige Handeln. Nur die einzige Hoffnung blieb noch, im Geheimen und mit stillem unbeobachteten Wirken einen künftigen Sieg anzubahnen, und das schien um so nöthiger, da selbst ein großer Theil der Beamten, die große Majorität des Mittelstandes, ja sogar eine nicht unbedeutende Zahl der reicheren und intelligenten Bürger, zwar dem Wühlen der Hitzköpfe und unreifen Politiker nicht geneigt, aber doch zugleich auch fest entschlossen schien, sich die gegenwärtigen Errungenschaften zu wahren und gleich stark der Anarchie von unten wie von oben zu begegnen.
So lebendig nun also die Zeitverhältnisse in der Residenz des kleinen Landes, das ich mir zum Schauplatz dieser Erzählung ausersehen, besprochen wurden, wo Katzenmusiken und Fackelzüge anfingen zu den allergewöhnlichsten Begebenheiten zu gehören, so still und ruhig verhandelte man in dem, nur wenige Stunden davon entfernten Dorfe Horneck die Tagesfragen. Der ganze März war verflossen, und noch kein einziger Verein gegründet worden, die Nachrichten aus den benachbarten Reichen klangen den friedlichen Bewohnern wie Mährchen aus tausend und eine Nacht und sie hätten das Ganze am Ende nur ebenfalls wie eine Fabel und nicht einmal für möglich gehalten, wären nicht der Schulze und Gerichtsschreiber – Beides sonst ein paar sehr ernste und furchtbar strenge Gestalten, plötzlich so ganz unerklärbar freundlich geworden, ja selbst der Rittergutsbesitzer, ein unerhörter Fall, zweimal in eigener Person in die Schenke zu Biere gekommen.
Richtig war's nicht in der Welt, so viel stand fest, und umsonst steckten der Pastor und ihr Gerichtsherr auch nicht immer die Köpfe zusammen und lasen in Zeitungen, die sonst zu Horneck gar nicht gehalten wurden. Die Bauern fingen daher, durch dies Alles neugierig gemacht, selbst ein wenig mehr an, die sonst ziemlich vernachlässigten Berichte »von draußen her«, von Frankreich und Berlin und von Leipzig und der Türkei zu lesen, und in der Schenke gab dann ein Wort das andere. Die Köpfe wurden heiß, die Gemüther erregt, die Worte hitzig – Partheien bildeten sich und Leute traten auf, die mit donnernden Fäusten den erstaunten Zuhörern die Beweise auf den Tisch schlugen. Aber es blieb auch nur bei den hausbackenen einfachen Reden der Leute selber und die konnten weiter keine aufreizende oder bedenkliche Folgen haben, denn besonders der Landmann hält sich gern für eben so klug, als sein Nachbar, und glaubt das, was der ihm sagen kann, erst recht schon, und wer weiß wie lange, besser zu wissen.
Dem konnte auch der Pastor Scheidler, der sich überhaupt gleich von seinem ersten Amtsantritt her, viel um das Familienleben seiner Beichtkinder bekümmert hatte, leicht begegnen, und jedes Unheil und jede Störung durch Predigt und Wort abwenden, und nur erst, als die Zeitungen immer unaufhaltsamer kamen und die »Preßfreiheit« dem guten besorgten Mann doch etwas bedenklich wurde, da gründete er einen »Lesezirkel« und schickte seinen Diaconus hinein, um den Leuten die einzelnen Artikel auszulegen und ihnen, gleich an Ort und Stelle über verfängliche oder solche Sätze, die sie zu längerem Nachdenken zwingen könnten, Aufklärung zu geben.
Der einzige Mann vielleicht im ganzen Orte, der sich gar nicht um Politik bekümmerte und vollkommen damit zufrieden schien, wenn ihm der Hülfslehrer, der ihm im letzten Jahre beigegeben worden, nur manchmal Abends die »Neuigkeiten aus der Stadt« erzählte, das war der alte Schulmeister von Horneck, Sebastian Kleinholz, der seinen Jungen nach wie vor die zehn Gebote und das Ein mal Eins einprägte, und das Jahr 1848 mit einer wahrhaft gründlichen Verachtung behandelte. Mit der Revolution schien er aber nicht besonders einverstanden; der Pastor – sein Vorgesetzter, so lange er denken konnte – schüttelte stets, wenn er davon sprach, sehr bedenklich mit dem Kopfe, und der wußte was er that, denn der las alle Zeitungen von A bis Z und legte die Bibel aus, wie noch keiner vor ihm. Papa Kleinholz kümmerte sich übrigens nur wenig um die Außenwelt und mußte oft förmlich dazu gezwungen werden, wichtige neu eingelaufene Berichte mit anzuhören; ihm genügte es, daß in Horneck die Alten – noch die Alten blieben, und mit den Jungen – ei sapperment, da wollte er allein – heißt das mit dem Hülfslehrer – schon fertig werden.
Zweites Kapitel.
Flucht und Verfolgung
Horneck lag in einer reizenden Gegend unseres schönen deutschen Gaues, an einem kleinen, aber malerisch gebetteten Strome, den wir die Rausche nennen wollen. Von hoher Bergeskuppe überschaute es weit und breit die benachbarten Thäler und die ausgedehnte Niederung, die sich gen Süden in flache fruchtbare Felder hinabzog, und dichte schützende Kieferkämme umdrängten den kleinen Ort gegen Norden, wo sie festen Schirm und Hort gegen die kalten Winterstürme bildeten. Tief unten aber rauschte und brauste der Strom über künstliches Wehr hinweg in das Bett hinein, das ihn der klappernden Mühle entgegenführte, und drüben am anderen Ufer, wo der Kahn so dicht und schaurig versteckt unter der frisch ausschlagenden Trauerweide lag, stand, von Buchen und jungem Eichenschlag fast verdeckt, die stille kleine Försterwohnung, mit dem blendendweißen Anwurf und dem schindelgrauen Dach, den mächtigen Hirschgeweihen über der Thür, zu denen der alte Forstmann bei jedem eine lange prächtige Geschichte erzählen konnte, und dem schmalen freundlichen Garten vor der Schwelle, in dem schon Tulpe und Aurikel blühte und die duftenden Veilchen das enge Rundtheil in der Mitte mit blauem reizenden Kranz umzogen.
Unten am Fuß des Berges, auf dem Horneck lag, standen von fruchtbaren Feldern und Wiesen gleich umschlossen und von dichten Obstgärten begrenzt, die Wirthschaftsgebäude des Rittergutes, das denselben Namen trug, oben aber, auf der höchsten Kuppe, ja selbst auf einem theilweis als Steinbruch benutzten Felskegel gebaut, der ihr auch großentheils aus seinem eigenen Selbst das Material zu den starken Mauern geliefert, ragte die kleine Kirche mit dem stumpfen abgerundeten Thurme hervor, und gewährte einen Fernblick selbst über die spitzen dunkelgrünen Wipfel des Nadelholzes hin nach den blauen zackigen Gebirgsrücken gen Norden, in denen die Rausche ihren Ursprung fand.
Die Pastorwohnung lag dicht unter der Kirche an der Nordseite, und eine enge in den Stein gehauene Treppe führte zu der kleinen Thür hinauf, durch die der Pastor das heilige Gebäude gewöhnlich betrat; an der Südseite dagegen schmiegte sich die Schulwohnung an und vor dieser vorbei führte auch der breite steile Fuhrweg selbst bis vor die Hauptthür der Kirche.
Der Diaconus wohnte mit in der Pfarre, der Hülfslehrer in einem kleinen Dachstübchen der Schule, das die Aussicht, über die unter ihr liegenden Dächer der Nachbarhäuser hinweg, gerade nach dem schattigen düsteren Schwarzholze hatte. Von der Schulwohnung aus führte ein kleiner schmaler Pfad dicht an einem niederen Kieferdickicht hin, wo sich die stachlichen Nadelzweige fest in einander schoben und ein Durchbrechen derselben fast zur Unmöglichkeit machten.
Auf dem Wege nun, der über die Felder bis weit an die oben gen Norden ziehende Straße lief, schritt, am Morgen des ersten April, wo die Sonne so recht warm und freundlich auf die Erde herniederschien, Vater Kleinholz, einen Spaten auf der Schulter, und für sein Alter noch rüstig genug, vorwärts, und rastete nicht eher, bis er an einen kleinen schmalen Streifen Feld kam in dessen einer Ecke, und dicht am Wege, ein mächtiger Steinblock wohl zwei Schuh hoch aus der Erde emporragte. An diesen lehnte er seinen Spaten, setzte sich selbst auf den Stein, und legte für einen Augenblick, wie ausruhend, die beiden zusammengefalteten Hände in den Schooß; sein Blick schweifte dabei prüfend über das kleine Stückchen Erde hinüber, das er sein nannte, und das noch starr und ungelockert, wie es der Winter gelassen, mitten zwischen den bestellten und wohl hergerichteten Feldern der Nachbarn lag.
»Ja ja,« sagte er da nach langer Pause, während er langsam und bedächtig dazu mit dem Kopfe nickte – »ja ja, ich kann es Meiers Frieden nicht verdenken, daß er mir den Zwickel hier nicht aufpflügen will – oder nicht kann, wie er meint; so mitten in Gräben drinn und hier noch den Stein, und da drüben den Wegweiser, da bleibt in der That kein Plätzchen, wo man Kuh oder Pferd umlenken könnte, und am Rande ist man auch immer gleich wieder. Nun mit Gott, dieß Jahr werden diese alten Knochen wohl noch im Stande sein, das bischen Arbeit zu thun, und im nächsten – na da laß ich vielleicht dem Hülfslehrer seinen Willen, der mich lange d'rum gequält hat – eigene Passion das – wer weiß – hm, ja – wer weiß, ob er's im nächsten Jahr nicht ohnedieß für sich selber bestellen muß.«
Der alte Mann zog seinen schwarzen, schon sehr abgetragenen Rock aus, faltete ihn sauber zusammen und wollte ihn eben neben sich auf den Stein legen, als sein Blick auf die deutlich hervortretenden hellblauen Näthe fiel, die dem sonst ganz schwarzen und ehrwürdigen Kleide ein eigenthümliches Ansehn gaben.
»Hm«